J. Stobart: Comfort in the Eighteenth-Century Country House

Cover
Titel
Comfort in the Eighteenth-Century Country House.


Autor(en)
Stobart, Jon
Reihe
Routledge Studies in Eighteenth-Century Cultures and Societies
Erschienen
New York 2021: Routledge
Anzahl Seiten
308 S.
Preis
€ 144,63
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fabian Zimmer, Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- & Technikgeschichte, Technische Universität Berlin

Obwohl Komfort uns als etwas Unscheinbares, Alltägliches begegnet, beschäftigt er Historiker:innen doch bereits seit geraumer Zeit. Insbesondere die Kunst- und Architekturgeschichte hat im 20. Jahrhundert begonnen, nach der historischen Entwicklung moderner Komfortvorstellungen zu fragen.1 Eine dezidiert geschichtswissenschaftliche Perspektive auf Komfort hat sich dagegen erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt, insbesondere mit John Crowleys vielbeachteter Studie The Invention of Comfort.2 In diese jüngere Tradition der Komfortforschung ordnet Jon Stobart, Professor für Geschichte an der Manchester University, sein 2022 erschienenes Buch Comfort in the Eighteenth-Century Country House ein, mit der er an einen 2020 erschienenen, breiter angelegten Sammelband anknüpft.3

Im Mittelpunkt von Stobarts Arbeit stehen die „Country houses“, die Landsitze der landbesitzenden Elite in England, doch blickt er immer wieder gewinnbringend ins europäische Ausland, insbesondere nach Schweden und Deutschland, aber auch nach Frankreich und in die Niederlande. Ebenso lose legt Stobart den zeitlichen Rahmen der Untersuchung an – seine Quellen aus einem langen 18. Jahrhundert reichen gelegentlich bis in die Mitte des vorangehenden und des nachfolgenden Jahrhunderts. Mit seinem Blick auf materielle Kultur, Alltagspraktiken und Emotionen im Country house wählt Stobart eine geeignete Linse, um die Geschichte des Komforts fokussiert zu untersuchen. Zugleich trägt sein Buch damit auch zur Historiografie des Country house bei. Sowohl gegenüber dieser Literatur als auch gegenüber der bisherigen Komfortliteratur zeichnet sich Stobarts Buch durch dichte Beschreibungen aus; es bietet in der Tat „a different view of the country house – one that gives more weight to the ways in which people interacted and felt about their surroundings“ (S. 258). Mit dieser Perspektive arbeitet sich Stobart insbesondere an John Crowleys These ab, Vorstellungen und Praktiken des Komforts hätten seit dem 18. Jahrhundert eine „modern emphasis on the self-conscious satisfaction with the relationship between one’s body and its immediate physical environment“ angenommen und ältere Dimensionen des Begriffs abgelöst.4 Stobart geht es demgegenüber darum, den Bedeutungshorizont von „comfort“ weit zu halten und jede einfache Teleologie zu meiden. Sein Buch „takes us beyond a narrow focus on physical comfort, important though it was to many householders, and links histories of the country house […] with histories of family, religion, memory and emotions“ (S. 2).

