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Titel
Heinrich der Löwe. Eine Biographie


Autor(en)
Ehlers, Joachim
Erschienen
München 2008: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Schütte, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Heinrich der Löwe, der am 6. August 1195 in Braunschweig gestorben ist und in der von ihm ausgestatteten Blasius-Kirche seine letzte Ruhestätte gefunden hat, galt bereits den Zeitgenossen als treffendes Beispiel für Aufstieg und Fall eines hochmögenden Fürsten. Und in der Tat wurde der Welfe, der zum sächsischen Dukat von seinem Vetter, Kaiser Friedrich I. Barbarossa, 1156 auch noch das bayerische Herzogtum erhalten und in Norddeutschland eine königsgleiche Stellung aufgebaut hatte, 1179/1180 von seinen eigenen Standesgenossen zu Fall gebracht und ins Exil zu seinem Schwiegervater König Heinrich II. Plantagenet gejagt, aus dem er erst einige Jahre später zurückkehren konnte. Barbarossa hatte seine 1152 gewonnene Königswürde nicht zuletzt dem welfischen Verwandten zu verdanken. Doch nachdem der Staufer das Scheitern seiner Oberitalienpolitik eingestehen und zudem 1177 mit dem lange bitter bekämpften Papst Alexander III. Frieden schließen musste, war er offensichtlich nicht mehr in der Lage, sich wie früher schützend vor seinen Vetter zu stellen, dessen aggressiver Herrschaftsausbau in Sachsen und nördlich der Elbe die übrigen sächsischen Großen wiederholt zu Widerstand gereizt hatte. Überdies dürfte seit 1176 das persönliche Verhältnis belastet gewesen sein, als Friedrich angesichts eines bevorstehenden Lombardenfeldzuges Heinrichs Hilfsverweigerung hatte hinnehmen müssen. Selbst ein Autor wie der 1211 oder bald danach gestorbene Arnold von Lübeck, der dem Doppelherzog durchaus wohlgesinnt war, räumte ein, dieser sei letztlich Opfer seiner eigenen superbia geworden.

Diese bekanntlich für die gesamte Verfassungsentwicklung des hochmittelalterlichen Reiches wichtigen Ereignisse haben ebenso wie Heinrichs für das 12. Jahrhundert singuläre Braunschweiger Hofhaltung und sein damit verbundenes Mäzenatentum immer wieder das Interesse der gelehrten Welt auf sich gezogen. Neben den Arbeiten des 1984 verstorbenen Kieler Mediävisten Karl Jordan, der den Gang der Forschung über mehrere Jahrzehnte bestimmt und seine Forschungen 1979 überdies in eine Gesamtdarstellung gebracht hat, muss vor allem die 1995 anlässlich des achthundertsten Todestags des Löwen in Braunschweig gezeigte Ausstellung "Heinrich der Löwe und seine Zeit" genannt werden, in deren begleitenden Veröffentlichungen der bis dahin erreichte Kenntnisstand zusammengetragen wurde. Einen Nachhall fand dieser an der Oker begangene Gedenktag noch 1997, als der Berliner Historiker Joachim Ehlers auf 140 Seiten ein knappes Lebensbild des Welfen vorlegte, in dem er über die ältere Literatur hinaus Heinrichs Herrschaft wegen der Verbindungen zur anglonormannischen Welt in einer betont europäischen Perspektive sah.1

An diese und an einige weitere seither erschienene Arbeiten teils aus eigener Feder konnte Ehlers in seinem hier kurz vorzustellenden neuen Werk unmittelbar anknüpfen. Dabei bemächtigt er sich seines Stoffes abgesehen von einem "Prolog" (S. 11-19) in zehn großen Kapiteln, die mitsamt ihren Untertiteln von einem teils chronologisch-erzählenden, teils systematischen Aufbau des Buches zeugen. Im einzelnen ist die Rede von "Die Welfen, Sachsen und das Reich" (S. 21-46), "Der Erbe und seine Leute" (S. 47-78), "Die größere Welt" (S. 79-113), "Herzog" (S. 115-171), "Reichsfürst" (S. 173-227), "Hof und Herrschaft" (S. 229-268), "Patron und Stifter" (S. 269-316), "Der Sturz" (S. 317-344), "Exil" (S. 345-374) sowie "Tod und Gedächtnis" (S. 375-407).

