D. Sheffler: Schools and Schooling in Late Medieval Germany

Cover
Titel
Schools and Schooling in Late Medieval Germany. Regensburg, 1250-1500


Autor(en)
Sheffler, David L.
Reihe
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 33
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 417 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maximilian Schuh, Exzellenzcluster "Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne", Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Heterogen bis chaotisch gestaltete sich die mittelalterliche Bildungslandschaft im Reich nördlich der Alpen. Aufgrund ihrer inneren Widersprüchlichkeit entzieht sie sich immer wieder anachronistischen Versuchen einer retrospektiven Systematisierung durch die Historiographie. In seiner an der University of Wisconsin-Madison entstandenen Dissertation verzichtet David L. Sheffler auf die (Re-)Konstruktion eines mittelalterlichen Systems von Bildungsinstitutionen und zeichnet stattdessen ein konzises Bild der "educational landscape" (S. 15) des spätmittelalterlichen Regensburg. Denn trotz der im Vergleich zum Früh- und Hochmittelalter geringeren politischen und wirtschaftlichen Bedeutung blieb die Stadt aufgrund der Vielzahl kirchlicher Schulen ein herausragender Bildungsort des Spätmittelalters. Ausgehend von einer knappen Darstellung traditioneller bildungsgeschichtlicher Forschungskontroversen über die Beweggründe für das mittelalterliche Streben nach Bildung und das Verhältnis von kirchlichen und städtischen Schulen ist die detaillierte Darstellung der Vielschichtigkeit der Bildungsmöglichkeiten das erklärte Ziel der Arbeit.

In einem ersten Schritt stellt Sheffler die einzelnen Regensburger Dom-, Stifts-, Kloster- und Pfarrschulen vor, indem er akribisch Hinweise zu den jeweiligen Einrichtungen aus gedruckten und ungedruckten Urkunden, Statuten, Bibliothekskatalogen, Universitätsmatrikeln, Handschriften und anderen Quellen unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungsliteratur zusammenträgt. Dabei gelingt über die reine Darstellung institutioneller und prosopographischer Gegebenheiten hinaus die Einordnung der Regensburger Schulen in die städtischen und die überregionalen Kontexte. Die Konkurrenz der zahlreichen Schulen um Schüler wird ebenso wie deren unterschiedliches Zielpublikum deutlich herausgearbeitet. Beides hatte divergierende Interessen und eine relative Offenheit der kirchlichen Schulen für städtische Bevölkerungsgruppen zur Folge. Die enge Verbindung der Domschule, der Stiftsschule der Alten Kapelle sowie der Klosterschule von St. Emmeran mit der städtischen Führungsschicht konnten auch gelegentliche Konflikte nicht nachhaltig beeinträchtigen. Für den Bereich der nach außen weithin abgeschotteten mendikantischen Bildung argumentiert Sheffler überzeugend gegen das Bestehen eines franziskanischen Provinzialstudiums und für die regelmäßig wiederkehrende Existenz eines herausgehobenen dominikanischen Theologiestudiums sowie eines bedeutenden provinzialen studium generale der Augustiner-Eremiten. Aufgrund spärlicher Quellenbelege nehmen Frauen zugängliche Bildungseinrichtungen nur wenig Raum in der Darstellung ein, aber auch hier wird den unterschiedlichen sozialen Rekrutierungsmilieus gerade im Bereich der Bettelorden erhebliche Bedeutung zugewiesen. Obwohl Regensburg ein bedeutendes Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit darstellte, wird diese wegen der geringen Rückwirkung auf die städtische Bevölkerung nicht eingehender behandelt.

Im zweiten Abschnitt richtet Sheffler den Blick in die Schulen hinein und beleuchtet die Lehrpläne der verschiedenen Ausbildungsstufen vom Elementarunterricht bis zu den universitären Curricula. Die von ihm analysierten normativen Schriften, wie Schulstatuten aus dem süddeutschen Raum, aber auch das in der Yconomica des Regensburger Kanonikers Konrad von Megenberg dargelegte Bildungsprogramm, setzt er mit der aus mittelalterlichen Lehrbüchern – vor allem aus dem verbreiteten Es tu scholaris – rekonstruierten Lehrpraxis und den spärlichen Regensburger Befunden in Beziehung. Die Ausrichtung mittelalterlicher Schulbildung auf den korrekten Vollzug liturgischer Handlung – die nach Sheffler die Marginalisierung von Frauen erklärt – wird deutlich herausgearbeitet, indem der konkrete Erwerb der Fertigkeiten des Singens, Lesens und Schreibens sowie der Kenntnisse in lateinischer Grammatik nachgezeichnet wird. Für das Spätmittelalter konstatiert er jedoch eine zunehmende Laisierung der Unterrichtsgegenstände, die etwa anschauliche Beispiele aus dem Wirtschaftsleben im Rechenunterricht belegen. Hier wurden gerade in Regensburger Schulen die Interessen der städtischen Führungsschicht zunehmend berücksichtigt. Sheffler sieht hierin das Hauptargument gegen die Vorstellung von einem so genannten Schulstreit zwischen Kirche und Stadt. Auch der Präsenz von Wissen auf universitärem Niveau in der Stadt, vor allem in den studia der Minderbrüder, geht er nach. Die sozialen Lebenswelten der Lehrenden und Schüler verliert Sheffler dabei nicht aus dem Blick, sondern beschreibt die zunehmende Akademisierung des in der Begrifflichkeit der Quellen schwer zu fassenden Lehrerberufs und die dringende Notwendigkeit für einen Großteil der Lehrenden, sich durch Tätigkeiten als Schreiber und Vikar oder durch liturgische Hilfsdienste ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Die verbesserten Möglichkeiten für Schüler, etwa durch liturgischen Dienst im Chor ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, identifiziert Sheffler schließlich als eine grundlegende Bedingung für die Bildungsexpansion des 14. und 15. Jahrhunderts, die in der Folge die Erwartungen an die formalen Qualifikationen des Einzelnen erhöhte. Knapp wird abschließend der Unterrichtsalltag beschrieben. Die Erfahrungen der Schüler waren von der langen Dauer des Unterrichts, den permanenten Disziplinierungen und den körperlichen Züchtigungen geprägt, so dass die alltägliche Ordnung aufbrechenden Festlichkeiten wie das Bischofspiel und Virgat-Umgehen in Regensburg wichtige entlastende Funktionen einnahmen, auch wenn kirchliche Würdenträger diese wiederholt einzuschränken suchten.

