Thomas Must bedient mit dem dritten Band der Reihe „Gespräche des Sachunterrichts“ gleich zwei Desiderate: Er legt eine Sammlung historischer Themen für den Grundschulunterricht vor und fokussiert mit der Antike eine unterrepräsentierte und bei Kindern beliebte Epoche.1 Im Zentrum stehen das Bildungspotential der Antike für den Sachunterricht und die Überwindung einer Beliebig- und Ersetzbarkeit von Antikebezügen (S. 9f.). So verbindet die neun sehr heterogenen Beiträge das Bestreben, die Aktualität und Relevanz der Antike zu ergründen.
Knapp und anschaulich zeichnet Thomas Must den Zustand der Alten Geschichte im (Grundschul-)Unterricht und Museum nach. Hervorzuheben ist das motivationale Potential der Faszination für die römische Antike (S. 25). Die drohende Verinnerlichung von Erlebtem als Abbild der Vergangenheit relativiert Must dahingehend, dass Schulklassen selten ohne Führungen in Kontakt mit Objektivationen wie Reenactments oder experimenteller Archäologie träten. Jedoch konstituiert sich durch Faszination an geschichtskulturellen Objektivationen aller Art gerade im informellen Raum individuelles Geschichtsbewusstsein. Must plädiert für eine methodische und inhaltliche Anbindung von Antikethemen im Bildungsplan des Sachunterrichts (S. 26), wenn auch nur durch die Thematisierung der Römer vor Ort. Daran moniert er die Standortabhängigkeit von Grundschulklassen. Diese könnte womöglich durch virtuelle Realität (VR) und künstliche Intelligenz (KI) adressiert werden.
Die Relevanz, bei Kindern bestehende kognitive Konzepte im Unterricht aufzugreifen, zeichnet in einem weiteren Beitrag Markus Kübler auf Grundlage empirischer Befunde nach. Geschehe dies nicht, entstünden bestenfalls zwei alternative Erklärungen, wobei das im Unterricht vermittelte Wissen schnell wieder vergessen werde (S. 35). Solche Konzepte weisen häufig Klischierungen und Personalisierungen auf, die unter Umständen ein Abbild medialer Vermittlung von Geschichte darstellen (S. 31, 41). Des Weiteren werden Römer zumeist als Krieger vorgestellt und mit Kampf verbunden. Potentiale für Entwicklungsaufgaben sieht Kübler in der Förderung des Sachwissens, des Historizitätsbewusstseins, der Einsicht in den (Re-)Konstrukt(ions)charakter von Geschichte beispielsweise durch den Rückbau einer Lego-Ruine zu einem vollständigen Gebäude sowie der Förderung des Wirklichkeitsbewusstseins (S. 42f.).
Eva Luise Wittneben sieht das didaktische Potential der Auseinandersetzung mit antiker Geschichte in der Alteritätserfahrung und dem Verständnis für Fakten und Fiktionen (S. 51f.). Für die unterrichtliche Umsetzung macht sie konkrete Vorschläge (antike Spiele spielen, archäologische Funde erforschen, antike Bauelemente herstellen, kontroverse Vorstellungen von antiken Sportarten ausprobieren). Mit Verweis auf Thomas Späth warnt Wittneben vor der voraussetzungsreichen Interpretation antiker literarischer Quellen hinsichtlich Gattungsspezifika und Zeitumstände (S. 48). Daher schlägt sie die Verwendung archäologischer Quellen vor sowie die Nutzung von Darstellungen wie Sach- und Kinderbücher zur Informationsentnahme (S. 48). Noch vielversprechender ist womöglich der Ansatz, gerade solche geschichtskulturellen Formate als geschichtskulturelle Quellen unserer Zeit zu verstehen und deren Antikebezüge zum Untersuchungsgegenstand zu machen.