Die Darstellung gliedert sich entsprechend in zwei Teile mit je drei Kapiteln, die von Einleitung und Schluss gerahmt werden. Der erste Teil des Buchs bewegt sich insofern weitgehend in dem von Crowley und anderen abgesteckten Rahmen, als Stobart hier Architektur, Beleuchtungs- und Heizungstechnik sowie die Möbel in den Blick nimmt. Das erste Kapitel stützt sich weitgehend auf architektonische Traktate und Musterbücher und vollzieht daran eine Veränderung in Grundrissen und Funktionen des Country house nach. Stobart beschreibt eine im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmende funktionale Differenzierung der Räume, die insbesondere dem Wunsch nach mehr Privatsphäre gerecht werden sollte. Damit zeigt er, dass die primär auf Ästhetik und Repräsentation angelegte Bauaufgabe des Country house von Architekten des 18. Jahrhunderts durchaus auch im Hinblick auf ihre Funktionalität verstanden wurde. Kapitel zwei knüpft hier an, indem es Haushaltstechnik, vor allem zur Heizung und Beleuchtung, in den Mittelpunkt rückt. Stobart wendet sich hier gegen „functionalist approaches to comfort“ in der Forschung (S. 93), die einseitig an technischen Neuerungen interessiert seien und mit einem Mehr an verfügbarer Heizungs- und Beleuchtungstechnik bereits ein Mehr an Komfort identifizierten. Demgegenüber nimmt er eine konsumorientierte Perspektive an, die die ökonomischen wie kulturellen Abwägungen hervorhebt, die der Anschaffung und Nutzung bestimmter Leuchtmittel, Heizsysteme etc. im Country house zugrunde lagen und die Annahme neuer Techniken mal begünstigen, mal behindern konnten. Hier arbeitet Stobart sehr anschaulich die feinen Unterschiede sowohl innerhalb des Haushalts heraus – etwa, wenn die billigeren, aber stärker rauchenden und arbeitsaufwändigeren Talgkerzen für die Räume der Bediensteten und die privaten Räume der Familie eingesetzt wurden, während die teureren, aber pflegeleichteren Wachskerzen für den Empfang von Besuchern reserviert waren. (S. 74f.). Stobart blickt aber auch auf kulturell unterschiedliche Erwartungen und Präferenzen: Eindrücklich sind beispielsweise die Passagen, in denen Stobart englischen und schwedischen Reisenden ins jeweils andere Land folgt, wo diese entweder erschreckend zugige und kalte (in England) oder stickige und viel zu stark beheizte Räume vorfanden (in Schweden). Das dritte Kapitel widmet sich schließlich der Entwicklung von Möbeln, die Stobart in einen engen Bezug zu einem umfassenderen kulturellen Wandel im 18. Jahrhundert setzt. Hier führt Stobart den Begriff des „social comfort“ ein, den er vom „physical“ bzw. „material comfort“ abgrenzt. Zwar lasse sich im 18. Jahrhundert auch eine Entwicklung von Möbeln hin zu einer größeren Aufmerksamkeit für körperliches Wohlbefinden – etwa mit der Entstehung des Sofas – ausfindig machen. Diese Entwicklung sei allerdings nur vor dem Hintergrund einer zunehmenden Informalität in den Umgangsformen zu verstehen. Wo sich im streng formalisierten Sitzkreis möglicherweise materieller Komfort dank bequemer Möbel (und guter Beleuchtung und Heizung etc.) herstellen ließ, wurde dieser mit zunehmend informellen Formen der Interaktion als unangenehm empfunden (vgl. S. 125). Ihm fehlte der „social comfort“, den kleinere, intimere Sitzgruppen bieten konnten – weitgehend unabhängig vom materiellen Komfort der einzelnen Möbel.

Der zweite Teil betont „older established meanings of comfort as solace and consolation“ (S. 262) gegenüber dem „physical“ und „social comfort“, die in Teil eins im Mittelpunkt standen. Mit einem dritten Komfort-Typus, dem „emotional comfort“, verknüpft Stobart die Geschichte des Komforts und des Country house mit einer emotionshistorischen Perspektive. Dass diese Unterscheidung nur eine idealtypische sein kann, führt das vierte Kapitel sogleich vor: Hier widmet sich Stobart zunächst dem Unbehagen („discomfort“), das von schlechter Luft, Ruß, Schmutz oder Bettwanzen ausgelöst werden konnte. Diese emotionale Ebene körperlich-materieller Erfahrung spricht Stobart auch bereits in den vorangegangenen Kapiteln an, ohne sie aber als „emotional comfort“ zu bezeichnen. Die Abgrenzung erscheint daher mithin etwas willkürlich und lässt eine klare Emotionstheorie vermissen. Erst im Laufe des vierten Kapitels arbeitet sich Stobart dann zu dem vor, was er im engeren Sinne als „emotional comfort“ bezeichnet und in den verbleibenden zwei Kapiteln herausarbeitet: dass neben der zunehmenden Bedeutung von „physical comfort“ auch eine „language of comfort“ (S. 150) erhalten blieb, mit der Erfahrungen und Gefühle in religiösen Praktiken und der Beziehung zu Gott (Kapitel 4), in den Beziehungen zwischen Eheleuten, zwischen Eltern und Kindern sowie mit anderen Familienmitgliedern oder mit Freunden oder auch Hausangestellten (Kapitel 5) versprachlicht werden konnten.5 Hierbei betont Stobart die Bedeutung von Briefen, die nicht nur seine zentrale Quelle in diesen Kapiteln darstellen, sondern selbst zu materiellen Trägern von comfort wurden. Das abschließende Kapitel weitet diesen Gedanken aus und untersucht, wie Objekte zur Herstellung, Kuratierung und Aufrechterhaltung emotionaler zwischenmenschlicher Beziehungen und Erinnerungen eingesetzt wurden. Hier weitet Stobart seinen Untersuchungshorizont, um allgemeinere Vorstellungen von Häuslichkeit („home“) in den Blick zu nehmen. Dass die Frage nach dem Komfort dabei etwas aus dem Blick gerät, gesteht er selbst ein (S. 15). Nichtsdestoweniger ist die zweite Hälfte des Buches nicht nur vor dem Hintergrund einer überwiegend auf die materiellen Aspekte von Komfort spezialisierten Historiografie lesenswert, sondern auch gerade für ein deutschsprachiges Publikum von Interesse – schließlich buchstabiert Stobart hier die semantischen Ebenen von comfort im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen aus, die dem deutschen „Komfort“ weitgehend fehlen.

