P. Lahav: The Only Woman in the Room – Golda Meir and her Path to Power

Titel
The Only Woman in the Room. Golda Meir and her Path to Power


Autor(en)
Lahav, Pnina
Erschienen
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Nattermann, Neuere und Neueste Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Golda Meir verachtete David Ben-Gurions bekannte Aussage, sie sei „the only man in the cabinet“ gewesen, wie sie 1974 der Journalistin Oriana Fallaci gegenüber gestand. In Umkehrung der vielzitierten Bemerkung richtet eine neue Biographie der ersten und bislang einzigen Ministerpräsidentin Israels nun den Fokus auf „the only woman in the room“. Die an der Boston University lehrende Juraprofessorin Pnina Lahav betrachtet das Leben und die politische Karriere der zionistischen Pionierin aus einer Genderperspektive und schlägt damit eine Richtung ein, die sich von den zahlreichen, mehrheitlich politischen Biographien Golda Meirs auf faszinierende Weise unterscheidet. Das Werk begegnet dem aktuellen Interesse an jüdischen Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts, die sich als Frauen und Jüdinnen in zumeist männlich dominierten Führungskreisen behaupten mussten.1 Lahav stellt die Frau Golda Meir in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung und eröffnet damit eine veränderte Sichtweise auf ihre Hauptfigur, deren politische Entwicklung mit ihrem weitaus unbekannteren Privatleben untrennbar verbunden war und gleichzeitig in einem kontinuierlichen Spannungsverhältnis stand. Obwohl Meir zeitlebens misogynen Angriffen ausgeliefert war, distanzierte sie sich vom Feminismus und nahm als Ministerpräsidentin ausschließlich Männer in ihr Kabinett auf. Das Ziel der Verfasserin besteht darin, diese Widersprüche aufgrund einer kritischen Untersuchung des weiblichen Selbstverständnisses ihrer Protagonistin und der gegenderten Kontexte ihres Handelns zu analysieren.

Die Studie basiert auf den Memoiren Golda Meirs, (auto-)biographischen Werken ihrer Familienmitglieder und Weggefährten, Interviews, Zeitungsartikeln, Korrespondenzen und Fotografien. Im ersten Teil schildert die Verfasserin die Kindheit der Golda Mabovitz, die 1898 in einem Schtetl nahe Kiew im damaligen Russischen Kaiserreich zur Welt kam. Die Bedrohung der Familie durch ein bevorstehendes Pogrom gehörte zu Goldas frühesten Kindheitserinnerungen. Hineingeboren in eine traditionelle, patriarchalische Gesellschaft, entwickelte die Protagonistin ein deutliches Bewusstsein ihrer doppelten Marginalisierung als Frau und Jüdin. Zugleich war sie von starken Frauenfiguren umgeben, die ihr die Bedeutung weiblichen Empowerments vermittelten. Ihre ältere Schwester verkehrte in sozialistischen Zionist:innenkreisen und weckte auch in Golda ein Interesse an politischem Aktivismus. Die Zeit seit der Auswanderung der Familie nach Milwaukee im Jahr 1906 waren von Auseinandersetzungen der Heranwachsenden mit ihrem Vater, aber auch der Liebesbeziehung zu ihrem künftigen Ehemann, dem Intellektuellen Morris Myerson, und dem Beginn ihrer politischen Laufbahn in der zionistischen Arbeiterpartei Poale Zion geprägt.

Der zweite Teil widmet sich der Pionierin Golda, die 1921 zusammen mit ihrem Ehemann nach Palästina auswanderte und dort zunächst in dem Kibbuz Merhavia ihren Anspruch verfolgte, am Aufbau einer zionistisch-sozialistischen Kultur eigenhändig mitzuwirken. Lahav veranschaulicht sowohl die politische Leidenschaft und Befähigung als auch die bemerkenswerte weibliche Attraktivität und Ausstrahlungskraft der jungen Aktivistin, die sich unter ihren Gesinnungsgenossen hohes Ansehen erwarb und zur Vertreterin des Kibbuz in der Histadrut, dem jüdischen Gewerkschaftsbund Palästinas, gewählt wurde. Ihr Umzug nach Tel Aviv und politischer Aufstieg ereigneten sich parallel zu der Trennung von Morris Myerson. Goldas 1924 und 1926 geborene Kinder wuchsen weitgehend in der Obhut anderer auf; Mutterschaft allein konnte die ambitionierte Politikerin nicht ausfüllen. In Beziehungen mit selbstbewussten, geistreichen Männern wie dem Gewerkschaftsführer David Remez und dem späteren israelischen Präsidenten Zalman Rubashov (Shazar) stillte sie ihr intellektuelles Verlangen und lebte ihre sexuelle Unabhängigkeit aus. Sie widersetzte sich damit dem traditionellen Ideal der jüdischen Mutter, folgte aber gleichzeitig dem Rollenmodell ihrer männlichen Weggefährten, wie die Verfasserin hervorhebt.

Kritisch betrachtet Lahav auch die politischen Einstellungen ihrer Hauptfigur. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Meir bereits zur Spitze der Arbeiterbewegung und der Jewish Agency in Palästina. Ihr Ideal sozialer Gerechtigkeit jedoch hatte durchaus seine Grenzen, wenn es um nationale Fragen ging. In den zeitgenössischen Diskussionen über eine mögliche Teilung Palästinas plädierte die Politikerin entschieden für „one nation, indivisible“ (S. 115). Die in der israelischen Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 formulierte Gleichberechtigung von Männern und Frauen wiederum war Golda keiner Erwähnung in ihren Memoiren wert. Sie identifizierte sich mit den Prioritäten des parteipolitischen männlichen Establishments, für das Frauenemanzipation im neugegründeten Staat de facto eine untergeordnete Rolle spielte.

