Cover
Titel
On Screen and Off. Cinema and the Making of Nazi Hamburg


Autor(en)
Berg, Anne
Erschienen
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 67,99; $ 59.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Christian Führer, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Die Filme, die in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen (NS) Herrschaft entstanden, finden auch mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur immer noch ein intensives wissenschaftliches Interesse. Das Buch von Anne Berg (offensichtlich handelt es sich dabei um ihre Dissertation, die an der University of Michigan verfasst wurde) ist nur eine von mehreren Neuerscheinungen, die sich aktuell mit der nationalsozialistischen Filmwelt beschäftigen.1 Die Autorin will sich in ihrer Arbeit am Beispiel von Hamburg mit den „local usages of film“ (S. 3) beschäftigen, weil „the making of Nazism […] a rather local affair“ (S. 1) gewesen sei. Die Bedeutung, die Filme und das Kino als ein „instrument for policing“ (S. 3) im NS-System gehabt hätten, müsse daher auf der lokalen Ebene studiert werden – und Hamburg, als eine Stadt sowohl mit „global aspirations“ (S. 1) als auch mit einem ausgeprägten regionalen Selbstbewusstsein, sei dafür „an excellent case study“ (ebd.).

Die so eingeleitete Darstellung gliedert sich in vier Kapitel. Der erste Teil kombiniert allgemeine Informationen zur Hamburger Lokalgeschichte in den 1930er-Jahren mit Angaben zu der vielgestaltigen Kinolandschaft der Stadt und legt damit die Basis für die folgenden Abschnitte. Das zweite Kapitel mit dem Titel „On Screen: The Search for Authenticity“ untersucht die Bemühungen verschiedener Akteurinnen und Akteure, der Hansestadt und ihren Eigenheiten zu einer adäquaten filmischen Darstellung zu verhelfen. Solche Forderungen nach einem repräsentativen „Hamburg“-Film kamen etwa von lokalen Größen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), von den Filmkritikern der Hamburger Tageszeitungen und von Kinoenthusiasten, die sich in Vereinen organisierten. In diesem Zusammenhang beschreibt und diskutiert die Autorin ausführlicher zwei zeitgenössische Spielfilme, deren Handlung jeweils in Hamburg angesiedelt ist: „Ein Mädchen geht an Land“ von 1938 sowie „Große Freiheit Nr. 7“, 1944 gedreht, aber erst nach dem Ende des NS-Regimes öffentlich gezeigt. Während der erste dieser Filme (auch in Hamburg) recht erfolglos blieb und rasch vergessen wurde, kann „Große Freiheit“ unbestrittenermaßen als Filmklassiker gelten. Berg bewertet ihn als „a compelling testament to Nazi cultural grandeur“ (S. 50), als einen Film, der den Mythos von „good times“ unter der NS-Herrschaft dauerhaft konserviert habe.

Kapitel drei „Off Screen: Führerstadt and the Limits of Social Control“ setzt erneut in den 1930er-Jahren an und bietet einleitend einen Überblick über die gut erforschten Bemühungen der nazifizierten Hamburger Verwaltung, die Stadt auf musterhafte Weise im Sinne des NS-Regimes umzugestalten. Vom Kino ist erst wieder die Rede, wenn Berg die Kriegsjahre thematisiert. Sie zeigt, dass Beamte der städtischen Fürsorge die stark steigenden Zuschauerzahlen in den Kinos für höchst bedenklich hielten: Sie beklagten eine angebliche Dominanz „erotischer Szenen“ in nahezu allen dort gezeigten Spielfilmen und fürchteten um die Moral von Jugendlichen, zumal von Mädchen und jungen Frauen (vgl. S. 72f.). Die Autorin sieht in diesen Dokumenten einen Beleg für den Niedergang der NS-spezifischen „social control“ in den Kriegsjahren. In dem Bemühen, nicht selbst dafür verantwortlich gemacht zu werden, hätten die lokalen Behörden mit ihren Klagen die Schuld auf das Propagandaministerium abgewälzt (vgl. S. 75).