Die sozioökonomischen Bedingungen von Wissenserwerb im universitären Bereich untersucht Sheffler in einem dritten Abschnitt, auch wenn eine Universitätsgründung in Regensburg selbst scheiterte. Hier reflektiert er die Erkenntnisse seiner intensiven prosopographischen Beschäftigung mit aus Regensburg stammenden Studenten vor einem breiteren universitätsgeschichtlichen Horizont. Als Motive für das Universitätsstudium verweist er auf die Möglichkeit, konkrete Fähigkeiten und Prestige zu erwerben sowie in Patronagenetzwerke aufgenommen zu werden. Sozialromantische Vorstellungen von der ständische Grenzen egalisierenden universitas magistrorum et scholarium werden verworfen. Blieb der Hochschulzugang in Italien bis zum 14. Jahrhundert wenigen wohlhabenden Studenten meist adeliger Herkunft vorbehalten, ermöglichten die Universitätsgründungen im Reich nördlich der Alpen dies nun einem breiteren Publikum. Besonders die Wiener Universität übte aufgrund traditioneller Handelskontakte, günstiger Gebühren und geringer Lebenshaltungskosten eine enorme Anziehungskraft auf Regensburg aus. Die Universität Leipzig war für Studierwillige aus ähnlichen Gründen attraktiver als Erfurt, bis durch die Gründung Ingolstadts 1472 die höheren Studienkosten dort durch die räumliche Nähe teilweise aufwogen wurden. Ärmere Studenten wandten sich nach Wien und Leipzig, reichere nach Ingolstadt und Erfurt. Als ausschlaggebend für die Studienortwahl identifiziert Sheffler neben wirtschaftlichen Überlegungen familiäre und soziale Netzwerke sowie die in den jeweiligen Städten wütenden Pestepidemien. Die Studienfinanzierung wurde durch Pfründen, Unterstützung der jeweiligen Orden, Vikariate, andere Stipendien und Arbeiten sowie durch direkte städtische Finanzierung gesichert. Gerade letzteres zeigt zusammen mit der Tendenz im Regensburger Patriziat, nachgeborenen Söhnen das Studium und damit eine sich selbst tragende geistliche Karriere zu ermöglichen, die zunehmende Bedeutung akademischer Ausbildung für die Durchsetzung der politischen Ziele der städtischen Führungsschicht. Die Besetzung städtischer Ämter in Regensburg mit graduierten Experten, deren Studium vom Rat finanziert wurde, ist eine Folge dieser Entwicklung, die Sheffler eindrucksvoll belegt.

Ohne Zweifel stellt diese Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Bildungsgeschichte des spätmittelalterlichen Reichs dar, da zentrale Fragen und Probleme der Forschung anhand des vielfältigen Regensburger Quellenmaterials intensiv diskutiert werden und Sheffler sich nicht scheut, pointiert Stellung zu beziehen. Leider stehen die drei Teile der Untersuchung relativ unverbunden nebeneinander, so dass vermeidbare Wiederholungen entstehen. Zudem ist anzumerken, dass er systematische Reflexionen von Aussagemöglichkeiten der vielen herangezogenen Quellengattungen unterlässt. Vorab geäußerte, grundsätzliche Überlegungen zum Quellenwert von Bibliothekskatalogen etwa hätten eine allzu rasche Gleichsetzung von Vorhandensein und Benutzung der Werke sowie die Redundanz einzelner quellenkritischer Bemerkungen verhindern können. Ungenauigkeiten bei den Literaturangaben und den Fußnoten wären ebenso vermeidbar gewesen, wie eine genauere Dokumentation der erwähnten, handschriftlich überlieferten Lehrwerke vermittels einer durchgehenden Beifügung von Folioangaben wünschenswert gewesen wäre. Dies schmälert die Leistung der Arbeit allerdings nur geringfügig, auch weil Sheffler seine prosopographische Grundlagenforschung zu Regensburg durch vier ausführliche Appendices vorbildlich erschließt, die gut ein drittel des Werkes einnehmen (S. 219-372). Die Untersuchung belegt eindrücklich die Bedeutung konkreter Detailstudien für grundlegende bildungsgeschichtliche Fragestellungen und bietet damit einen hervorragenden Anknüpfungspunkt für weitere Forschungen.