Während der ersten zwei Jahrzehnte nach der Gründung Israels, die im Mittelpunkt des dritten Abschnitts stehen, war die Protagonistin zunächst als Ministerin für Arbeit, seit 1956 als Außenministerin im Kabinett Ben-Gurions „surrounded by men“ (S. 149). Meir stellte die mehrheitlich traditionellen Weltanschauungen ihrer Kollegen nicht in Frage, um ihre Position für eigene politische Ziele nutzen zu können. Als Arbeitsministerin setzte sie den Social Security Act durch, der bedeutende Sozialleistungen wie Unfallversicherung, Mutterschutz und Mutterschaftsurlaub garantierte und damit gerade auch Arbeiterinnen neue Rechte gewährte. Gleichzeitig rüttelte sie nicht an den Grundfesten der traditionellen Familie, die der Frau die Rolle der Hauptversorgerin der Kinder und des Hauses zuwies, wenngleich Goldas eigener Lebensstil diesem Modell diametral entgegenstand.

Der letzte Teil des Buches beginnt mit ihrer Ernennung zur Ministerpräsidentin im März 1969 durch Präsident Zalman Shazar, Goldas einstigem Liebhaber. In den folgenden Jahren war die Protagonistin frauenfeindlichen Demütigungen in der israelischen Öffentlichkeit wie auch latenten misogynen Tendenzen innerhalb der Knesset ausgesetzt. Dennoch behauptete sie später in nahezu apologetischer Manier, Männer hätten sie zeitlebens unterstützt. Tatsache ist, dass sie keine Ministerposten mit Frauen besetzte und sich auch von der Frauenbewegung entschieden abgrenzte. Goldas konfliktreiches Verhältnis zum Feminismus untersucht Lahav anhand ihrer Auseinandersetzungen mit der zwanzig Jahre jüngeren Juristin, Menschenrechtsaktivistin und Feministin Shulamit Aloni, die 1973 die Partei „Ratz“ gründete. Für die Pragmatikerin Meir, die ihr Verhältnis mit dem konservativen Lager nicht kompromittieren wollte, war eine Öffnung gegenüber feministischen Ideen und die explizite Hinterfragung konventioneller Geschlechterrollen ausgeschlossen. Ihre Beziehung zu charismatischen, meinungsstarken Frauen war generell angespannt; ebenbürtige politische Akteurinnen duldete sie nicht an ihrer Seite.

Der Konflikt mit Aloni kulminierte im Anschluss an den Jom-Kippur-Krieg, für dessen verheerenden Verlauf ein großer Teil der israelischen Gesellschaft Golda persönlich verantwortlich machte. In einer Rede vor der Knesset im März 1974 übte Aloni massive Kritik an der Ministerpräsidentin und forderte den Rücktritt der „big mother“ (S. 283). Einen Monat später legte Meir, getroffen von den katastrophalen Auswirkungen des Krieges und gezeichnet von schwerer Krankheit, ihr Amt nieder. Während als Grund für die Versäumnisse der Politikerin zu Lebzeiten vielfach ihr Geschlecht angeführt worden war, avancierte sie nach ihrem Tod im Dezember 1978 zu einem Symbol für Resilienz und Authentizität, „something bigger than life“ (S. 293), wie Lahav resümiert.

Die Biographie besticht durch die empathische und zugleich kritisch-distanzierte Haltung der Autorin gegenüber ihrer Protagonistin. Sie erhellt die ausgeprägte, jedoch oftmals ignorierte weibliche Identität Golda Meirs, die in einem von Politikern und Militärs beherrschten Umfeld bewusst ihr Frausein mit ihren politischen Ambitionen ausbalancierte. Die Widersprüche ihres Handelns deutet Lahav als ein Symptom dieses kontinuierlichen Balanceakts. Während die leidenschaftliche Sozialistin für die Rechte arbeitender Frauen eintrat und sich selbst von traditionellen weiblichen Rollenmustern distanzierte, verpasste die politische Pragmatikerin die Chance, sich für die Gleichberechtigung von Frauen im neugegründeten Staat einzusetzen und die konventionelle Geschlechterordnung grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Sie blieb letztlich „die einzige Frau im Raum“. Die bemerkenswerte Studie ist jedoch weitaus mehr als eine feministische Biographie Golda Meirs. Mittels der akteurszentrierten Perspektive bietet die Autorin neue Einblicke in die von zionistischen Gesellschaftsidealen und Errungenschaften, aber auch der ungelösten israelisch-arabischen Frage geprägten Geschichte Israels im 20. Jahrhunderts, deren schwelenden Probleme in der gegenwärtigen Eskalation des Nahostkonflikts wieder unmittelbar zum Vorschein gekommen sind.

Anmerkung:
1 Jane Sherron De Hart, Ruth Bader Ginsburg: A Life, New York 2018; Dvora Hacohen, To Repair a Broken World. The Life of Henrietta Szold, Founder of Hadassah, Cambridge MA 2021.

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