M. Ineichen u.a. (Hrsg.): Gender in Trans-it

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Titel
Gender in Trans-it. Transkulturelle und transnationale Perspektiven / Transcultural and Transnational Perspectives


Herausgeber
Ineichen, Martina u.a.
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 24,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Hoffmann, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart

Transnationale und transkulturelle Betrachtungen nehmen zu. Das mag nicht zuletzt am Globalisierungsprozess liegen, der heute in mannigfachen Bereichen des täglichen Lebens wahrzunehmen ist. Die Kategorie Geschlecht wurde dabei, zumindest in der Geschichtswissenschaft, bislang kaum berücksichtigt. Der Sammelband „Transnationale Geschichte“ (2006) etwa, der für die deutschsprachige Debatte grundlegend ist, führt die Geschlechtergeschichte nicht als eigenes Forschungsfeld transnationaler Historiographie an. 1

Es ist daher das genuine Verdienst des Bandes „Gender in Trans-it“, der von Martina Ineichen, Anna Liesch, Anja Rathmann-Lutz und Simon Wenger herausgegeben wurde, die Geschlechterperspektive gebündelt in die transnationale und transkulturelle Geschichtsschreibung eingebracht zu haben. Denn „der Anspruch einer transnationalen und transkulturellen Frauen- und Geschlechtergeschichte zieht sich als roter Faden durch die kultur- und geschichtswissenschaftlichen Beiträge dieses Sammelbandes“ (S. 9), betont Barbara Lüthi in ihrem Beitrag zu „Gender in Trans-it“ völlig zu Recht. Der hier zu besprechende Sammelband bietet sowohl theoretische Reflexionen als auch zahlreiche empirische Fallstudien zum Thema aus ganz unterschiedlichen Epochen der Geschichte, von der Frühen Neuzeit bis zur jüngsten Postmoderne.

„Gender in Trans-it“ beginnt mit mehreren Aufsätzen, die theoretische Zugänge zum Thema entwickeln. Und zwar sind es die Beiträge der bereits zitierten Lüthi, von Almut Höfert und Nina Glick-Schillers. Die Sozialanthropologin Glick-Schiller plädiert für eine globale Perspektive. Die Historikerinnen Lüthi und Höfert setzen sich eingehend mit den Konzepten des „Transnationalen“ bzw. „Transkulturellen“ auseinander. Grenzüberschreitungen – nationale oder kulturelle – seien für beide Konzepte konstitutiv, argumentieren die Autorinnen. Die gender-Perspektive schlagen sie sodann als Heuristik für die grenzüberschreitende Historiographie vor, denn sie schärfe den Blick für Dynamiken sowie für asymmetrische Machtverhältnisse in solchen Austauschprozessen. Gleichzeitig könne die transnationale oder transkulturelle Perspektive dazu beitragen, die (vermeintlich) universale Geltung der Kategorie Geschlecht zu relativieren.

Neben der Theorie stehen vier weitere Themenschwerpunkte auf dem Programm des Sammelbandes, nämlich Gender in (1) Räumen und über Grenzen, (2) Genderleitbilder „in Trans-it“, (3) Identitäten „in Trans-it“ sowie (4) Gender in Politik und Wissenschaft „in Trans-it“.

Im Zusammenhang mit Räumen und Grenzen (1) unternimmt die Historikerin Ulrike Jureit eher grundsätzliche „geschlechtergeschichtliche Überlegungen zur Kategorie Raum“, indem sie exemplarisch die „männliche Raumfigur“ (S. 88) in Hans Grimms Roman „Volk ohne Raum“ (1926) analysiert. Das ist übrigens einer von insgesamt zwei Beiträgen, in denen Männer im Vordergrund stehen. Claudia Opitz-Belakhal vollzieht demgegenüber, auf der Basis von Krünitz’ „Deutscher Encyklopädie“, die Bedeutungsverschiebung eines besonderen weiblichen Raumes, nämlich des „Frauenzimmers“ um 1800, nach. Und Carol Nater (transhöfischer Personenverkehr zwischen Rom und Frankreich) sowie Iris Gareis (Zauberprozesse in Mexiko und Peru) analysieren kulturelle Austauschprozesse im 17. Jahrhundert. Drei der vier Aufsätze zur Vormoderne in „Gender in Trans-it“ behandeln demnach Gender in Räumen und über Grenzen.

