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Titel
Medienmetropole Hamburg. Mediale Öffentlichkeiten 1930-1960


Autor(en)
Führer, Karl Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
624 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hanno Hochmuth, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Wenn sich heute ein Ministerpräsident aus parteipolitischen Gründen der Vertragsverlängerung eines Fernseh-Chefredakteurs entgegen stellt, kann man das zu Recht als Skandal bezeichnen.1 Neu ist eine solche Einflussnahme demokratischer Politiker auf das deutsche Rundfunksystem jedoch keineswegs. Schon in der Weimarer Republik etablierte sich ein machtpolitischer Einfluss republikanischer Parteien auf den Rundfunk, ehe die extreme Rechte das Medium usurpierte. Nach 1945 scheiterten dann die Briten weitgehend mit ihrem Versuch, dem deutschen Rundfunk nach dem Vorbild der BBC eine dezidiert parteiferne Struktur zu geben. Dass diese Traditionslinien parteipolitischer Einflussnahme auf das deutsche Rundfunksystem klar aufgezeigt werden, gehört zu den Stärken von Karl Christian Führers Monografie „Medienmetropole Hamburg“, die an der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte entstanden ist.

Deutlich wird einmal mehr das Potential von Studien, die über die vertrauten politischen Zäsuren hinausgreifen. Führer spannt seinen Untersuchungszeitraum von 1930 bis 1960 und charakterisiert ihn als „mediengeschichtlich distinkte Epoche“ (S. 14), die von der Durchsetzung des Radios bis zur Etablierung des Fernsehens reiche. Doch widmet sich der Hamburger Wirtschafts- und Sozialhistoriker in seiner voluminösen Studie nicht allein dem Rundfunk als modernstem Massenmedium (Kapitel I), sondern auch den in Hamburg verlegten Zeitschriften (Kapitel II) und der Hamburger Tagepresse (Kapitel III). Es geht ihm um das massenmediale Ensemble in Hamburg und um den Prozess der zunehmenden Medialisierung des Alltags. Führer fragt nach der Bedeutung der Metropole für die Medienentwicklung und umgekehrt nach dem Einfluss der Massenmedien auf die urbane Gesellschaft. Damit möchte er Mediengeschichte und Stadtgeschichte zusammenführen.

Zu Beginn seines Rundfunkkapitels verweist Führer auf den Monopolcharakter und den paternalistischen Duktus des 1924 gegründeten Hamburger Senders. Dass 1932 erst etwa die Hälfte der Hansestädter vom Rundfunk erfasst wurde, begründet er nicht allein mit den hohen und stetigen Kosten des neuen Mediums, sondern auch mit der Ignoranz der Programmverantwortlichen gegenüber den Entspannungsbedürfnissen der Hörer, was Führer etwas kulturkritisch mit der Unterhaltungsorientierung der heutigen Radiolandschaft kontrastiert. Erst Goebbels habe Unterhaltungssendungen einen größeren Raum eingeräumt, um die aufwändig inszenierten Rundfunkreden Hitlers „im Dienste eines nationalen Emotionsmanagements“ (S. 93) besonders hervorzuheben.

Gleichwohl könnten die Nationalsozialisten nicht als Meister der Propaganda gelten. Zum einen habe das Sinken der Reallöhne im Zeichen der Aufrüstung die Hörerfamilie nicht zur erhofften vollständigen „Volksgemeinschaft am Volksempfänger“ anwachsen lassen. Zum anderen hätten die nationalsozialistischen Machthaber den häuslichen und beiläufigen Charakter des Mediums verkannt, indem sie die Aufnahmefähigkeit ihrer Hörer mit zweistündigen Hitlerreden restlos überforderten. Im Zweiten Weltkrieg habe die NS-Propaganda schließlich vollkommen versagt. Anhand von Spitzelberichten des Sicherheitsdienstes (SD) rekonstruiert Führer, dass das konsequente Verschweigen eigener Verluste an der Front und im Luftkrieg zahlreiche Gerüchte hervorbrachte und die Hörer massenweise zu den verbotenen „Feindsendern“ trieb. Zugleich konstatiert er allerdings: „Mit politischer Opposition oder gar Widerstand hatte dieses Informationsbedürfnis nichts zu tun“ (S. 104).

