Cover
Titel
New Deal Radio. The Educational Radio Project


Autor(en)
Goodman, David; Hayes, Joy Elizabeth
Erschienen
New Brunswick, NJ 2022: Rutgers University Press
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 33,30; $ 29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Keßler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die New-Deal-Ära unter Präsident Franklin Delano Roosevelt folgte zeitlich der Entwicklung des Rundfunks zum Massenmedium in den 1920er-Jahren. Millionen Amerikaner hörten am 4. März 1933, wie der neue Präsident in seiner Antrittsrede die beiden wichtigsten Ziele des New Deal benannte: eine strenge Kontrolle des Finanzsektors und umfangreiche staatliche Maßnahmen, um Arbeitsplätze zu schaffen und Millionen von Arbeitslosen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Anders als in Italien und Deutschland war mit den dirigistischen Maßnahmen kein Abbau der bürgerlichen Freiheiten verbunden. Vielmehr sollte unter der Schirmherrschaft einer dafür geschaffenen Bundesbehörde, der Works Progress Administration (WPA), eine Vielzahl von Sozialprojekten angestoßen und (teil-)finanziert werden, in denen sich Eigeninitiative und sozial bewusstes Handeln im Interesse der Gesellschaft miteinander verbanden. Hierbei kam dem Privatrundfunk eine spezielle Aufgabe zu. Der Communications Act schuf 1934 die Voraussetzungen zur Bildung eines Federal Radio Education Committee. Dieses sollte im nationalen Rahmen, doch auch auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten und ihrer Lokalbehörden die Bildungsarbeit zwischen Pädagogen und Rundfunkanstalten fördern.

Kernstück dieser Vereinbarungen war das gemeinsame Educational Radio Project (ERP) des US-Bildungsministeriums, des Office of Education unter Leitung von John Ward Studebaker, und der beiden damals größten privaten Radioketten National Broadcasting Company (NBC) und Columbia Broadcasting System (CBS). Von 1935 bis 1940 produzierte das ERP mehrere Hundert Programmeinheiten mit tausend Sendestunden. In ihnen wurden nicht nur Maßnahmen und Schritte des New Deal propagiert, sondern auch anhand von Unterhaltungsprogrammen erläutert, wie die Bürger durch eigenes Mitwirken solche Maßnahmen umsetzen könnten.

Diese Fragen sind Gegenstand des Buches von David Goodman, University of Melbourne, und Joy Elizabeth Hayes, University of Iowa. Das australisch-amerikanische Autorenpaar verfolgt anhand ausgewählter Radioserien die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen mit privaten Rundfunkanstalten und betritt damit weitgehend Neuland der Forschung. Quellengrundlage sind neben Denkschriften und Korrespondenzen aus Regierungs- und Rundfunkarchiven eine Reihe erhaltener Sendemitschnitte, die sich zum Teil in den National Archives in College Park/Maryland befinden.

Das Projekt hatte von den Networks Werbezeit im Wert von ca. 3,5 Millionen Dollar erhalten, was heute rund 65 Millionen Dollar entsprechen würde (vgl. S. 3). Es suchte die Unterhaltungsfähigkeiten kommerzieller Rundfunkanstalten mit dem Fachwissen von Pädagogen zusammenzuführen. ERP-Direktor William Dow Boutwell und seine Mitarbeiter (deren Frauenanteil ständig wuchs) hofften, durch die Verbindung von Bildungsinhalten und Unterhaltungsprogrammen eine neue Form von demokratischer Erwachsenenbildung zu schaffen. Die Idee war, dass die Menschen nicht zuhören würden, wenn sie nicht interessiert und emotional involviert wären, und wenn sie nicht zuhörten, würden sie nicht lernen.

Im Ergebnis entstand das Programmformat der „Governmental Dramatized Documentary“; eines Genres, das Bildung in Form dramaturgisch gestalteter, meist 15-minütiger Dialoge in Hörspielform vermittelte. Es begann, anknüpfend an den NBC-Vorläufer Education in the News (1934) mit der gleichfalls von NBC ausgestrahlten Sendereihe Answer Me This in 47 Folgen von 1936 bis 1937. Hierbei wurden Fragen aus verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in populär-wissenschaftlicher Form erörtert. CBS zog noch 1936 mit der ähnlich gestalteten Sendereihe Have You Heard nach, wobei in 73 Folgen Fragen aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten beantwortet wurden. Safety Musketeers (CBS) richtete sich an Kinder und eine jugendliche Hörerschaft, andere CBS-Sendereihen behandelten Fragen der Verfassungsgeschichte (Let Freedom Ring!), der Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika (Brave New World) oder dem Beitrag unterschiedlicher Einwanderergruppen zur Kultur des Landes (Americans All, Immigrants All). Die NBC-Sendereihe Gallant American Women widmete sich in episodenhafter Form dem Beitrag von Frauen zur amerikanischen Geschichte.

„Familiendramen“ suchten die Sozialprogramme des New Deal zu popularisieren und konzentrierten sich dabei auf das häusliche Leben der weißen Mittelschicht. Am bekanntesten wurden die NBC-Serie Wings for the Martins (1938/39), das vom Office of Education in Zusammenarbeit mit dem National Congress of Parents and Teachers produziert wurde, und Pleasantdale Folks (1939/40), ein vom Social Security Board und dem Office of Education entwickeltes Programm, dessen Transkripte an zahlreiche kleinere Sender verteilt wurden.

