M. van Creveld: Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute

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Titel
Die Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute


Autor(en)
van Creveld, Martin
Erschienen
München 2009: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 26,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Erik Fischer, Zivildienstschule Ith, Holzen

Martin van Creveld hat sich mit seinem neuen Buch „Gesichter des Krieges“ nicht wenig vorgenommen. Und so beginnt er auch weit ausholend: „Will man die Gegenwart verstehen, so studiere man die Vergangenheit. Woher kam die Kriegsführung im 20. Jahrhundert?“ (S. 8) Creveld versucht nichts anderes, als eine Geschichte des Krieges im 20. Jahrhundert vorzulegen. Er stellt sich dabei die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Armeen in der Lage waren „ganze Kontinente zu überrennen“ und wie es weiterhin möglich war, dass die meisten dieser Armeen heute in eine derartige Sackgasse geraten sind. Konkret scheint ihn besonders das Beispiel der Amerikaner im Irak zu bewegen, welches auch den Endpunkt seiner Überlegungen bildet, die ihren Anfang noch vor dem Ersten Weltkrieg nehmen. Das Projekt ist also sehr weit gefasst und es stellt sich die Frage, ob ein solches Thema überhaupt umfassend auf rund 350 Seiten abzuhandeln ist.

Über die Erfahrung dazu verfügt der Autor allemal. Martin van Creveld ist einer der bekanntesten Militärhistoriker der Welt. Aufsehen erregte er vor allem mit seiner Studie zur „Zukunft des Krieges“.1 Zentraler Gegenstand war und ist für ihn die Frage danach, wie der Krieg selbst und die Haltung zu ihm im Laufe der Zeit sich verändert hat. Über weite Strecken liest sich „Gesichter des Krieges“ aus einem solchen Verständnis heraus als ein Kompendium des gesammelten Wissens von Creveld, quasi wie ein Lebenswerk.

Dieser Umstand ist eine Stärke, erweist sich gleichzeitig aber auch als die größte Schwäche des Buches. Der enorme und nicht gerade ereignisarme Zeitraum, den Creveld abdeckt, zwingt ihn immer wieder zu Verknappungen und Auslassungen. So wird die Hälfte des Buches durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg dominiert, die ohne Zweifel zentral für die Entwicklung des Krieges waren. Der Kalte Krieg jedoch wird fast übergangen, wobei gerade hier wesentliche Wandlungsmomente des Kriegsbildes der zentralen Nationen zu beobachten sind. Dazu kommt das Problem, dass man bei einem solchen thematischen Umfang zwangsläufig einen Fokus finden muss. Den verortet Creveld logischerweise im Militärischen und spart dabei die Politik so gut wie aus. Zusammenhänge werden so stellenweise nicht deutlich oder einfach zu knapp dargestellt, was er selbst auch freimütig einräumt (S. 8f.).

Inhaltlich schwankt das Buch stets zwischen bewusster Provokation und Information. Als Nachschlagewerk für die Geschichte der Kriege im 20. Jahrhundert ist es nicht geeignet und wohl auch nicht gedacht; Creveld erzählt hier keine „Geschichte“, sondern Geschichten, was nicht abwertend gemeint ist. Der Stil ist zuweilen fast schon anekdotenhaft, oftmals streut er private Erlebnisse und Erfahrungen mit ein.

Für die Leser des deutschen Raumes mögen dennoch manche der Geschichten seltsam anmuten, vor allem wenn Creveld über den Schlieffen-Plan, der seiner Meinung nach im Kern gar nicht schlecht, sondern nur schlecht ausgeführt war, oder die Wehrmacht schreibt, die er auch hier, analog zu seinem Buch „Kampfkraft“2, nüchtern als ganz normale Armee beschreibt. Creveld enthält sich somit weitestgehend Wertungen. Nur manchmal bricht es scheinbar aus ihm heraus und dann werden seine Vergleiche schnell merkwürdig. Zum Beispiel stellt er immer wieder in einer wertenden Art und Weise die Handlungsweise der Wehrmacht denen der Amerikaner in Vietnam gegenüber, was durchaus legitim sein kann, sich stellenweise in seiner Darstellung aber irritierend liest (S. 264). An anderer Stelle verurteilt er die Spionage des FBI gegenüber den eigenen Bürgern während des Zweiten Weltkrieges, erwähnt aber mit keinem Wort das durch die Gestapo gestützte Denunziations- und Unrechtssystem des Dritten Reiches (S. 182).