Nach dem Krieg schufen die Briten mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) einen zentralen Sender für ihre gesamte Besatzungszone. Dieses Gründungskapitel des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems der späteren Bundesrepublik interpretiert Führer als weitgehendes Scheitern an deutschen Traditionslinien. Die Parteien hätten sich entscheidenden Einfluss gesichert, die Entnazifizierung sei defizitär verlaufen und mit der Sezession des Westdeutschen Rundfunks (WDR) im Jahre 1956 habe sich schließlich auch der Weimarer Medienpartikularismus wieder durchgesetzt. Wirkliche Innovationen sieht Führer vor allem in technischer Hinsicht mit der Einführung zusätzlicher Programme im UKW-Bereich und dem Beginn des Fernsehens, das er in seiner Studie jedoch nur am Rande erwähnt.

Im zweiten Kapitel wird das Ensemble der in Hamburg verlegten Zeitschriften untersucht, denen der Autor eine wichtige Funktion als Motor der sozialen Differenzierung und technischen Rationalisierung zuschreibt. Gleichschaltung, Arisierung und Papierrationierung führten nach 1933 jedoch zu einem kontinuierlichen Niedergang des Zeitschriftenensembles, den Führer als einmaligen Vorgang in der deutschen Mediengeschichte wertet. Er spricht von einem „Verstummen der deutschen Gesellschaft“ (S. 216) und von einem Rückfall in vormoderne Zeiten. Vor diesem Hintergrund widerspricht er dezidiert neueren Wertungen des Nationalsozialismus, die unter dem Stichwort „Ambivalenz der Moderne“ auch auf modernisierende Effekte der Diktatur hinweisen.

Eingehend wird der Neuanfang unter britischer Kontrolle beschrieben. Schon in der Lizenzzeit bis 1949 seien die Grundlagen für Hamburgs Aufstieg zur Pressemetropole gelegt worden, den der Autor stark mit dem Namen Axel Springer verknüpft. Dessen Rundfunkillustrierte „Hör Zu“, die sich zur auflagenstärksten Zeitschrift der deutschen Pressegeschichte entwickelte, habe weitere Publikumszeitschriften mit großen Auflagen nach Hamburg gezogen, so etwa 1949 den „Stern“ und 1952 auch Rudolf Augsteins „Spiegel“. Führer bezeichnet diesen Prozess als „mediales Gravitationsprinzip“ (S. 262).

Das abschließende und weitaus umfangreichste dritte Kapitel ist der Hamburger Tagespresse gewidmet. Ausführlich werden die 24 Tageszeitungen, die vor 1933 im Großraum Hamburg erschienen, vorgestellt und parteipolitisch verortet. Führer argumentiert, dass die „bürgerlichen“ Blätter, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bestehen bleiben konnten, keineswegs „Widerstandsnester“ gewesen seien, sondern ebenfalls willige Vollstrecker der nationalsozialistischen Propaganda. Allerdings äußert er auch hier starke Zweifel an der Wirksamkeit der propagandistischen Bemühungen, die spätestens im Krieg längst nicht so effektiv gewesen seien, wie oft behauptet werde. Zum einen habe die radikale Kürzung der Papierrationen der gewünschten Intensivierung der Propaganda diametral entgegengestanden. Zum anderen habe die von Goebbels verordnete Sprach- und Bildlosigkeit angesichts des Bombenkriegs das Vertrauen der Leser in die Tagespresse nachhaltig untergraben. Das fast vollständige Beschweigen der weitgehenden Zerstörung Hamburgs durch die „Operation Gomorrha“ im Juli/August 1943 wird als „indirekte Kapitulationserklärung der NS-Propaganda“ (S. 425) interpretiert.

Nicht nur hinsichtlich der Zeitungsnamen und Verlagsstandorte, sondern auch in Bezug auf das Personal beobachtet Führer in der Nachkriegszeit starke Kontinuitätslinien in die Weimarer Republik und in die NS-Zeit. Gleichwohl attestiert er den ersten, notdürftig publizierten Lizenzblättern zumindest indirekt eine wichtige Rolle bei der demokratischen Umerziehung ihrer Leser. Entscheidend sei hierbei angesichts der fortbestehenden antidemokratischen Ressentiments in der Bevölkerung weniger der Versuch einer offensiven „re-education“ gewesen, sondern vielmehr, dass extreme politische Einstellungen nach 1945 keine mediale Verstärkung mehr erfahren hätten. Führer stellt grundsätzlich eine Entpolitisierung der Hamburger Tagespresse fest. Der traditionelle Gesinnungsjournalismus sei in den 1950er-Jahren immer mehr einem überparteilichen „Gefühlsjournalismus“ gewichen. Paradigmatisch hierfür sei der Erfolg des „Hamburger Abendblatts“ von Axel Springer, der in den 1950er-Jahren zum fast unumschränkten und seinerzeit kaum kritisierten Herrscher auf dem Hamburger Zeitungsmarkt aufstieg.