Den ersten Teil des Bandes beschließt Tobias Lorenz mit einem feuilletonistischen Blick auf die Primarstufendidaktik mit historischer Perspektive. Er folgt Thomas Martin Bucks These2, dass in der Grundschule prinzipiell alle Themen in allen Klassenstufen unterrichtet werden könnten (S. 63), zumal keine Notwendigkeit zur chronologischen Abfolge historischer Unterrichtsinhalte bestehe. Lorenz empfiehlt eine Praktikabilitätsprüfung für einige vielversprechende Anwendungsvorschläge wie Graffiti im Fächerverbund mit Kunst (Pompeji), Erziehung im Kontext von Menschen- und Kinderrechten (Sparta) sowie (mythologische und historische) Held:innen im Fächerverbund mit Deutsch.
Mit Kinderfragen im Sachunterricht, auf die Antike bezogen mit inhaltsbezogenen historischen Fragen, setzt sich Michael Otten auseinander (S. 77). Er plädiert dafür, einfache Fragen mithilfe von Scaffolding-Methoden (S. 83) zu erkenntnis- beziehungsweise problemorientierten Fragen weiterzuentwickeln. So würden Fragen, die zwar nur auf deklaratives Faktenwissen zielten, zur Annäherung an historische Themen aber hilfreich seien (S. 82), durch Impulse und Materialien wie Karten, Quellen, Darstellungen (S. 84) nutzbar gemacht. Zugleich würde durch das Sammeln von Fragen das Vorwissen von Kindern erhoben (S. 81, 85).
Berit Pleitner nimmt die geschichtskulturelle Prägung von Kindern zum Anlass, einmal gewecktes Interesse im Sachunterricht aufrecht zu erhalten und zu vertiefen (S. 87). Konkret schlägt sie die Analyse der Trajanssäule zur Förderung der historischen Methodenkompetenz vor (S. 89). Vorzüge erkennt Pleitner in der Nähe der kolorierten Rekonstruktionen der Säulennarrative zu Sehgewohnheiten der Kinder aus Comics oder Wimmelbildern (S. 90). Der Beitrag konkretisiert Antworten auf mögliche Schüler:innenfragen sowie Tipps für Lehrkräfte zur niederschwelligen eigenen Einarbeitung (S. 93). Zu bedenken sind die hohen Voraussetzungen an sachgerechte Interpretationen archäologischer Darstellungen vonseiten der Lernenden und Lehrenden, werden doch durchaus nicht militärische Realitäten abgebildet.3 Ein Risiko liegt gewiss in naheliegenden alltagsweltlichen Fehldeutungen.
Besonders hervorzuheben ist der Vorschlag von Monika Reimer und Thomas Must für die mehrperspektivische Beschäftigung mit Antike und Energie. Es werden sowohl historische als auch physikalische Präkonzepte von Kindern aufgegriffen und Vorschläge zur konkreten Unterrichtsgestaltung mit Quellenstellen (Vitr. 10,2; 5), Rekonstruktionszeichnungen und Fotografien von heutigen Maschinen geliefert. Der historische Zugang diene dazu, der „engen Verknüpfung von Strom und Energie“ vorzubeugen (S. 110). Energie sei vorhanden, so die Definition, wenn sich etwas verändere oder verändern könne (S. 103). Die Antike biete sich aufgrund der zeitgenössischen Texte zu Energienutzung und -gewinnung an (S. 110). Herausfordernd bleibt einzig der differenzierende Umgang mit physikalischer und historischer Zeit, beziehungsweise lässt sich aus physikalischen Zeitbeobachtungen nicht unbedingt historische Zeit ableiten (S. 103f.).
Die Hürde einer geographischen Distanz zwischen Regionalgeschichte im Sachunterricht und antikem Mittelmeerraum überwindet Thomas Lessig-Weller durch den Blick auf „indigene Bevölkerungsgruppen“ (S. 118) und deren Gemeinsamkeiten: Kelten und Germanen (S. 121). Weiterzudenken wäre ein Blick auf viele antike Bevölkerungsgruppen über die antike griechisch-römischen Mittelmeerwelt hinaus, um heterogenen Klassen einen Referenzpunkt für historische Kulturkontakte zu eröffnen. Lessig-Weller schlägt einen emotionalen Bogen zu antiken Kulturen am Mittelmeer (S. 128), wenn das Know-how zur Erzverhüttung als Import aus Griechenland (S. 124) oder Feste als kulturverbindendes Element thematisiert werden (S. 127). Aus dem Museumsalltag werden Unterrichtsvorschläge zu Hinterlassenschaften, Kleidungsstücken und Ernährung abgeleitet (S. 125–127).
