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Titel
Family Business. Litigation and the Political Economies of Daily Life in Early Modern France


Autor(en)
Hardwick, Julie
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 257 S.
Preis
€ 66,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inken Schmidt-Voges, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Osnabrück

Um es gleich vorweg zu nehmen – mit ihrer Untersuchung zu Familienangelegenheiten im frühneuzeitlichen Frankreich hat Julie Hardwick eine Studie vorgelegt, der eine weit über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinausweisende methodische Bedeutung zu kommt. Im Zentrum ihrer Analyse steht die Justiznutzung durch die „middle-class working people“ als Teil einer umfassenden ökonomischen Strategie. Sie untersucht dabei die Regelung alltäglicher Angelegenheiten vor Gericht in Lyon und Nantes vornehmlich im 17. Jahrhundert. Damit weitet sie den Ansatz ihrer Dissertation aus, in der sie die Notare an französischen Niedergerichten im Hinblick auf ihr professionelles und alltagsweltliches Handeln und den jeweiligen Interferenzen herausgearbeitet hatte.1 Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass in Frankreich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine neue übergreifende staatliche Rechtsprechung zu ehelichen und häuslichen Verhältnissen eingeführt wurde. Hardwicks Ziel ist es zu untersuchen, inwieweit vor Gericht die Kongruenz von juristischen und moralischen Normen mit der sozialen Praxis erreicht werden konnte und diese damit der ihnen zugedachten Aufgabe gerecht wurden, politische Ordnung durch familiäre Stabilität zu erhalten.

Nun rücken also Ehe und Haushaltung als Kernressourcen der Lebensgestaltung in den Mittelpunkt, zu deren Erhalt und Nutzung Männer wie Frauen ganz unterschiedliche Strategien anwendeten. In fünf Perspektivierungen solcher Ökonomien entfaltet Hardwick das große Netzwerk aus Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Berufskorporation und Justiz. Leider bleibt der sehr zentrale Ökonomie-Begriff unreflektiert, so dass sich der Leser anhand des Gebrauchs selbst eine Verortung im Umfeld Bourdieuscher Ansätze erarbeiten muss. Vor dem Hintergrund und in den Spielräumen dieses Netzwerks werden die Strategien geschlechtsspezifisch, sozialstrukturell und kommunikativ eingebettet: „Economies of Marriage“, „Economies of Justice“, „Economies of Family Politics“, „Economies of Markets“, „Economies of Violence“.

Die „Economies of Marriage“ (Kapitel 1) konzeptualisiert Hardwick als eine Vielfalt an Möglichkeiten, mit dem sozialen Status des Verheiratet-Seins umzugehen. Als eine ausgesprochen ‚knappes Gut‘ war der Ehestand normativ das anzustrebende Ideal und entscheidend für den Zugang zum sozialen Kapital der Ehre, des Ansehens und neuer Handlungsspielräume. Gleichwohl war der Zugang hierzu bekanntermaßen begrenzt, so dass viele Kompromisse eingegangen wurden, um den Ehestand zu erlangen. Mindestens ebenso viele Strategien lassen sich in Gerichtsakten darüber finden, wie Männer und Frauen nach einer eigenmächtigen Trennung die Vorteile der Ehelichkeit weiter nutzten, um das soziale Ansehen zu erhalten. Insbesondere Frauen begannen in einer neuen Stadt ein neues Leben als angesehene Witwe. Weit wichtiger war aber der Aspekt der Vermögensbildung und -erhaltung durch die Eheschließung. Die zahlreichen gerichtlichen Klagen von Frauen auf eine Trennung der Gütergemeinschaft und auf Selbstverwaltung ihres in die Ehe eingebrachten Gutes fasst Hardwick als fortwährendes Management ehelicher Beziehungen auf. Gerade die Frage der Autorität innerhalb der Ehe stand dabei zur Debatte, wenn den Männern mangelnde Sorgfalt und Pflichtvergessenheit im Umgang mit dem gemeinsamen Kapital vorgeworfen wurde.

Inwieweit Frauen dabei der Weg der Justiznutzung offenstand und welche Rolle dem gerichtlichen Austrag in der weiteren Einbettung in die sozialen Netzwerke von Nachbarschaft und Verwandtschaft zukam, wird in den „Economies of Justice“ (Kapitel 2) behandelt. Der Organisation des Gerichtswesens kommt hier eine große Bedeutung zu, denn oftmals entschieden die Gerichtsschreiber darüber, ob eine Klage überhaupt vorgelassen oder abgewiesen wurde. Darüber hinaus spielte die Auswahl und Vorstellung der Zeugen eine wichtige Rolle. Gleichwohl weist Hardwick darauf hin, dass die Entscheidung wer, wann, wo, wie und mit welchen Zeugen eine Gerichtsklage anstrengte sehr stark von der Position der Kläger im Haushalt, der Einbindung in soziale Netzwerke und Berufskorporationen abhing. Dementsprechend ließen sich kaum generalisierende Aussagen machen, wohl aber in jeder individuellen Konstellation spezifische Bezüge zu den übergeordneten Rahmenbedingungen der Gerichtsbarkeit, der Normen, der Wirtschaftslage und Sozialstruktur finden.

