K. S. Baumgärtner: Das Konzentrationslager Ravensbrück im Film

Cover
Titel
Das Konzentrationslager Ravensbrück im Film. Gender, Imagination und Memorialisierung


Autor(en)
Baumgärtner, Katja S.
Erschienen
Berlin 2022: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
720 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Heimann, Mannheim

Die Studie von Katja Baumgärtner ist Ergebnis einer ausgedehnten Forschungsarbeit seit 2008. Sigrid Jacobeit, die langjährige Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, attestiert ihr im Klappentext, die Forschungslücke zu Filmen über das Konzentrationslager (KZ) bestens geschlossen zu haben. Ziel der Untersuchung war es vor allem, „einen Überblick über die filmischen Repräsentationsformen zu schaffen“ und „die geschlechterspezifischen Imaginationen“, die in Filmen in einem längeren Zeitraum entstanden sind, zu diskutieren (S. 639). Vergeschlechtliche Formen in der filmischen Memorialisierung des Gedenkorts und historischen Orts Ravensbrück seien zu hinterfragen: Wie beeinflusst „Gender“ die Filme über Ravensbrück (S. 25)? Dabei war die Erinnerung an das Schicksal weiblicher Gefangener zunächst ähnlich marginalisiert wie das der jüdischen Opfer bzw. der Sinti:zze und Roma:nja. Nach Ansicht der Autorin existierten weibliche Memorialisierungen offenbar nur virtuell, eingelagert und transferiert in das Medium Film (S. 51f.).

Für eingehende Analysen wurden zwei Dutzend Filme und Fernsehbeiträge ausgewählt, die zu einem Drittel aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stammten, zu einem Drittel aus der Bundesrepublik (davon einige auch aus dem vereinigten Deutschland nach 1989), zu einem weiteren aus verschiedenen west- und osteuropäischen Ländern, in einem Fall aus den USA. In einem Close-Reading-Verfahren, unterfüttert mit Screenshots, analysiert Baumgärtner Schlüsselsequenzen.

Die Studie kreist um Zeitzeugenschaft, welche Motivationen und Impulse von Akteurinnen auf der Produzentenseite hineingespielt haben und wie sie im Nachhinein für die teilnehmenden Protagonistinnen identitätsstärkend wirkten. Viele Produktionen entstanden durch tatkräftiges Mitwirken und Engagement Überlebender, ob beratend bei „Biopic“-Spielfilmproduktionen, in Reportagen, als öffentliche Personen in Wochenschauberichten und Fernsehbeiträgen zu Gedenkfeiern und vor allem als Gesprächspartnerinnen in zahlreichen Interviewfilmen, darunter auch ein Abschlussfilm an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR (S. 546ff.). So entstand ein „Flechtwerk der Erinnerungen“1, das an jüngste Untersuchungen zu Ravensbrück-Überlebenden als Vermittlerinnen in der Erinnerungsarbeit anschließt.2

Es sind zwar keine visuellen Dokumente über die Befreiung des Lagers 1945 überliefert und in das kollektive Gedächtnis eingegangen, doch habe dies keineswegs zu einem „filmischen Vergessen“ seiner Geschichte geführt, so die Autorin. Allerdings sei es erst in der Memorialisierung von einer breiten Öffentlichkeit als Frauenkonzentrationslager wahrgenommen worden. Im Kapitel „Frühe Imaginationen und Utopien“ steht vor allem Ostatni etap (Die letzte Etappe) im Vordergrund; entstanden ist der halbdokumentarische Spielfilm bereits 1946–48. Die Autorinnen Wanda Jakubowska und Gerda Schneider hatten selbst als politische Gefangene viele Jahre in verschiedenen Lagern und zuletzt im KZ Ravensbrück gelitten. Obwohl der Handlungsverlauf im Frauenlager von Auschwitz-Birkenau angesiedelt ist, begründet Baumgärtner die Hereinnahme in den Untersuchungskorpus: Als erste und lange Zeit einzige filmische Repräsentation eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers sei er in der Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit der Ravensbrück-Überlebenden vorrangig genutzt worden.

Zuerst als Projekt bei der Deutschen Film AG (DEFA) vorgesehen, konnte es nach mehrfachen Verhandlungen zwischen Polen und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und nach häufigen Umarbeitungen bei „Film Polski“ realisiert werden. Welchen Einfluss die Behörden bei dem Ensemble weiblicher Figurenzeichnungen nahmen, sparte die Autorin weitgehend aus (S. 101). Rekonstruiert wird die filmische Interaktion der Filmautorinnen mit den Darstellerinnen, wovon die meisten ebenso KZ- oder Lagererfahrung mitbrachten. Im Narrativ dieses „Ur-Films über weibliche Lagererfahrungen“ wurden so „sakrosankte Bilder weiblichen Widerstands“ geformt, vor allem wurden das filmische Resultat und die Dreharbeiten für die Beteiligten „gleichsam zum Transmitter zwischen individueller Reflexion dieser Vergangenheit und solidarischem Futurum im Filmbild“ (S. 103). Frauenbilder wurden freigelegt, die nicht immer der kulturpolitischen Kanonbildung dem sich festigenden kommunistischen Osteuropa zupasskamen. Die Rezeption des Films blieb bis in die jüngste Zeit in den medialen Öffentlichkeiten in Ost und West eher randständig, der Film wurde erst sehr spät als herausragend gewürdigt.