Stobart erzählt seine Geschichte sehr dicht an den Quellen. Er zieht Briefe, Gemälde und andere visuelle Quellen, literarische Quellen, Inventare, Auktionskataloge und verschiedene andere Quellengattungen zurate, um ein dichtes Netz historischer Stimmen zu weben. Das ist faszinierend und birgt detaillierte Einblicke in historische Lebenswelten, die besonders in Passagen wie den oben erwähnten gelingen, in denen Stobart seinen Leser:innen gleichsam erlaubt, den historischen Akteur:innen über die Schulter zu schauen. Zugleich kann diese Fülle für ein Publikum, das nicht sehr detailliert mit der Materie vertraut ist, bisweilen überfordernd wirken. Hier hätte die Darstellung gelegentlich durch thesenhafte Zuspitzung noch an argumentativer Kraft gewinnen können. Damit hätten Stobarts Befunde auch ein historisch fundiertes und komplexeres Licht werfen können, beispielsweise auf eine philosophische Kritik, die Komfort eindimensional als Treiber von Entfremdung betrachtet.6 Sie hätten so auch soziologische Arbeiten historisch anreichern können, die einen Zusammenhang zwischen der Entstehung moderner Komfortpraktiken und der ökologischen Krise der Gegenwart gezogen haben.7 Nichtsdestoweniger hat Jon Stobart mit Comfort in the Eighteenth-Century Country House eine quellengesättigte und differenzierte Studie vorgelegt, die für die kommenden Jahre einen wesentlichen Bezugspunkt der Komforthistoriografie bilden wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Siegfried Giedion, Mechanization Takes Command. A Contribution to Anonymous History, New York 1948; John Gloag, Victorian Comfort. A Social History of Design from 1830–1900, Newton Abbot 1961; Witold Rybczynski, Home. A Short Story of an Idea, Harmondsworth 1986.
2 John E Crowley, The Invention of Comfort. Sensibilities & Design in Early Modern Britain & Early America, Baltimore, MD 2001. Vgl. auch Joan E. DeJean, The Age of Comfort. When Paris Discovered Casual and the Modern Home Began, New York 2013.
3 Vgl. Jon Stobart (Hrsg.), The Comforts of Home in Western Europe, 1700–1900, London 2020.
4 Crowley, The Invention of Comfort, S. ix.
5 Mit William Reddy versteht Stobart comfort also durchaus überzeugend als ein emotive. Vgl. William M. Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001.
6 Vgl. Stefano Boni, Technologically-propelled Comfort. Some Theoretical Implications of the Contemporary Overcoming of Fatigue, in: Antropologia 3/1 (2016), S. 133–151; ders., Homo confort. Le prix à payer d’une vie sans efforts ni contraintes, Paris (2. Aufl.) 2022.
7 Vgl. Elizabeth Shove, Comfort, Cleanliness and Convenience. The Social Organization of Normality, Oxford 2004.

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