Diese Übersicht zeigt bereits, dass alle für die Geschichte Heinrichs des Löwen wichtigen Entwicklungslinien und Ereignisse erschöpfend vorgestellt werden. Gerade dessen Rolle als Herzog und Reichsfürst bietet Ehlers aber die Möglichkeit, aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf strukturelle Begebenheiten des hochmittelalterlichen Reiches einzugehen und insbesondere das von Heinrich über Gebühr strapazierte Spannungsverhältnis von königlicher beziehungsweise kaiserlicher Autorität, Mitsprache der Großen und innerem Gleichgewicht des Kreises der Fürsten zu erörtern. Ehlers beschreibt damit zum einen wichtige Abschnitte der Reichsgeschichte des 12. Jahrhunderts, die sich nicht nur auf die Auseinandersetzungen innerhalb des Reiches etwa in der Zeit Konrads III., sondern auch auf die unter Barbarossa ausgebrochenen Konflikte in Oberitalien und mit Papst Alexander III. einschließlich der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf das Reichsgefüge erstrecken. Zum andern führt er den Leser tief in die Geschichte Sachsens und Nordalbingiens ein – Bayern hatte für den Löwen bei weitem nicht die Bedeutung wie Sachsen – und veranschaulicht an diesem Beispiel, wie fürstliche Herrschaft im 12. Jahrhundert aussehen und was sie bedeuten konnte. Dabei spannt er den Bogen vom reisenden Hof des Löwen und dessen Organisation, von der Ministerialität über einzelne Maßnahmen des Herrschaftsausbaus bis hin zur höfischen Kultur. Darüber hinaus fehlt es nicht an Sinn für Details aus dem Alltag, etwa wenn das in den Quellen als esnecca bezeichnete Schiff Heinrichs II. Plantagenet vorgestellt wird, auf dem auch Heinrich der Löwe den Ärmelkanal überquerte, oder wenn vermerkt wird, dass 1184/1185 auf eigene Anordnung des Königs das für den Schwiegersohn gebraute Bier abgerechnet wurde.

An Ehlers Darstellung sind neben der Präsentation des aktuellen Forschungsstandes, dem Materialreichtum, den Abbildungen, Tafeln und Karten, die den Text sinnvoll unterstützen, vor allem die klare Sprache und der klare Gedankengang eigens hervorzuheben. Im Anmerkungsteil, der an das Ende des Buches gestellt ist, werden jeweils einzeln die wichtigsten Nachweise aus den Quellen und der Literatur geboten, doch wird auf die Diskussion strittiger Sachverhalte verzichtet.2 Das Werk richtet sich also offensichtlich auch an ein über den engen Kreis der Fachgelehrten hinausgehendes Publikum, für das es jedoch gerade wegen des Untertitels "Eine Biographie", der bekanntlich angesichts der Quellenlage nicht einlösbare Erwartungen wecken kann, nützlich gewesen wäre, wenn Ehlers seinen Zugriff und die der genannten Darstellungsform für die mittelalterliche Geschichte innewohnende Problematik erläutert hätte.

Unabhängig davon lässt sich zusammenfassend sagen, dass Ehlers unser Wissen über die Gestalt Heinrichs des Löwen in ansprechender und wohlabgewogener Darbietung sichert und vermittelt. Insofern bereichert sein Buch den Kreis der in der vergangenen Zeit erschienenen Arbeiten vergleichbaren Zuschnitts auf erfreuliche Weise. Sie zeigen sämtlich, dass gerade die Ausrichtung der Geschichtsschreibung an einer einzelnen Persönlichkeit lohnend und erst recht spannend sein kann.

Anmerkungen:
1 Joachim Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter, Göttingen 1997.
2 Nicht mehr verarbeiten konnte Ehlers offensichtlich die literaturwissenschaftliche Dissertation von Leila Werthschulte, Heinrich der Löwe in Geschichte und Sage, Heidelberg 2007.

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