P. Castillo u.a. (Hrsg.): Imagines

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Titel
Congreso Internacional: Imagines. La Antigüedad en las Artes Escénicas y Visuales. International Conference: Imagines. The reception of antiquity in performing and visual arts. Logroño 22-24 de Octubre de 2007


Herausgeber
Castillo, Pepa; Knippschild, Silke; García Morcillo, Marta; Herreros, Carmen
Erschienen
Anzahl Seiten
798 S.
Preis
€ 33,65
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Wieber, Dortmund

Durch eine Erweiterung des Kulturbegriffs um die Alltags- und Populärkultur neben einer Hochkultur eröffnet sich der Rezeptionswissenschaft der Antike ein immer weiteres Feld, das zunehmend in verschiedenen Ländern untersucht wird1, ohne dass die Ergebnisse immer miteinander vernetzt werden. So hat auch jüngst die an der Freien Universität Berlin organisierte internationale Tagung „Antike im Film – Gender on Screen“ gezeigt2, dass ein grenzübergreifender Austausch zu den Desideraten der Rezeptionswissenschaft zählt.3

Der vorliegende Band ist aus einer Tagung hervorgegangen, die 2007 an der Universidad de la Rioja mit Unterstützung der Technischen Universität Dresden und der University of Bristol veranstaltet wurde. Autorinnen und Autoren diverser altertumswissenschaftlicher Disziplinen von der Alten Geschichte über die Klassische Philologie bis zur Archäologie aus verschiedenen westeuropäischen Ländern und den USA bieten in 49 Artikeln ein facettenreiches Spektrum der Antikerezeption, wobei die Beiträge sehr unterschiedlich ausfallen: Neben der überwiegenden Zahl rein katalogisierender Aufsätze stehen andere, die den Funktionsmechanismen des Rezeptionsvorganges und den durch den jeweiligen historischen Kontext beeinflussten Intentionen der Antikeaneignung Aufmerksamkeit schenken. Entsprechend der thematischen Klammer, die die Untersuchungsgegenstände und nicht eine spezifischere Fragestellung benennt, handelt der Band die Rezeptionsgeschichte in drei Schwerpunkten und weiteren Subgattungen ab: im Bereich der darstellenden Künste (Theater, Oper und Film), der visuellen Künste (Architektur und Skulptur, Malerei und dekorative Künste, Comic, Werbung und Design) und schließlich der Fachdidaktik. Die breit gefächerten Aufsätze bieten Rezeptionsphänomene der griechischen und römischen Antike in nahezu allen Epochen der Neuzeit und sowohl aus dem europäischen als auch dem außereuropäischen Raum (so aus Südamerika und Japan). Einer der regionalen Schwerpunkte liegt auf Spanien, aber auch andere westeuropäische Länder sind mehrfach vertreten; der Großteil der Artikel ist in Spanisch abgefasst, die meisten verfügen aber über eine knappe englische Zusammenfassung, die man sich zuweilen jedoch ergebnisorientierter und sorgfältiger lektoriert gewünscht hätte.

In der Lektüre finden sich manch ungewöhnliche Rezeptionsschätze, von denen hier nur einige Beispiele genannt werden können: Der Abschnitt über das Theater stellt etwa die aktuelle Inszenierung der mythhistorischen „Gespräche mit Leuko“ von Cesare Pavese aus dem Jahre 1947 vor (Eleonora Cavallini), ferner das Barocktheater und dessen Thematisierung des Numantinischen Krieges (Sofía und Jorge A. Eiroa) sowie die Rolle, die der römischen Antike im kolumbianischen Theater beim Prozess der Nationenbildung zukam (Ricardo del Molino). Die Artikel zur Oper gehen etwa der habsburgischen Antikenrezeption (Pepa Castillo), aber auch dem Einfluss zeitgenössischer archäologischer Grabungsergebnisse auf die Ausstattung von Antikopern im 19. Jahrhundert nach (Milena Melfi); ein Prozess, der sich bekanntlich auch in der Malerei nachweisen lässt. Im cineastischen Bereich finden sich Figurenstudien zu Alexander dem Großen (Alberto Prieto / Borja Antela) oder zu (Halb-)Göttern im Film (bei letzterem Aufsatz von Martin Lindner dürfte insbesondere das Modell der transfigurativen Darstellung für die weitere Arbeit mit dem Themenkreis interessant sein); es geht aber auch um den Zusammenhang von Zeitgeist und Antikfilm oder um die Selbstreferenzialität des Mediums (Bernado Sánchez Salas: „[‚Quo vadis‘] is about the power of Technicolor and the empire of show“, S. 181).

Zum Unterkapitel über Architektur und Skulptur gehören beispielsweise Aufsätze über antike Kunstsammlungen, mit deren politischen Konnotationen Lord Arundel als Aristokrat vorsichtiger als König Charles I. umgehen musste (Silke Knippschild), über den Einfluss des antiken Theaters auf die Renaissancearchitektur (Carmen González Román) und die gegenseitigen Beeinflussungen zwischen der Wahrnehmung der vergangenen Antike und Gegenwartsprozessen am Beispiel der Rezeption der Tempel von Paestum (Christiane Kunst). Des Weiteren werden die große Wirkung des Typs der verhüllten Aphrodite auf die Renaissancekunst (Maria Elena Gorrini) und die sich auf die Antike beziehende wie von ihr abgrenzende Konzeption neuzeitlicher Kolossalstatuen (Brigitte Ruck) erörtert. In der männlichen Aktphotographie um 1900 erlaubte der Rückgriff auf die Antike gar eine Umkehrung des geschlechtsspezifisch codierten Blickes, da die dargestellten Männer erst durch den antikisierenden Habitus und Gestus als Objekte eines begehrenden Blickes inszeniert werden konnten (Jesús Martínez Oliva), und schließlich erweist eine ikonographische Untersuchung von frühchristlichen Altären deren Verwurzelung in paganen antiken Traditionen (Isaac Sastre).