Wings for the Martins forderte die Hörer auf, sich in der Familie Martin wiederzuerkennen, während sie die alltäglichen Probleme der Kindererziehung bewältigten. Zur Familie Martin gehörten Vater Arnold, der ein Eisenwarengeschäft besaß, Hausfrau Myra und die Kinder Patty (17 Jahre), Jimmy (12), Barbara (9) und Dicky (5). Jede Sendung begann mit der Ankündigung: „Wings for the Martins! Eine Sendung für uns alle, die wir zusehen, wie die junge Generation ihre Flügel ausprobiert!“ (S. 85) Durch leichtfüßig gestaltete Komik und humorvolle Situationen wurden in Wings for the Martins neue Erziehungsansätze vermittelt, wobei sorgfältig aufgezeigt wurde, wie Familien von den Lektionen, die die Familie Martin gelernt hatte, profitieren konnten. Die Medienwissenschaftlerin Herta Herzog, die damals begann, das Verhalten der Hörerschaft von Radioserien zu untersuchen, fand heraus, dass die Hörer durch fiktionale Serienprogramme bestimmte Lebensstrategien erlernten, dass aber diese Serien den Hörern zugleich mit dem Lerneffekt auch emotionale Befriedigung boten. Sie kam zu dem Schluss, dass die Serien für viele Hörer „zu einem Modell der Realität geworden zu sein scheinen, an dem man lernen kann, wie man zu denken und zu handeln hat. Als solche müssen sie nicht nur mit Blick auf ihren Unterhaltungswert geschrieben werden, sondern auch im Bewusstsein einer großen sozialen Verantwortung.“ (S. 87)

Pleasantdale Folks wurde in dreizehn 15-minütigen Episoden vom ERP in Zusammenarbeit mit dem Social Security Board (SSB), der WPA und NBC produziert. Das Geschehen spielte in der fiktiven Stadt Pleasantdale. Im Mittelpunkt standen die Figur des Joe Johnson und seine Familie, anhand derer die von der Roosevelt-Regierung vorgenommene Einführung und Ausweitung der staatlichen Alters-, Arbeitslosen- und Sozialversicherung für die amerikanische Öffentlichkeit erklärt wurde – in einem Land, in dem staatliche Eingriffe noch immer weitgehend abgelehnt wurden. Die Produzenten hofften, wie sie im Vorspann der Sendungen erklärten, die Zuhörer würden sich emotional mit der weißen Arbeiterfamilie Johnson identifizieren: „Lernen Sie die Familie Johnson aus Pleasantdale kennen: eine typische amerikanische Familie in einer typischen amerikanischen Stadt. Sie sollten Ihnen so vertraut sein wie die Menschen in Ihrem eigenen Haus, denn sie haben die gleichen Probleme, die gleichen Hoffnungen, die gleichen Sorgen und die gleichen Freuden, die jede Familie kennt.“ (S. 130) Die Hörerschaft solle sich auf die aufklärerischen Inhalte der Sendung einlassen. „Es überrascht nicht“, schreiben Goodman und Hayes, „dass Pleasantdale Folks die Sozialversicherung nicht als einen beispiellosen staatlichen Eingriff in das Leben der Menschen vorstellte. Wie auch andere Projektserien zielte sie darauf ab, der Ansicht entgegenzuwirken, dass der Aktivismus der Regierung im Rahmen des New Deal radikal oder außergewöhnlich war.“ (ebd.)

Doch zeichnete sich bereits 1940 das Ende des Projektes ab. Seine an den bürgerschaftlichen Gemeinsinn appellierende Konzeption stand dem profitorientierten Werberundfunk entgegen. So griffen Ende 1939 konservative Demokraten aus den Südstaaten im Zusammenspiel mit den Laissez-faire-orientierten Republikanern den Haushaltsentwurf an und kürzten im Ausschuss des Repräsentantenhauses den für das WPA beantragten Betrag radikal. Sie behaupteten, die WPA-Ausgaben würden von der Politik beeinflusst und die Hilfsgelder unverhältnismäßig stark in städtischen Gebieten ausgegeben (wo die Mehrzahl der Roosevelt-Anhänger wohnten). Damit setzten sie sich durch. Letztlich gelang es nicht, diese Art der Bildungsarbeit als dauerhaften Bestandteil der Arbeit des Office of Education zu verstetigen. Es blieb ein Notfall-Projekt, das mit befristeten Mitteln finanziert wurde. Dennoch kann, und das unterstreicht dieses Buch, das ERP als ein Vorläufer des National Public Radio (NPR) gesehen werden. Dieses wurde 1967, in einer Zeit des erneuten Anlaufs innenpolitischer Reformen, durch den Public Broadcasting Act ins Leben gerufen und begründete eine erfolgreiche Zusammenarbeit nichtkommerzieller Hörfunksender, die rechtlich und finanziell eigenständig blieben. Das sehr informative und lebendig geschriebene Buch ist somit nicht nur von politikhistorischem Interesse, sondern vermittelt auch Wissen über die Kontinuitäten und Brüche der jahrzehntelangen Bemühungen um eine Medienlandschaft jenseits des reinen Kommerzes in den USA.