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Titel
„Deutschland ist auch Frauensache“. NPD-Frauen im Kampf für Volk und Familie 1964–2020


Autor(en)
Dubslaff, Valérie
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte (131)
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 395 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yves Müller, Berlin

Lange Zeit konzentrierte sich die Erforschung der bundesrepublikanischen Parteiengeschichte auf die „großen Drei“, also die durchweg im Bundestag vertretenen Volksparteien CDU/CSU und SPD sowie die kleinere FDP. Die Kleinparteien des nationalistischen Spektrums fanden kaum das zeithistorische Interesse, zumal nach dem Ausscheiden der rechten Deutschen Partei (DP) 1961 und bis zum Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) 2017 keine extrem rechte Parteiformation den Sprung in den Bundestag geschafft hatte. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), Die Republikaner (REP) oder die Deutsche Volksunion (DVU) stellen daher grosso modo für die Zeitgeschichte ein unbekanntes Terrain dar.1 Noch am besten untersucht ist die NPD, die älteste Partei des organisierten Nationalismus, deren „angepaßter Faschismus“ (Lutz Niethammer) die Partei Ende der 1960er-Jahre fast in den Bundestag gebracht hatte.2 Eine Geschlechtergeschichte der rechten Parteien ist erst recht ausstehend.

Nun hat Valérie Dubslaff eine umfassende Monografie zur (Geschlechter-)Geschichte der NPD vorgelegt. Es handelt sich dabei um die 2017 am Deutschen Historischen Institut Paris (DHI) verteidigte französischsprachige Dissertation, die die Autorin selbst ins Deutsche übertragen hat. Das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) hat die Arbeit in ihre renommierte Reihe „Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte“ aufgenommen. Augenmerk der Studie liegt auf der „condition féminine in der extremen Rechten“ (S. 19), also in einem multiperspektivischen Ansatz um eine „Fokussierung auf die Akteurinnen und deren Handlungsmöglichkeiten, Praxis, Entfaltungsräume, Gedankenwelten und Diskurse“ (S. 21) in der NPD. In etlichen Archiven hat Dubslaff in Plenarprotokollen, Drucksachen, Parteiveröffentlichungen und Zeitschriften, aber auch in Unterlagen von BfV und MfS nach den „weiblichen Spuren“ (ebd.) der NPD gesucht. Die Autorin erforscht Agency, Wirkungsmacht und die Organisierung von Parteiaktivistinnen über die gesamte Länge seit der Gründung der NPD 1964 bis in die unmittelbare Zeitgeschichte. Dabei unterteilt sie die Parteientwicklung in drei Phasen (Gründungsphase: 1964–1969, Hibernationsphase: 1970–1989, Erneuerungsphase: 1990–2020), die wesentlich der in der Politikwissenschaft üblichen Periodisierung folgt und auch die Arbeit gliedert.

Der erste Teil beschäftigt sich mit der Frühphase der NPD. Schon in den Vorgängerparteien (Sozialistische Reichspartei, Deutsche Reichspartei) waren Frauen aktiv, wenn auch unterrepräsentiert. In der NPD beteiligten sie sich vielfach am Parteiaufbau, vor allem auf Kreisverbandsebene; sie organisierten Saalveranstaltungen und stürzten sich in Wahlkämpfe. Häufig folgten sie ihren Ehemännern oder Verwandten in die Partei und übernahmen bald strukturelle Aufgaben. Tatsächlich war die stark wachsende NPD bei einem gleichzeitigen Personalmangel auf das Mittun von Frauen angewiesen, um flächendeckende Strukturen zu etablieren. In dieser Zeit war die „Erlebnisgeneration“ prägend für die Partei, also diejenigen, die ihre Sozialisation während der Zeit des Nationalsozialismus erfuhren. Trotz ihrer vielseitigen Aktivitäten und ihrer Teilnahme als Parteitagsdelegierte blieben Frauen „dekoratives Beiwerk in einem männlichen Machtraum“ (S. 61). Auch die Einführung der Frauenreferentinnen und die Gründung des kurzlebigen NPD-Bundesbeirates der Frauen führten mit den Worten der Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger nur mehr zu einer „integrierte[n] Separierung“ (zit. nach S. 64). In dem ihnen zugewiesenen „Frauenbereich“ agierten die Aktivistinnen „recht autonom“ (S. 115), doch blieben die weiblichen Gestaltungsräume begrenzt. Immer wieder übten einzelne Frauen Kritik an ihrer eigenen Partei, beispielsweise weil das Parteiprogramm die Familienpolitik vernachlässigte. Allerdings lässt die kleine Kohorte von 22 ausgewählten Frauen des Parteivorstandes von 1967 eine empirische Auswertung, wie von Dubslaff vorgeschlagen, mangels Repräsentativität zumindest fragwürdig erscheinen.

