P. Meier: Zwischen Masse, Markt und Macht

Cover
Titel
Zwischen Masse, Markt und Macht. Das Medienunternehmen Ringier im Wandel (1833-2009)


Autor(en)
Meier, Peter; Häussler, Thomas
Erschienen
Zürich 2010: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
1078 S.
Preis
€ 72,50
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Gudrun Kruip, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart

Beeindruckt steht die Leserin vor dem Werk von Peter Meier und Thomas Häussler. Auf über 1000 Seiten stellen die Autoren minutiös die Entstehung und Entwicklung des Ringier-Verlags, des größten schweizerischen Medienunternehmens, dar. Anlass der Studie war ein archivalischer Zufallsfund: das offenbar vergessene Familien- und Firmenarchiv Ringier mit über 100 Laufmetern Quellenmaterial. Gerne hätte man etwas mehr über die Geschichte dieses Archivs gehört, auf dem die vorliegende Arbeit maßgeblich beruht. Warum wurde es vergessen, unter welchen Umständen wiederentdeckt, welche Zeiträume deckt es ab und welcher Art sind die vorgefundenen Quellen? Denn da das Archiv zum Zeitpunkt der Drucklegung neu strukturiert wurde, verzichten die Autoren auf eine detaillierte Angabe der 381 verwendeten Dossiers. Umso hilfreicher wäre eine quellenkritische Einordnung gewesen.

Die Fragestellungen, zu denen das Quellenmaterial anregt, sind jedenfalls ambitioniert, denn es eröffne „ungeahnte Perspektiven“ und ermögliche Erkenntnisse, „wie sie in der Schweiz bis dahin weder in der Geschichts- noch in der Medienforschung vorliegen.“ (S. 11) Daher sollte keine „herkömmliche Familienchronik“ entstehen. Die Studie will die spezifische Unternehmenskultur und -identität Ringiers, wie sie sich in den vergangenen 175 Jahren entwickelt hat, herausarbeiten, gesamtgesellschaftlich kontextualisieren und so ökonomische, soziale, politische und publizistische Aspekte aufzeigen. Mit diesem Ansatz soll zugleich eine medienhistorische Lücke geschlossen werden, denn zumindest in der Schweiz seien Medienunternehmen in der Forschungslandschaft noch nicht zwischen Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaft verortet (S. 13). Als besonderes Manko beschreiben die Autoren, dass selbst erfolgreiche Medienunternehmen kaum unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelt wurden (S. 22f.).

Ringier bietet sich für eine solche Untersuchung geradezu an, denn bei dem Konzern handelt es sich sozusagen um den schweizerischen Axel Springer Verlag. Mit seinen Boulevardzeitungen „Blick“ und „SonntagsBlick“, seinen über Jahrzehnte hinweg beliebten Zeitschriften wie der „Schweizerischen Illustrierten Zeitung / Schweizer Illustrierten“ oder „Sie & Er“ sowie seinem Engagement im Filmbereich erreichte er einen großen Teil der schweizerischen Bevölkerung. Ringier besaß darüber hinaus auch Beteiligungen an Warenhäusern, die zusätzlich die Liquidität des Unternehmens sicherten. Mit ihrer These, der Erfolg der Ringier-Blätter beruhe zumindest bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs auf dem unpolitischen Ansatz der überragenden Unternehmerfigur Paul Ringier, grenzen sich Meier und Häussler explizit von früheren Studien zum Verlag ab, können dies aber durchaus belegen (unter anderem S. 198, 210, 232). Die Blätter sollten die Position neutraler, wenngleich auch emphatischer Beobachter einnehmen und von dieser Position aus die Leser und Leserinnen informieren und an den Ereignissen teilnehmen lassen. Auch die unternehmerische Überlegung Paul Ringiers, dass die Publikationen vor allem der Auslastung der Druckerei dienen sollten, behielt trotz des großen Erfolgs der Zeitungen und Zeitschriften bis in die 1990er-Jahre hinein für den Verlag ihre Gültigkeit. Erst dann löste die Publizistik bei Ringier den Druckbereich als bestimmende Größe der Konzernpolitik ab.

Im ersten Band, der die Zeit zwischen der Gründung des Verlags als kleingewerbliche Druckerei 1833 bis zur Diversifizierung der Angebotspalette und der Entstehung moderner Unternehmens- und Managementstrukturen 1972 in den Blick nimmt, werden die genannten Fragestellungen immer wieder herangezogen, um den publizistischen und ökonomischen Erfolg des Konzerns zu erklären. Der Band folgt, ebenso wie der zweite, einem chronologischen Aufbau, stellt die führenden Persönlichkeiten vor und behandelt in einzelnen Kapiteln insbesondere die ökonomische Entwicklung des Verlags sowie die publizistischen Innovationen. Anschaulich und gut lesbar wird beschrieben, wie sehr das trotz gelegentlicher Rückschläge weitgehend kontinuierliche Wachstum von der handwerklichen Kleinstdruckerei zum Großkonzern auf solider Handarbeit, technischen Innovationen, Fusionen und publizistischen Neuerungen beruht. Die stetige Entwicklung verdankt sich unter anderem einem seltenen Eigentümerwechsel: In den gut 175 Jahren der Unternehmensgeschichte bis heute gab es nur fünf Generationen von Eigentümern, die stets eng in die Unternehmensführung eingebunden waren, seit den 1960er-Jahren allerdings von professionellen Managern unterstützt werden.