Für die 1960er-Jahre konstatiert Baumgärtner eine Verfestigung der Figur der Ravensbrück-Zeitzeugin (S. 237ff.), als Ravensbrück explizit als Frauenkonzentrationslager in der Öffentlichkeit präsent wurde, wobei die bis 1970 produzierten knapp 30 Filme und Filmbeiträge zum Thema Ravensbrück verhalten wahrgenommen wurden (S. 361). Diskutiert wird dies unter anderem am ersten Einführungsfilm Frauen in Ravensbrück (Joop Huisken und Renate Drescher; 1967), der etliche Jahre nach Eröffnung der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück“ realisiert wurde. Erstmals kamen Überlebende zu Wort, in spezifisch geschichtspolitisch gebundener Weise. Die Medialisierung weiblicher Zeitzeugenschaft verkörperte das Ravensbrück-Motiv „Weiblichkeit, Mütterlichkeit und kommunistisch-politisches Engagement“ (S. 345) und ermöglichte die Transformation von erzählter zu scheinbar objektiver Geschichte. An diesem Beispiel werden auch Reibungen mit dem offiziellen Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer offengelegt, vergleichbar mit dem politischen Gruppendruck in der Erinnerungsarbeit der anderen Lagerarbeitsgemeinschaften (LAG).

Eine der Stärken der Studie ist die Offenlegung medial vermittelter Spuren von Zeitzeuginnen. Dabei registriert die Verfasserin eine deutliche Diversifizierung in der „Medialisierung der Figur der Ravensbrück-Zeitzeugin als Autorität“ in den 1970er-Jahren (Kapitel 4). Der genaue Blick auf solche Interviewdokumente brachte auch Selbstversicherungsprozesse und eine Professionalisierung als Zeitzeugin zum Vorschein, wie etwa die vielschichtige biografische Konstruktion am Beispiel von Georgia Peet-Taneva (Jahrgang 1923), die noch kurz vor ihrem Tod 2012 zu Interviews bereit gewesen war.

Das öffentliche Interesse und die Zahl solcher filmischen Dokumente waren deutlich angestiegen. Vor allem die Arbeiten von Loretta Walz (Jahrgang 1955) stehen exponiert im Untersuchungsfokus; sie hatte in der Bundesrepublik Ende der 1970er-Jahre begonnen, Interviews mit Überlebenden aus Gefängnissen und Konzentrationslagern zu führen. Mehr als 200 Interviews ihrer Oral-History-Video-Projekte fanden Einsatz in Filmbeiträgen und TV-Features, in Gedenkstätten und Museen; sie sind für die Gedenkstätte Ravensbrück in einer Online-Datenbank verfügbar. Hinterfragt wird die Motivation von Walz‘ langjährigem Engagement. Baumgärtner sieht diese Projekte besonders unter dem Einfluss der internationalen feministischen Bewegung. Im Fernsehzeitalter sollten mediale Plattformen für leidens- und traumabesetzte Erinnerungen überlebender Frauen an entgrenzte sexualisierte Gewalt und Facetten des Widerstehens entstehen (S. 361); sicher sind sie auch als Manifestation im Zuge der Studenten-, Protest- und Emanzipationsbewegungen gegen die Verdrängung von weiblichen Schicksalen im Nationalsozialismus zu verstehen. Mehrfach wird auf Leerstellen und Ausblendungen eingegangen, so etwa in einem Exkurs über Erfahrungen mit Lesbisch-Sein im Lager Ravensbrück und über den repressiven Umgang in der Gedenkpolitik der DDR (S. 563ff.).

Leider ist der bemerkenswerten Lücke in der medialen Repräsentation beziehungsweise Nichtrepräsentation der Opfergeschichte von Olga Benario-Prestes in Ravensbrück unter erinnerungskulturellen Gesichtspunkten keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die zentrale Plastik der „Tragenden“ im Figurenensemble der Ravensbrück-Gedenkstätte, die ihr nachempfunden ist, wirkte in der Gedenkpolitik als buchstäblich überhöhtes „sakrales“ Symbol (S. 223), das nicht nur ihre Geschichte partiell überdeckte. Trotz ihrer Popularität und des Besuchs der Gedenkstätte von Tochter Anita Leocádia mit ihrem Vater Luís Carlos Prestes im Eröffnungsjahr ist in den audiovisuellen Medien der DDR außer einem Hörspiel nach Ruth Werners viel gelesener Olga-Benario-Biografie3 keine Verarbeitung überliefert. Vorarbeiten bei der DEFA und beim Fernsehen wurden nicht umgesetzt beziehungsweise administrativ blockiert, während in der Bundesrepublik vor 1989 ihre Geschichte kaum rezipiert worden ist. Erst 2004 entstanden eine brasilianische Biopic-Produktion auf Grundlage von Fernando Morais Recherchen4 und ein deutsches Dokumentarspiel.

Insgesamt liegt eine für weitere Forschungen sehr anregende Studie vor. Sie verzeichnet fast 60 Seiten Literatur und Quellen, darunter zahlreiche online-gestützte Datenbanken und chronologisch fast 200 Filmtitel bis 2019, die direkt oder kontextbezogen mit der Lagergeschichte und ihren Opfern im Zusammenhang stehen. Zu bemängeln sind die oft unvollständigen filmografischen Angaben und das fehlende Personenregister. Angesichts der Fülle an Namen und der häufigen Querverweise wäre es von großem Nutzen.

Anmerkungen:
1 Monika Seiffert, Flechtwerk der Erinnerungen. Aus dem Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung, in: Henning Fischer (Hrsg.), Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück. Geschichte und Nachgeschichte, Berlin 2020, S. 27–30.
2 Henning Fischer, Überlebende als Akteurinnen. Die Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Biographische Erfahrung und politisches Handeln 1945 bis 1989, München 2018.
3 In vielfachen Auflagen Ruth Werner, Olga Benario. Ein Leben für die Revolution, Berlin (DDR) 1961, erweiterte Neuauflage Frankfurt am Main 2010.
4 Fernando Morais, Olga, Sao Paulo 1985, deutsche Übersetzung: Köln 1989.