In etlichen Landtagen vertreten, scheiterte die NPD bei der Bundestagswahl des Jahres 1969 an der Fünf-Prozent-Hürde. Der Wahlniederlage folgte die „Desintegration der Parteistrukturen“ (S. 152). Die NPD verfiel in Agonie, die selbst die Parteigründerinnen erfasste. Auch die „Multifunktionärin der ‚Erlebnisgeneration‘“ (S. 55) Gertraude Winkelvoß, die in der Studie prominent vertreten ist, zog sich zurück. In dieser Phase übernahmen die „Erbinnen“ die Aufgaben ihrer Vorgängerinnen. Die 1970er- und 1980er-Jahre waren geprägt von einer „Dezentralisierung“ der „Frauenarbeit“ (S. 179) und von „weibliche[n] Selbstorganisierungsinitiativen“ (S. 183f.) in lokalen Frauengruppen. Auch die Schwerpunkte verschoben sich angesichts des Erstarkens der Neuen Frauenbewegung: Die Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen in Verbindung mit dem völkisch-rassistischen Primat wurde zentrales Politikelement. Paradoxerweise bedeutete jedoch gerade die Aufwertung des frauenspezifischen Bereichs einen Autonomieverlust der NPD-Aktivistinnen. Diese versuchten ihren „antisexistische[n] Standpunkt“ (S. 185) bei gleichzeitigem Antifeminismus und Familialismus zu behaupten. Demgegenüber ist gerade die männlich dominierte Parteizeitung Deutsche Stimme durch eine Sexualisierung von Frauen bestimmt. Noch Mitte der 1980er-Jahre figurierten sie lediglich als „Propagandaobjekte zur Valorisierung des weiblichen Bereichs“ (S. 199), so Dubslaff.

Teil drei der Arbeit widmet sich der Zeit seit 1990, die durch eine Nazifizierung und Feminisierung der NPD geprägt gewesen sei. Seit den 1980er-Jahren erlebte die „nationale Opposition“ mit dem Neonazismus eine Erneuerung. In Westdeutschland entstanden Frauengruppierungen, während der Anteil der jugendlichen Aktivistinnen in der DDR bei 20 Prozent gelegen haben soll. Hier waren die Neonazigruppen durch eine „größere Geschlechtermischung“ (S. 248) geprägt. Die Partei brach vollständig mit den bürgerlichen Restbeständen „der ‚alten‘ NPD“ (S. 241). Trotz der anfänglichen Wende-Euphorie durchlitt sie Anfang der 1990er-Jahre eine schwere Krise. Anhand von vier biographischen Kurzporträts führender NPD-Aktivistinnen weist Dubslaff „typenförmig den weiblichen Pluralismus“ (S. 257) der Partei nach. Besondere Aufmerksamkeit richtet die Autorin auf die sächsische Landtagsabgeordnete Gitta Schüssler, die immerhin zehn Jahre der Dresdner NPD-Fraktion angehörte. Schüssler war auch Vorsitzende der 2006 ins Leben gerufenen NPD-Untergliederung Ring nationaler Frauen (RNF), dem die Autorin ein ausführliches Unterkapitel widmet, und trug in dieser Funktion zur Normalisierung des „antifeministischen Diskurs[es] der extremen Rechten“ (S. 275) bei. In Ermangelung einer Frauenquote innerhalb der Parteigremien bot der RNF, der einen „nationalistischen Maternalismus“ (S. 303) laut Dubslaff vertrete, die Möglichkeit der Partizipation in der NPD.