Insbesondere mit der Pressegeschichte der Schweiz ist die Entwicklung des Verlages und seiner Produkte im ersten Teil gut verknüpft; Erfolg oder Misserfolg der Ringier-Blätter wird nachvollziehbar geschildert, und der Einfluss historischer Ereignisse und Prozesse wie Industrialisierung, Weltwirtschaftskrise oder der Weltkriege auf die Lesebedürfnisse der Schweizer und Schweizerinnen wird immer wieder deutlich. Sozial- und Gesellschaftsgeschichte spielen demgegenüber eine geringere Rolle, ebenso die allgemeine Wirtschaftsgeschichte der Schweiz. Detailliert gehen Meier und Häussler jedoch schon im ersten Band auf die Entwicklung der Auflagenzahlen sowie die ökonomische Entwicklung des Verlagshauses selbst ein.

Im zweiten Band dagegen überwiegt die verlagsinterne Darstellung deutlich. Vermutlich fand sich hier eine besonders dichte Quellenlage vor, die den Blick auf das größere Ganze, das eigentlich ja der Focus der Studie sein sollte, verstellte. Nur so ist jedenfalls zu erklären, dass der Zeit von 1972 bis 2009, also den letzten 37 Jahren des behandelten Zeitraums, genauso viele Seiten eingeräumt wurde wie den 139 Jahren davor, ohne dass eine verstärkte Einbettung in größere gesellschaftliche, politische oder ökonomische Zusammenhänge erfolgt. Auch schon gegen Ende des ersten Bandes wünscht sich die Historikerin gelegentlich eine stärkere Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen Umstände in Bezug auf die Verlagsgeschichte und die inhaltliche Ausrichtung der Zeitungen und Zeitschriften. So wird zum Beispiel nicht ausreichend deutlich, worauf sich in den späten 1960er-Jahren die durchaus erwähnten gesellschaftspolitischen Proteste in der Schweiz bezogen und warum sie sich an den Presseprodukten des Ringier-Verlags festmachten. Nicht nur die marktbeherrschende Stellung des Verlags war ja in der Kritik, sondern auch Aufmachung und Inhalte der Publikationen, die in der Folge rasch an Auflage verloren. In Reaktion auf diese Proteste wurden die Ringier-Titel einem Anpassungsprozess unterzogen, der im zweiten Band zwar angesprochen wird. Doch diesem Prozess wird von Meier und Häussler nicht ausreichend die gesellschaftliche Realität der Schweiz gegenübergestellt. Die Leser müssen sich folglich mit der Information begnügen, dass der Auflagenverlust etlicher Blätter in den 1970er-Jahren zunächst weiterging – die Tabellen im Anhang zeigen, welche Titel um 1970 herum eingestellt wurden, welche sich aber zunächst auch durchaus eines Auflagenzuwachses erfreuen konnten. Zu Letzteren gehörten zum Beispiel gerade die Boulevardblätter „Blick“ und „Sonntagsblick“ (S. 1003f.).

Die Studie ist eine umfassende Darstellung des Verlagshauses Ringier. Dabei geraten insbesondere die führenden Akteure in den Blick, deren Handlungsoptionen kenntnisreich vorgestellt und somit transparent werden. Strukturen scheinen hier von der jeweiligen Persönlichkeit bestimmt zu werden, anders als Meier und Häussler im Fazit relativieren (S. 980f.). Für Historiker wäre eine engere Verzahnung der gesellschaftlichen, politischen und auch ökonomischen Bedingungen in der Schweiz mit der Entwicklung des Hauses und seiner Publikationen wünschenswert gewesen. Zumindest für die deutsche Presselandschaft liegen solche Forschungen bereits vor, und sie werden von den beiden Autoren laut Literaturverzeichnis auch für die vorliegende Arbeit herangezogen. Doch in den Details über Zahlen, Produkte und Personen bleibt das Ziel, den Verlag als Bestandteil eines größeren, in diesem Fall vor allem schweizerischen Systems zu begreifen (S. 18), eher auf der Strecke.

Das Buch ist jedoch eine Fundgrube für die ökonomische Entwicklung eines Verlags, der als handwerkliches Kleinunternehmen begann und in knapp 200 Jahren zum international agierenden Konzern anwuchs. Es liefert erschöpfend Auskunft darüber, wie sich der Verlag erfolgreich am hart umkämpften schweizerischen Pressemarkt zu etablieren und behaupten wusste, welche Printprodukte unter welchen Überlegungen und mit welchem Erfolg gestartet wurden und wie sich der Prozess der journalistischen Professionalisierung am Beispiel der Ringier-Blätter vollzog. Darüber hinaus ist es eine anregende, detailreiche und gutgeschriebene betriebswirtschaftliche Fallstudie. Neben einer quellengesättigten Darstellung der Bilanzen und Umsatzzahlen werden anhand des Ringier-Verlags die Stärken und Schwächen eines Familienunternehmens ebenso herausgearbeitet wie die Entwicklung professioneller Managementstrukturen.

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