Das führt die Verfasserin zu ihrem dritten, ihrem Kernpunkt: den „Economies of Family Politics“ (Kapitel 3). Sie verortet die gerichtlichen Auseinandersetzungen um häusliche Konflikte im Spannungsfeld zwischen der Bedeutung der Familie in der politischen Theorie, dem Anspruch zentraler Autoritäten, auch diesen Bereich regeln zu können, und den Zuschreibungen der lokalen Netzwerke. Sehr deutlich wird der Zusammenhang zwischen individuellen Konfliktverläufen, rhetorischen Darstellungen und Aushandlungsprozessen. Hardwick betont hierbei die besondere Bedeutung dieser oftmals vernachlässigten Ebene der Justiznutzung als eines hochpolitischen Prozesses. Denn hier, in den lokalen erstinstanzlichen Prozessen, setzten sich alle Beteiligten – Richter, Advokaten, Prokuratoren, Streitparteien und Zeugen – als „litigation communities“ (S. 90) darüber auseinander, wie häusliche Autorität im konkreten sozialen Kontext und in spezifischen Praxiszusammenhängen zu definieren, welches Verhalten erwünscht oder nicht mehr tolerierbar war. Damit hatten sie direkt oder indirekt Anteil an der allgemeinen Debatte über den Stellenwert häuslicher Ordnung im Gemeinwesen insgesamt (S. 90f.). Insbesondere den Richtern und beteiligten Anwälten in Zivilprozessen kommt hierbei eine eigene Akteursposition zu, die in ihrer Klarheit bisher so nicht untersucht wurde.

In den beiden letzten Kapiteln widmet sich Hardwick den unterschiedlichen Handlungsspielräumen bei der Erhaltung der häuslichen Liquidität. Insbesondere dem Kreditsystem von Frauen kommt in den „Economies of Markets“ (Kapitel 4) eine wichtige Rolle zu, da es für den Erhalt der häuslichen Wirtschaft oft von tragender Bedeutung war und – im Gegensatz zu dem der Männer – aufgrund der rechtlichen Ungleichheit wesentlich informeller, aber nicht weniger komplex organisiert war. Den Abschluss der Untersuchung bildet eine Analyse der häuslichen Gewalt als einer eigenen Form der Ökonomie (Kapitel 5), wobei die Autorin vor allem physische Gewalttätigkeit der Männer in den Vordergrund stellt. Ob dies dem spezifischen Fokus der Quellen geschuldet ist, bleibt offen. Das Fehlen von Gewalt gegen Kinder und Minderjährige in der Überlieferung erklärt Hardwick selbst damit, dass diese im Gegensatz zur ehelichen Gewalt kaum im Fokus der Obrigkeiten stand. Die aus anderen Regionen Europas bekannte Gewalt von Frauen gegen ihre Männer, von erwachsenen Kindern gegen die Eltern wird hier nicht behandelt. Auch in diesen „Economies of Violence“ spielen die Zuschreibungen der Nachbarn, deren Beobachtungen und Bewertungen eine zentrale Rolle, abermals wird das Gericht zur Bühne einer Autorisierung nachbarlicher Moralcodes.

Die Komplexität und Tiefe der Einzelanalysen und Querbeziehungen in Hardwicks Untersuchung entziehen sich den Möglichkeiten einer knappen Darstellung in einer Rezension. Sie bieten aber einen neuen Ansatz, um die vielfältigen Aspekte miteinander zu verbinden, die in anderen Untersuchungen bereits angeschnitten wurden.2 Insbesondere der Zugriff über erstinstanzliche Zivilrechtsprozesse ist ein sehr wichtiger, bereichernder Perspektivenwechsel, der in sozial-, politik-, rechts- und geschlechtergeschichtlicher Hinsicht weitergeführt werden sollte.

Anmerkungen:
1 Julie Hardwick, The Practice of Patriarchy. Gender and the Politics of Household Authority in Early Modern France, University Park 1998.
2 Aus den zahlreichen Untersuchungen wären hier zu nennen: Alexandra Lutz, Ehepaare vor Gericht, Frankfurt am Main 2007; Dorothea Nolde, Gattenmord. Macht und Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe, Köln 2003.

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