Titel
Vorindustrielle Lastsegelschiffe in der Schweiz.


Autor(en)
Reitmaier, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
235 S.
Preis
CHF 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timm Weski, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die 2006 an der Universität Innsbruck abgeschlossene Dissertation des Verfassers. Die zahlreichen Schweizer Seen und Flüsse bilden natürliche Wasserstraßen, die neben dem örtlichen Verkehr auch Teil des transalpinen Handels waren. Als Ergänzung sind künstliche Wasserstraßen zu nennen. Durch die Einführung der Eisenbahn verlor dieses Verkehrssystem an Bedeutung und ist heute bis auf wenige Ausnahmen, auf denen Motorschiffe verkehren, völlig verschwunden. Schriftliche und bildliche Quellen bieten nur eine unzureichende Basis für historische Interpretationen, besonders bezüglich des Aussehens und der Konstruktionsweise der Wasserfahrzeuge. Deshalb kommt den 42 aus Schweizer Seen bekannten Wracks besondere Bedeutung zu. Umgekehrt führt erst die Berücksichtigung aller Quellen zu historisch relevanten Aussagen. Da traditionelle Schiffe auf Schweizer Seen ohne genauere Definition unterschiedlich und dazu noch in verschiedenen Mundarten bezeichnet wurden, wählte der Verfasser den Ausdruck Lastsegelschiffe als übergeordneten Begriff. Damit wird auch verdeutlicht, dass es in dieser Studie nicht um Einbäume oder Passagierschiffe geht, sondern um Wasserfahrzeuge, die primär dem Transport von Lasten dienten. Abgesehen von kielgebauten Schiffen am Genfer See, die auf Vorbilder aus dem Mittelmeer zurückgehen, handelt es sich um flachbodige Rümpfe, die nach dem Prinzip der Grundplattenkonstruktion gezimmert wurden. Diese Bauweise, die auch unter dem Begriff bodengebaut bekannt ist, lässt sich bis in vorrömische Zeit zurückverfolgen. Allerdings handelt es sich um eine reine Zweckform, in der eine einfache Bauweise mit geringem Tiefgang und hoher Ladefähigkeit kombiniert ist, so dass offen bleiben muss, ob es sich um eine zurückreichende Schiffbaukonstruktion, Ideentransfer zwischen verschiedenen Gewässern oder unabhängigen Entwicklungen handelt. Die wenigsten Wracks, die der Verfasser auswertete, sind intensiv untersucht worden. Oft handelt es sich nur um Vermessungen und Sondierungen unter Wasser. Bei jedem Wrack erklärt der Verfasser nicht nur die schiffhistorischen Aspekte, sondern er geht auch auf handelsgeschichtliche Aspekte, Verbindungen zu historischen Überlieferungen und auf die Frage, ob militärische Schiffe die Konstruktion von zivilen Fahrzeugen beeinflusst haben könnte, ein. Ein weiterer Punkt gilt der Frage, an welchen Stellen in Seen am häufigsten mit Wracks zu rechnen ist und ob sich Fundplätze mit besonders guten oder schlechten Erhaltungsbedingungen herausarbeiten lassen. Die meisten vom Verfasser erfassten Wracks sind 100 – 200 Jahre alt, während ältere Exemplare selten sind. Bezüglich der Auffindungssituation lassen sich zwei Kategorien herausarbeiten. Einmal Wracks, die vollständig oder teilweise zur Uferbefestigung oder zum Bau von Molen verwendet wurden und deshalb oft am heute trockenen Seeufer oder überhaupt an Land, meist bei Bauarbeiten gefunden werden. Zum anderen solche, die durch Unfälle auf den Gewässern selbst verloren gingen. Diese liegen häufig in großer Tiefe, da andere Wracks entweder abgeborgen oder durch Wellen- und Eisgang zerstört wurden. Solche Fundstellen wurden eher zufällig von Sporttauchern entdeckt. Der Verfasser betont ausdrücklich, dass die Zusammenarbeit zwischen Amateuren und staatlicher Denkmälerpflege bei der Erkundung dieser Fundstellen in der Schweiz ein Novum darstellte.