Auch andere Schlussfolgerungen fordern zum Widerspruch heraus: Dass die Atomwaffen die Welt nach 1945 nicht gefährlicher, sondern friedlicher gemacht haben (S. 228), oder dass der wachsende Frauenanteil in militärischen Institutionen stets ein Indikator für den Niedergang eben dieser Institutionen war. Scheinbar findet die Frau in Crevelds Konstruktion des Militärs allenfalls als Marketenderin oder als glühende Verehrerin der Piloten des Ersten Weltkrieges Platz. Darüber hinaus verstrickt er sich hierbei noch in Widersprüche, wenn er behauptet, dass das Deutsche Reich und Japan die Frauen während des Zweiten Weltkrieges am besten behandelt hätten, dabei aber nur die eigenen Frauen und nicht fremde meint, die durchaus zur Zwangsarbeit im Dritten Reich herangezogen wurden, wie er auch selbst schreibt (S. 180). Und seine Behauptung, dass das "Dritte Reich" gegen weibliche Mitglieder des Widerstandes nicht derartig hart vorging, wie gegen die Männer, sorgt nur für Unverständnis: Diese wurden nämlich ins Konzentrationslager deportiert, während die Männer exekutiert wurden.

Worin wird nun aber der „Wandel des Krieges“ im 20. Jahrhundert deutlich. Leider verpasst es das Buch, hier eine eindeutige Struktur zu schaffen; Kriterien, die den Wandel deutlich machen könnten, werden nicht definiert, stattdessen greift Creveld immer wieder auf statistisches Material zurück, was sich in seiner bloßen Darstellung immer wieder beeindruckend liest, oftmals aber auch falsch kontextualisiert wird. So schreibt er, dass die US Air Force im Jahr 2000 für die Anschaffung von 300 neuen F-22-Jagdflugzeugen einen Zeitraum von zehn Jahren veranschlagte, während man im Zweiten Weltkrieg 30 Jagdflugzeuge in zwei Stunden produzierte (S. 240). Dabei vernachlässigt Creveld aber, dass die Flugzeuge der heutigen Zeit einen ganz anderen technischen Standard erfüllen als noch zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges und das sie darüber hinaus extrem kostenintensiver geworden sind.

Den Scheideweg in der Entwicklung des Krieges verortet Creveld zum Zeitpunkt des Abwurfes der ersten Atombombe über Hiroshima. In der Folgezeit hat es keine Kriege mehr zwischen den großen Akteuren der Weltpolitik gegeben, sondern solche an der Peripherie und damit zwischen Ländern der so genannten Zweiten oder Dritten Welt, wobei sich die Weltmächte öfters auch in solchen engagierten. Im Anschluss an seine Überlegungen aus früheren Publikationen fragt Creveld auch hier, warum die großen Mächte solche Probleme bei der Aufstandsbekämpfung hatten und immer noch haben. Augenfällige Beispiele sind für ihn natürlich die Vereinigten Staaten in Vietnam, Frankreich in Algerien und Indochina und Großbritannien, wobei besonders zum letzteren Dierk Walter erst kürzlich äußerst interessante und aufschlussreiche Gedankengänge publiziert hat.3 In der jüngsten Vergangenheit entdeckt Creveld lediglich zwei Beispiel gelungener Aufstandsbekämpfung: das der britischen Bekämpfung der IRA und die Niederschlagung des Aufstandes der syrischen Muslimenbruderschaft durch das Assad-Regime in den 1980er-Jahren. Aus beiden entwickelt er nun ein Modell, mit dem Aufstandsbekämpfung gelingen kann. Entweder man verzichtet weitestgehend auf den Einsatz von massiver Gewalt, wie es die Briten letztendlich nach den Ereignissen des „Bloody Sunday“ in Nordirland getan haben und überzeugt damit die Bevölkerung. Oder aber man setzt auf den massivsten Einsatz von Gewalt und schlägt den Aufstand in einer schnellen und blutigen Aktion nieder, wie Assad es in der Stadt Hama in Syrien tat. Besonders die Nüchternheit des zweiten Beispiels stößt dabei doch etwas makaber auf, denn es scheint, dass Creveld diese zweite Lösung favorisiert: Ein Aufstand muss in seinen Augen schnell und mit dem Einsatz massivster Gewalt niedergeschlagen werden und man darf sich auch im Nachhinein nicht für den Einsatz eben dieser entschuldigen (S. 297). Ob dieses Konzept allerdings wirklich tragfähig und moralisch verantwortbar ist, bleibt, vor allem im Hinblick auf die Zahl der zivilen Opfer in Hama zu diskutieren.

Wie bereits seine vorherigen Publikationen, so ist auch „Gesichter des Krieges“ provokativ und fordert zur Diskussion heraus. Dies ist niemals schlecht, sondern kann sehr produktiv sein. Dennoch gewinnt man über weite Strecken den Eindruck, als ob Martin van Creveld hier oftmals etwas über das Ziel hinausgeschossen ist – seien es nun seine Vergleiche oder sein Frauenbild. Das Buch ist dann lesenswert, wenn man mehr an Anekdoten als an einer stringenten und informativen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg im 20. Jahrhundert Gefallen findet.

Anmerkungen:
1 Martin van Creveld, Die Zukunft des Krieges. Neuausgabe mit einem Vorwort von Peter Waldmann, Hamburg 2004.
2 Ders., Kampfkraft. Militärische Organisation und Leistung 1939-1945, Graz 2009.
3 Dierk Walter, Zwischen Dschungelkrieg und Atombombe. Britische Visionen vom Krieg der Zukunft 1945-1971, Hamburg 2009.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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