G. Kammerer: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

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Titel
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Aber man kann es einfach tun. Mit einem Vorwort von Christian Staffa. Bildredaktion Ulrich Tempel


Autor(en)
Kammerer, Gabriele
Erschienen
Göttingen 2008: Lamuv Verlag GmbH
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Springer, Deutsches Historisches Museum, Berlin

Wetterkarten können eine hochpolitische Bedeutung haben: 1969 forderte der DDR-Zweig der Aktion Sühnezeichen in einem Schreiben die ARD auf, Deutschland auf der Wetterkarte der Tagesschau nicht länger in den Grenzen von 1937 zu zeigen – dies sei eine „ständige Provokation des noch immer und zu Recht mißtrauischen polnischen Volkes“ (zit. auf S. 130). In seiner Antwort stimmte ARD-Intendant Klaus von Bismarck der Kritik aus der DDR zu, stellte die Einführung einer rein physikalischen Wetterkarte in Aussicht und umschiffte so die gefährlichen Klippen bundesdeutscher Polenpolitik.

Quellenfunde wie dieser, in dem sich Belastungen und Chancen deutsch-deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte nach 1945 widerspiegeln, veranschaulichen in besonderer Weise den Wert von Gabriele Kammerers Darstellung der Geschichte der Aktion Sühnezeichen – einer Organisation, die von der historischen Forschung bislang weitgehend ignoriert worden ist. Doch auch die Organisation selbst behandelte – obwohl seit langem an führender Stelle auf dem Gebiet praktischer Geschichtspolitik tätig – die eigene Geschichte bis zu ihrem 50-jährigen Gründungsjubiläum, das 2008 mit einer mehrtägigen Festveranstaltung begangen wurde, eher stiefmütterlich.

Dabei gehört die Entwicklung von Aktion Sühnezeichen zu den spannendsten Geschichten, die die deutsche Nachkriegsgeschichte zu bieten hat. Fast alle erinnerungspolitischen Problemzonen sowie eine Reihe von deutsch-deutschen Beziehungs- und Konfliktfeldern – auch über die Zeit von 1989 hinaus – sammeln sich in der Geschichte der Organisation wie in einem Brennglas. Detail- und quellenreich schildert Kammerer vor allem die Anfangsjahre der 1958 von dem evangelischen Kirchenfunktionär Lothar Kreyssig während einer Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland begründeten Aktion Sühnezeichen, deren Absichten von der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt waren. Im Gründungsaufruf heißt es: „[Wir bitten] die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, daß sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun; ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten. Laßt uns mit Polen, Russland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten wehgetan haben.“ (S. 12) Aus der Initiative Kreyssigs entwickelte sich eine in zahlreichen Ländern tätige Organisation, die den Einsatz Tausender Freiwilliger koordiniert und damit in nicht unerheblichem Maße zur Vermittlung eines anderen Deutschland-Bildes in der Welt sowie zur Etablierung konkreter Friedensarbeit in Deutschland beigetragen hat.

Wie andere kirchliche Organisationen auch teilte sich Aktion Sühnezeichen seit dem Mauerbau in zwei nur noch lose und ohne gemeinsame Projekte miteinander verbundene Einheiten in Ost und West, die sich zunehmend ignorierten. Die allgemein zu beobachtende Sprachlosigkeit zwischen Ost und West ist in der Geschichte von Aktion Sühnezeichen deutlich spürbar. Die politischen Rahmenbedingungen, in denen sich die beiden Organisationen bewegten, führten auch zu weitgehend unterschiedlichen Aktionsformen. Während im Osten – wegen der fehlenden Reisefreiheit notgedrungen – die Arbeit im eigenen Land im Vordergrund stand, knüpfte der westliche Zweig ein Netz von Einsatzorten in vielen europäischen Ländern und in Israel. Auch wenn Kammerer betont und mit Beispielen belegt, dass schon bei den ersten Sühnezeichen-Freiwilligen die Bedeutung der christlichen Motivation für ihre Arbeit und die Kirchennähe der Organisation umstritten waren, entfernte sich der westliche Zweig wohl tatsächlich stärker von seinen Wurzeln als der östliche – eines von vielen Problemen, mit denen Aktion Sühnezeichen nach der Wiedervereinigung zu kämpfen hatte.