Unter den vom Verfasser ausgewerteten Wracks sollen zwei kurz aufgegriffen werden. Zu den ältesten Funden zählt das Wrack von Wesen am Walensee, Kanton Sankt Gallen. Der langgestreckte West-Ost verlaufende See ist Bestandteil einer Fernhandelsroute, die teils auf dem Wasser-, teils auf dem Landweg von Zürich über Sargans und das Churer Rheintal über Lukmanier-, Septimer- oder Splügenpass auf die Alpensüdseite führte. Möglicherweise bestand diese Verbindung bereits in römischer Zeit. Besonders zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert n.Chr. wurde dieser Handelsweg bevorzugt genutzt. Bei Bauarbeiten stieß man 2003 in Walen am Ausfluss des Sees auf die Überreste eines Bootes, das, mit Steinen beschwert versenkt worden war, um als Fundament für eine Uferbefestigung zu dienen. Durch künstliche Seespiegelabsenkungen befindet sich die Mole heute auf trockenem Land. Obwohl nur kleine Teile des Rumpfes dokumentiert werden konnten, lassen sich doch etliche charakteristische Merkmale herausarbeiten. Die denrochronologische Untersuchung der verschiedenen hölzernen Bauteile ergab ein Baualter für das Schiff von 1527/28 n.Chr. Die in Blockkonstruktion errichtete Mole datiert auf 1586 n.Chr., das heißt das Fahrzeug war möglicherweise fünfzig Jahre in Gebrauch gewesen, bevor es sekundär verwendet wurde. Der Boden des flachbodigen, aus Fichte gezimmerten Schiffes wies eine Breite von 1,90 m auf. Da von den nach außen geneigten Bordwänden nur die unterste Planke erhalten war, kann die Gesamtbreite mit ca. 3,00 m nur geschätzt werden. Die Boden- und Seitenplanken stoßen stumpf aufeinander und waren, wie alle übrigen Bauteile mit Holznägeln aus Fichte oder Eiche miteinander verbunden. Damit fehlt diesem Rumpf bereits die bei älteren Fahrzeugen übliche L-förmige Planke am Übergang vom Boden zu den Seitenplanken. Deshalb muss vielleicht die bisherige Forschungsmeinung, der Übergang hätte sich zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert n.Chr. vollzogen, revidiert werden. Auf jeden Fall ist mit großen regionalen Unterschieden zu rechnen, da beispielsweise das eine der beiden auf 1755 n.Chr. datierten Lastschiffe aus der Weser bei Rohrsen noch dieses Konstruktionsmerkmal aufweist.

Auch der Vierwaldstättersee war Glied einer seit dem Mittelalter überlieferten kombinierten Wasser-/Landroute, die von Zürich über den Gotthardpass nach Süden führte. In den 1980er-Jahren wurde vor Undermatt, Kanton Luzern, ein Wrack entdeckt das auf 335±25 BP 14-C-datiert werden konnte. Es lag auf dem abfallenden Seegrund. Daher befindet sich das eine Ende in 30 m, das andere aber bereits in 40 m Wassertiefe. Es handelt sich um ein flachbodiges, 17,15 x 3,80 x 0,75m messendes Schiff, das mit diesen Abmessungen etwa den historisch überlieferten Ruchknechtnauen bzw. Knechtnauen entspricht. Das Wrack wurde unter Wasser dokumentiert und vor Ort belassen. Die Holzteile waren alle mit Holznägeln untereinander verbunden, lediglich der oberste Plankengang war mit eisernen Klammern an dem darunter liegenden befestigt. Allerdings dienten sie nicht zur Befestigung der Kalfaterung, so dass es sich hier um andere Bauweise als bei den sogenannte Sinteln handelt.

Diese beiden Beispiele zeigen bereits die Vielfältigkeit des vom Verfasser vorgelegten Materials. Der archäologische Fundstoff wird durch schriftliche und bildliche Dokumentationen des jeweiligen Sees ergänzt. Obwohl es sich dabei teilweise um jüngere Quellen handelt, bzw. sich diese auf Vorfälle beziehen, die sich archäologisch nicht nachweisen lassen, entsteht daraus ein geschlossenes Gesamtbild. Besonders betont werden muss die sehr geglückte Auswahl von historischen, bildlichen Darstellungen und Fotos, die in hervorragender Druckqualität wiedergegeben wurden. Eine Besonderheit stellt auch die Audio-CD mit einem zeitgenössischen Lied über den Untergang eines Schiffes auf dem Zürichsee 1764 dar. Der Verfasser hat mit dieser Arbeit einen Standard gesetzt, der für andere regionale Aufarbeitungen zu vergleichbaren Funden als Vorbild dienen kann. Bedauerlich ist lediglich, dass die Umfrage von 1900 über altertümliche Wasserfahrzeuge, die einige interessante Antworten aus der Schweiz enthält, nicht mit einbezogen werden konnte, da diese noch immer unpubliziert im Museum für Völkerkunde in Berlin schlummert.

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