Ebenfalls aus museumspädagogischer Perspektive stellen schließlich Alexandra Boßmann, Sabine Holländer und Jannik Rieckesmann Grundschulprogramme des LWL-Römermuseums in Haltern am See vor. Die Autor:innen thematisieren die Herausforderung ausgeprägter kriegerischer Bezüge des Museums am Ort eines antiken Militärlagers (S. 145) und verweisen auf Bemühungen um eine alltagsgeschichtliche Ausrichtung: Das Museum zeige römische Legionäre fern der Heimat im Feindesland (S. 133). Was hier den Sachbezug der Ausstellungen betrifft, gilt auch allgemein für das weitverbreitete Präkonzept von Kindern, Geschichte sei im Wesentlichen „Kampf“.4
Der Band überzeugt durch seinen unterrichtspragmatischen Mehrwert. Der wiederholt benannten Herausforderung für Grundschullehrkräfte, weder althistorisch vertieft ausgebildet noch archäologisch geschult zu sein, begegnen Sachinformationen und konkrete Ausarbeitungen.
Der Herausgeber greift das von Raimund Schulz formulierte Desiderat auf, die gesamte Antike didaktisch adäquat zu durchdringen (S. 19). Auch wenn dies vom vorliegenden Band nicht geleistet werden kann, zeigt er auf, welche Linien überwunden, weiterentwickelt oder neu gedacht werden müssen. Eine Leitlinie stellt meines Erachtens die mehrfach angesprochene Relevanz der geschichtskulturellen Prägung von Kindern dar. Verbunden mit dem Bedarf an historischen Angeboten für die Klassenstufe 1 und 2, in der die Thematisierung von Zeit und Temporalbewusstsein eine Unterforderung darstellt5, ist die Junktion von antikebezogener Geschichtskultur mit antiken Sachquellen auf Grundlage museumspädagogischer Expertisen vielversprechend. So können das Bildungspotential der Antike be- und die Beliebigkeit der Epochenwahl widerlegt werden. Um speziell althistorische Themen für den Sachunterricht attraktiv und anschlussfähig zu machen, ist – dies zeigt der Band außerdem – die Anbindung an mindestens eine weitere fachliche Perspektive des Sachunterrichts empfehlenswert.
Anmerkungen:
1 Vgl. Heinrich Ammerer, Konzepte historischen Denkens und ihre Entwicklungslogik. Eine Studie zur Genese historischer Verständnishorizonte, Frankfurt am Main 2022, S. 173.
2 Thomas Martin Buck, Themenbestimmung für das historische Lernen im Sachunterricht der Primarstufe, in: Michele Barricelli / Martin Lücke (Hrsg.), Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1, Schwalbach am Taunus 2012, S. 367–377, hier S. 267f.
3 Vgl. Markus Bernhardt, Das ferne und das nahe Rom. Das römische Kaiserreich zwischen Geschichte und Erinnerung, in: ders. / Björn Onken (Hrsg.), Wege nach Rom. Das römische Kaiserreich zwischen Geschichte, Erinnerung und Unterricht, Schwalbach am Taunus 2013, S. 13–34, hier S. 28.
4 Urs Bisang / Sabine Bietenhader, Historisches Denken von 4- bis 10-jährigen Kindern. Was wissen Kinder über das Mittelalter?, in: Beiträge zur Lehrerbildung 31.1 (2013), S. 100–106, hier S. 104.
5 Andrea Becher / Eva Gläser, Präkonzepte von Grundschulkindern zur historischen Methodenkompetenz. Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes „HisDeKo“, in: Monika Fenn (Hrsg.), Frühes historisches Lernen. Forschungsstand und -perspektiven empirischer Forschung, Schwalbach am Taunus 2018, S. 75–88, hier S. 85.