Das vierte und letzte Kapitel „Rubbled: Remnants of a Nazi City“ beschreibt ausführlich die massiven Zerstörungen, die alliierte Bombenangriffe in Hamburg im Jahr 1943 verursachten. Auch die Hamburger Kinolandschaft wurde durch den Bombenkrieg stark verändert. Zwar liefen in den unzerstörten Häusern rasch wieder Filme; die Stimmung von „resignation and apathy“ (S. 89), die sich unter den Hamburgerinnen und Hamburgern ausbreitete, sei jedoch nicht aufzubrechen gewesen. Auch der Neustart der Filmvorführungen nach dem Einmarsch britischer Truppen in der Hansestadt am 3. Mai 1945 wird dargestellt. Wie die Autorin zeigt, reagierten die Hamburger Kinobesucher in den nachfolgenden Jahren wenig begeistert auf importierte britische Filme – und sei es auch nur, weil Untertitel oder dürftige Synchronisationen ihnen den Spaß verdarben.

Ausführlicher vorgestellt wird der 1946 in Hamburg produzierte Spielfilm „In jenen Tagen“ von Helmut Käutner. Dessen episodische Handlung, in der die gesamte NS-Zeit in einem seltsam abgeklärten Ton Revue passiert, ließ und lässt sich unschwer als eine Negation der „Kollektivschuld“-These verstehen. Das Gefühl vieler Deutscher, sie seien die eigentlichen Opfer der vorangegangenen Jahre, fand so sehr früh eine filmische Bestätigung. Nebenbei bemerkt, handelt es sich bei dem Automobil, das in dem Film (absurderweise) als Voiceover-Erzähler fungiert, nicht um einen Volkswagen (VW) (wie die Autorin es suggeriert), sondern um einen Opel. Privat genutzte VW hat es in der NS-Zeit nicht gegeben; 1933 (dem Jahr, in dem die Filmhandlung einsetzt) existierten sie noch nicht einmal als Zukunftsprojekt. Am Ende des Buches steht keine Zusammenfassung der Darstellung und der Argumentation, sondern nur ein sehr kurzer „epilogue“, der sich noch einmal mit Hamburgs Rolle in der deutschen Filmwelt der ersten Nachkriegsjahre beschäftigt.

Wie diese kurze Skizze bereits andeutet, mangelt es der Arbeit von Anne Berg an einem klaren inhaltlichen Fokus. Fast wirkt es so, als habe sich die Autorin nicht entscheiden können, ob sie nun eine kurze Geschichte Hamburgs in der NS-Zeit für angelsächsische Leserinnen und Leser oder aber eine Spezialstudie über Film und Kino in der Hansestadt schreiben wolle. So bleibt die Darstellung assoziativ und skizzenhaft. Zwar sind die Zusammenfassungen der umfangreich vorliegenden Forschungsarbeiten zur Entwicklung der Hansestadt zwischen 1933 und 1945 meist prägnant und treffend; auch charakterisiert Berg die von ihr genauer vorgestellten Spielfilme anschaulich und anregend – ein umfassendes Bild, welche Bedeutung Filme und ihre „local usages“ in den NS-Jahren für die Hamburger Kinogänger hatten, entsteht jedoch nicht. Da das Buch selbst für eine US-amerikanische Dissertation schmal ausfällt (die Darstellung füllt inklusive der Anmerkungen 149 Seiten), scheint hier ein Mangel an aussagekräftigem Material zugrunde zu liegen. So stellt sich abschließend die Frage, ob Hamburg wirklich so exzellent für eine Fallstudie zur lokalen Filmgeschichte zwischen 1933 und 1945 taugt, wie die Autorin es einleitend postuliert.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa: Bill Niven, Jud Süß. Das lange Leben eines Propagandafilms, Halle 2022; Wolfgang Jacobsen, Der Film im Nationalsozialismus, München 2021; Joseph Garncarz, Begeisterte Zuschauer. Die Macht des Kinopublikums in der NS-Diktatur, Köln 2021; Reinhard Dithmar, Nationalsozialistische Propagandafilme, Ludwigsfelde 2020.

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