Intensiv wird der neuartige Erregungsjournalismus der „Bild“-Zeitung beschrieben, die Springer 1952 auf den Markt brachte. Dabei zeigt er auch, dass selbst der Verleger nicht uneingeschränkt über sein Blatt herrschen konnte und 1957/58 seine deutschlandpolitischen Ambitionen letztlich dem etablierten Erfolgsrezept seiner Zeitung unterordnen musste.2 Der unvergleichliche Siegeszug von „Bild“ steht für Führer auch dafür, dass die Tageszeitung ihre führende Rolle im medialen Ensemble eher noch ausgebaut habe. Er widerspricht daher Axel Schildts Charakterisierung der 1950er-Jahre als „Radiozeitalter“3 und hält dem entgegen, man könne mindestens ebenso gut von einem „Zeitungszeitalter“ reden. Letztlich plädiert Führer dafür, die 1950er-Jahre als qualitativ neue Phase der medialen Durchdringung des Alltags zu begreifen, in der das mediale Ensemble in all seinen Segmenten hinzugewonnen habe und Mediennutzung in allen Schichten zur Selbstverständlichkeit geworden sei.

Diese ehrgeizigen Schlussfolgerungen belegen eines sehr deutlich: Führers Studie besitzt einen weitaus umfassenderen Anspruch, als es der Titel „Medienmetropole Hamburg“ verspricht. Die Hansestadt dient ihm lediglich als Beispiel für die Untersuchung der modernen Massenmedien und der fortschreitenden Medialisierung der deutschen Gesellschaft. Aber genau hier liegt auch das Problem. Das Buch ist eine souveräne, detaillierte und überdies sehr erfrischend geschriebene Mediengeschichte. Eine Stadtgeschichte aber ist es trotz des vielversprechenden Anspruchs, beide Perspektiven zusammenzubringen, nicht. Dafür müsste die relationale „Eigenart der Stadt“ stärker berücksichtigt werden.4 Führer beschränkt sich statt dessen auf kursorische Bemerkungen zur Stellung Hamburgs in der deutschen Presselandschaft. Außerdem müsste nach dem Zusammenhang von sozialräumlichen Topographien und Massenmedien gefragt werden. Doch bis auf den Hinweis auf die häufig unterschätzte Rolle des Lokalteils in den Tageszeitungen und den lokalpolitischen Einfluss der „Bild“-Zeitung bleibt der lokalgeschichtliche Aspekt weitgehend unterentwickelt. So wird ein stadtgeschichtlich einschneidendes Ereignis wie die Bildung von Groß-Hamburg 1937 kaum thematisiert. Führer interessiert sich vielmehr für die großen Themen der deutschen Zeitgeschichte und gelangt dabei durchaus zu aufschlussreichen Ergebnissen, etwa was die Dysfunktionalität der NS-Herrschaft betrifft. Hamburg als Stadt kommt jedoch abgesehen von der „Operation Gomorrha“ und dem Aufstieg der Hansestadt zum Zentrum der deutschen Medienindustrie nach 1945 kaum vor. Die Studie könnte ebenso gut in einer anderen Großstadt angesiedelt sein.

Es verwundert daher kaum, dass das Verhältnis zwischen städtischer und medialer Öffentlichkeit letztlich vage bleibt. Das liegt auch daran, dass Führer seinen Öffentlichkeitsbegriff weder theoretisch fundiert noch historisch angemessen operationalisiert, obwohl hierfür bereits Angebote vorliegen.5 Seine These, dass die lokale Öffentlichkeit spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker von den Massenmedien durchdrungen würden, bleibt zu einseitig. Aktive Formen medialer Teilhabe durch die Nutzer beschreibt Führer nur am Rande. Insofern hält Führers Studie leider nicht alles, was sie verspricht. Unter dem Strich ist sie jedoch eine profunde Fallstudie zur deutschen Mediengeschichte.

Anmerkungen:
1 Die Rede ist vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der sich im Februar 2009 als Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats gegen eine Vertragsverlängerung des ZDF-Chefradakteurs Nikolaus Brender ausgesprochen hat.
2 Vgl. hierzu auch Karl Christian Führer, Erfolg und Macht von Axel Springers „Bild“-Zeitung in den 1950er-Jahren, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4 (2007), <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Fuehrer-3-2007>.
3 Axel Schildt, Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 446.
4 Vgl. Helmut Berking / Martina Löw, Wenn New York nicht Wanne-Eickel ist... Über Städte als Wissensobjekt der Soziologie, in: Dies. (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Städte (Soziale Welt, Sonderband 16), Baden-Baden 2005, S. 9-22.
5 Vgl. Jörg Requate, Öffentlichkeit und Medien als Gegenstand historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5-32.

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