Im Abschnitt zur Malerei und dekorativen Kunst weist J. H. Lesher nach, wie sehr der Maler Anselm Feuerbach bei der Visualisierung des platonischen Gastmahls auch unter Verwendung von Ergebnissen der zeitgenössischen Archäologie seine eigene Version der antiken Ereignisse ‚schreibt‘. Am Beispiel Lawrence Alma-Tademas, dessen vermeintliche Authentizität in der Darstellung antiker Szenen ihn bekanntermaßen zur Vorlage filmischer Kulissen werden ließ, kann Francisca Feraudi-Gruénais zeigen, wie der Maler beim Einsatz antiker Inschriften nach gründlicher Recherche eine eigene Kontextualisierung und Gewichtung vornimmt, die eher einer Authentifizierungsstrategie des Dargestellten als einer photographischen Abbildung der Antike dient. Antikisierende Zinnfiguren aus dem Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts, deren antikes Sujet – wie so häufig in der Rezeptionsgeschichte – beispielsweise beim Parisurteil die Darstellung ansonsten zensierter Nacktheit ermöglichte, stellt Thomas Mannack vor.

Den Bereich Comic, Werbung und Design leitet Marta García Mocilllo mit einem Aufsatz über die Instrumentalisierung antiker Symbole und Motive in der Plakatkultur von der Epochenwende um 1900 bis zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges ein; es folgen unter anderem Beiträge zu japanischen Mangas (Adexe Hernández Reyes) und Asterix in Spanien (Anna Pujadas). Pilar Iguácel stellt mit der seit 2005 erscheinenden spanischen Comicserie „Tartessos“ über eine spanische Stadt um 600 v.Chr. ein neomythologisches Projekt vor, dessen Konzept auch im Kontext einer Identitätssuche des andalusischen Teils Spaniens in neuerer Zeit zu sehen ist. Den didaktischen Teil des Bandes beschließen beispielsweise Artikel von Teresa García Santa María und Joan Pagès Blanch über den Stellenwert der Antike in der Sekundären Erziehung Spaniens und Südamerikas oder von Fernando Lillo über den Einsatz von Antikfilmen am Beispiel von „The Odyssey“, „A funny thing happened on the way to the forum“ und „Gladiator“ in der Schule mit der Präsentation entsprechender Beobachtungsaufträge für den Unterricht.

Bemerkenswert oft geht es in den Beiträgen um zweierlei Funktionen der Antike im Rezeptionsprozess: Zum einen kann sie als Ausweichstrategie dienen, um zeitgenössische Zensur zu umgehen, zum anderen vermittelt sie nicht nur den Künstlern, die sie adaptieren, sondern auch denen, die über ihre rezipierte Form als Auftraggeber, Sammler oder weiterer Rezipientenkreis verfügen, Legitimität.4 Auch fällt der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der archäologischen Fachwissenschaft und bestimmten Phasen der Antikerezeption ins Auge. Diesen Fragen und dem Problem der Rezeption der Rezeption sollte künftig verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ihr auf dem Klappentext des Buches geäußertes Versprechen, eine weitere Institutionalisierung der Rezeptionsforschung voranzutreiben, haben die Herausgeberinnen Pepa Castillo, Silke Knippschild, Marta García Morcillo und Carmen Hereros insofern eingelöst, als sie derzeit eine weitere Tagung mit dem Schwerpunkt „Seduction and Power“ zu diesem Themenkomplex vorbereiten, die im September 2010 in Bristol stattfinden wird.5

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Lorna Hardwick / Christopher Stray (Hrsg.), A Companion to Classical Receptions, Oxford 2008; Martin Korenjak / Stefan Tilg (Hrsg.), Pontes IV - Die Antike in der Alltagkultur der Gegenwart, Innsbruck u.a. 2007; Inken Jensen / Alfred Wiecorek (Hrsg.), Dino, Zeus und Asterix. Zeitzeuge Archäologie in Werbung, Kunst und Alltag heute, Langenweißbach 2003; Sandra Joshel / Margaret Malamud / Donald T. McGuire, Imperial Projections. Ancient Rome in Modern Popular Culture, Baltimore 2001.
2 Vgl. den Call for Papers unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11781>.
3 Für die englischsprachige Forschung vgl. etwa den Internetauftritt des „Classical Reception Studies Network“ unter <http://www2.open.ac.uk/ClassicalStudies/GreekPlays/crsn/index.shtml> (10.02.2010).
4 Zu den verschiedenen Instrumentalisierungen der Antike vgl. auch Salvatore Settis, The Future of the ‚Classical‘, Cambridge u.a. 2006, sowie Gerhard Altmann: Rezension zu: Malamud, Margaret: Ancient Rome and Modern America. Oxford 2008, in: H-Soz-u-Kult, 20.02.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=11942>.
5 Vgl. die Internetpräsenz unter <http://www.imagines-project.org/> (10.02.2010).

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