Nicht immer wird der frauen- und geschlechtergeschichtliche Fokus in ausreichendem Maße empirisch unterfüttert. So fehlt eine klare Analyse nationalsozialistischer Geschlechterkonstruktionen, wie sie beispielsweise Kirsten Heinsohn und Franka Maubach vorschlagen3, und ihres Fortwirkens innerhalb der NPD. Die These Dubslaffs von einer herausragenden Einflussnahme der NPD-Aktivistinnen auf die Parteiprogrammatik kann die Autorin nicht in jeder Hinsicht stichhaltig belegen. An mancher Stelle hätte man sich eine tiefergehende Analyse der von den Akteurinnen ebenso wie in der Parteipresse reproduzierten Weiblichkeitsbilder und ihrer gesellschaftlichen Relevanz gewünscht. Auch die Frage der Reaktionen von Politik und (Zivil-)Gesellschaft auf die NPD-Aktivistinnen wird nur am Rande thematisiert, zum Beispiel dann, wenn Dubslaff eine „antifaschistische Misogynie“ (S. 94) der demokratischen Parlamentsabgeordneten konstatiert. Zudem fällt das Ungleichgewicht bei der Phaseneinteilung auf, da die erfassten Zeiträume sehr stark variieren und eine gleichverteilte Bewertung so in Schieflage gerät. Insbesondere die aktuell letzte Phase der Partei, die als „Erneuerungsphase“ gerahmt wurde und 30 Jahre umfasst, ist nach den ostdeutschen Wahlerfolgen der 2000er-Jahre zuletzt nur noch von einem Niedergang geprägt, der die NPD in eine existenzielle Krise gestürzt hat. Nicht zuletzt ist der gegenwartsnahe Bezug für eine historische Arbeit eher ungewöhnlich und führt zu Quellenproblemen, stellt die Arbeit aber auch vor methodische Herausforderungen. Mitunter vertraut die Autorin ohne Begründung auf Daten des Verfassungsschutzes, beispielsweise bei der Einschätzung des Frauenanteils der NPD, um Abhilfe bei der disparaten Quellenlage zu leisten.

Trotzdem ist Valérie Dubslaff eine wichtige Studie gelungen, die nicht nur die Parteigeschichte der NPD oder die Parteiengeschichte (West-)Deutschlands bereichert. Dabei wird mit den NPD-Frauen gerade jene Akteursgruppe in den Mittelpunkt gerückt, die sowohl innerhalb der eigenen Reihen als auch für das Gros der Rechtsextremismusforschung bisher kaum im Fokus standen.4 Teilweise ermöglicht die Autorin auch regionale Einblicke in einzelne NPD-Landesverbände. Weithinausgehend über den eigentlichen Schwerpunkt der Untersuchung bietet sie Erkenntnisse in die Anwendung des Radikalenerlasses gegen die NPD. Insgesamt hilfreich sind die jedes einzelne Kapitel abschließenden Resümees. Mit dem Fokus auf die NPD-Aktivistinnen gelingt der Autorin eine geschlechterhistorische Perspektivierung, die Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen in der parteiförmigen Rechten gleichermaßen betrachtet. Dubslaff leistet damit eine wichtige (Vor-)Arbeit für eine „Geschlechtergeschichte [des organisierten Nationalismus in, Y.M.] der Bundesrepublik“ (S. 359), an die es anzuknüpfen gilt.

Anmerkungen:
1 Für Ausnahmen siehe bspw. Gideon Botsch, Christoph Schulze (Hrsg.), Rechtsparteien in Brandenburg. Zwischen Wahlalternative und Neonazismus 1990–2020, Berlin 2021.
2 Lutz Niethammer, Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt a.M. 1969. Siehe dazu auch Yves Müller, „Faschistische Grundstruktur“. Lutz Niethammers Analyse der extremen Rechten (1969), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 16 (2019), URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2019/5696 (16.07.2022), Druckausgabe: S. 197-205.
3 Kirsten Heinsohn, Volksgemeinschaft und Geschlecht. Zwei Perspektiven auf die Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, in: Detlef Schmiechen-Ackermann u.a. (Hrsg.), Der Ort der „Volksgemeinschaft“ in der deutschen Gesellschaftsgeschichte, Paderborn 2018, S. 245–258; Franka Maubach, „Volksgemeinschaft“ als Geschlechtergemeinschaft. Zur Genese einer nationalsozialistischen Beziehungsform, in: Gudrun Brockhaus (Hrsg.), Zur Attraktion der NS-Bewegung, Essen 2014, S. 251–268.
4 Demgegenüber bspw. Ursula Birsl (Hrsg.), Rechtsextremismus und Gender, Opladen 2011; Renate Bitzan (Hrsg.), Rechte Frauen. Skingirls, Walküren und feine Damen, Berlin 1997; Regina Weber, Rechtsextremistinnen. Zwischen Kindererziehung und nationalem Kampfauftrag, Berlin 2012; Petra Wlecklik (Hrsg.), Frauen und Rechtsextremismus, Göttingen 1995.

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