Ebenfalls fundamentale Unterschiede gab es beim Verhältnis der beiden Zweige zu Polen: „Nirgends schieden sie sich so deutlich wie an der Arbeit in Polen, an der Auswahl von Orten und Partnern.“ (S. 98) Während der Westzweig auf die Zusammenarbeit mit den polnischen Staatsorganen setzte und sich dabei bewusst oder unbewusst auch instrumentalisieren ließ, baute die ostdeutsche Aktion Sühnezeichen – schon durch die Politik des eigenen Staates gezwungen – auf private Kontakte und Aktionen. Insgesamt urteilt Kammerer über das Nebeneinander der beiden Teile von Aktion Sühnezeichen: „In der Praxis hat [die] Idee des deutsch-deutschen Dialogs als Ansatz zur Überwindung der weltpolitischen Lager selbst bei Sühnezeichen kaum funktioniert.“ (S. 101) Gründer und Zweckoptimist Kreyssig hatte kurz nach dem Mauerbau die Zweiteilung der Organisation noch als Chance zur Überwindung der Blöcke angesehen.

Eine wichtige Vorarbeit für weitere Studien zur Geschichte von Aktion Sühnezeichen dürften die von Kammerer als „Knüpfungen“ bezeichneten Quellentexte darstellen, die fortlaufend als eigene Textspalte den Haupttext ergänzen. Der Versuch, auf diese Weise zusätzliches Material zu liefern und wohl auch eine Nähe zum damaligen Geschehen zu vermitteln, ist allerdings nicht unbedingt leserfreundlich – beim Hin- und Herspringen zwischen Haupt- und Quellentext kann sich der Leser in den Knüpfungen leicht verheddern.

Hervorzuheben ist die umfangreiche Bebilderung des Buches. Der für die Auswahl zuständige Ulrich Tempel liefert in den ausführlichen Bildlegenden zu den häufig durch jahrzehntelange Verwendung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit von Aktion Sühnezeichen geradezu zu „Ikonen“ mutierten Fotos, aber auch zu Aufnahmen aus Privatbesitz Einblicke in die „Bildwelten“ der Organisation. Dabei stützt er sich nicht zuletzt auf Kommentierungen von Zeitzeugen – eine Quellengattung, die in Kammerers Text bedauerlicherweise zu kurz kommt.

Die ausführliche Analyse der gegensätzlichen Entwicklungen und der Wunden hinterlassenden Vereinigungsgeschichte zeigt, dass das Buch der Journalistin Kammerer zwar eine Auftragsarbeit der Aktion Sühnezeichen aus Anlass des 50-jährigen Gründungsjubiläums ist, sich jedoch keineswegs – wie bei Jubiläumsschriften nicht selten der Fall – in einer PR-Darstellung erschöpft. Mit ihrer ersten Gesamtdarstellung zur Geschichte der Aktion Sühnezeichen überhaupt liefert Kammerer eine tragfähige, wenn auch manchmal zu wenig in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebundene Basis, auf der in Zukunft – so ist zu hoffen – eine intensivere Beschäftigung aufbauen kann. Themen, die Kammerer allenfalls anreißen konnte, gibt es dabei genug: Von der Sozialstruktur und Motivation der Freiwilligen und der Ambivalenz des Sühnegedankens über die Rezeption der Arbeit von Aktion Sühnezeichen in den Einsatzländern und das Verhältnis zu anderen, in der westdeutschen Friedensbewegung mitwirkenden Organisationen bis hin zur Beobachtung und Infiltration von Aktion Sühnezeichen durch das Ministerium für Staatssicherheit eröffnet sich im Anschluss an die Lektüre von Gabriele Kammerers Darstellung eine breite Perspektive für zukünftige Forschungen.

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