Genderleitbilder „in Trans-it“ (2) bilden den zweiten Schwerpunkt des Sammelbandes. Antje Flüchter stellt dabei zwei Bilder der Inderin im deutschsprachigen Diskurs der Frühen Neuzeit vor: Bajadere (Tänzerin) und Sati (selbstverbrannte Witwe). Überzeugend legt Flüchter dann dar, wie die europäischen Bilder der Inderin im 19. Jahrhundert auf die indische Gesellschaft zurückwirkten und dort Tendenzen zur Re-Traditionalisierung verstärkten. Den Rezeptionsprozess des professionellen Leitbildes der „demokratischen sozialen Arbeit“ (S. 227) in der Schweiz der 1950er-Jahre, für den sich Frauen als führend erwiesen, untersucht die Historikerin Sonja Matter. Mediale und kulturelle Genderleitbilder werden außerdem am Beispiel Valentina Tereŝkovas, der ersten sowjetischen Kosmonautin und Frau im All 1963 (Julia Richers), hungerstreikender „Terroristinnen“ und „Selbstmordattentäterinnen“ in der Schweiz (Dominique Grisard) und der Popsängerin Mzbel im postkolonialen Ghana (Serena Dankwa) analysiert. Gemeinsam ist den genannten Aufsätzen, dass sie die Dynamik solcher Leitbilder im grenzüberschreitenden Austausch herausstellen.

In vier Beiträgen geht es um Identitäten „in Trans-it“ (3). Das 20. und 21. Jahrhundert sowie Frauen stehen dabei im Zentrum. Die Kunsthistorikerin Maaike van Rijn demonstriert, wie die Frauen der expressionistischen Künstler- und Literatengruppe „Der Sturm“ sich in den 1910er- und 1920er-Jahren performativ „als Frau, Künstlerin und […] Angehörige einer bestimmten Nationalität“ (S. 193) inszenierten, um dadurch – paradoxerweise – die Internationalisierung der Gruppe voranzutreiben. Laura Menin stellt die Identitätskonstruktionen zweier junger Muslima aus Mailand vor und Ilka Borchardt, ebenfalls Ethnologin, den gemeinsamen Disko-Tanz russischsprachiger Lesben in Berlin. Im doppelten Sinn positiv aus dem Rahmen fällt schließlich der Beitrag des Historikers Stephan Miescher über den Einfluss des Kolonialismus auf Männlichkeiten in Afrika im 20. Jahrhundert. Es ist der einzige Aufsatz in dem es ausdrücklich und exklusiv um Männlichkeit geht; gleichzeitig handelt es sich um den einzigen Beitrag, der von einem Mann verfasst wurde.

Gender in Politik und Wissenschaft (4) ist der vierte Themenschwerpunkt von „Gender in Trans-it“. Belinda Davis erklärt die Politisierung junger westdeutscher Frauen und Männer in den 1950er- bis 1970er-Jahren durch häufige Umzüge in der Kindheit sowie deren späteren Kontakt mit ausländischen Studierenden. Um Politik geht es auch bei Silke Redolfi, Nicole Schwalbach und Regina Wecker (über die Folgen des Schweizer Staatsbürgerrechts während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für Frauen, die Ehen über die Landesgrenze eingingen) und Susanne Hertrampf (wie amerikanische und asiatische Friedensaktivistinnen 1970/71 politische Handlungsfähigkeit durch ein globales Bewusstsein erlangten). Tatiana Barchunova stellt schließlich die nicht immer bruchlose akademische Rezeption der gender studies im post-sowjetischen Russland dar.

Die Bilanz nach der Lektüre von „Gender in Trans-it“ fällt zweischneidig aus. Einerseits demonstriert der Band erstmals, wie Geschlechtergeschichte und transnationale bzw. transkulturelle Geschichtsschreibung sich zum beiderseitigen Nutzen befruchten können. Das zeigen die 20 Beiträge von „Gender in Trans-it“ deutlich. Dazu trägt auch bei, dass die oft nur sieben- bis zwölfseitigen Aufsätze des Bandes erfrischend kurz sind, weil der wissenschaftliche Apparat (der in der deutschsprachigen Forschungslandschaft allzu oft auszuufern droht) auf das Wesentliche reduziert ist und die Beiträge somit auf das eigentliche Thema zugespitzt sind.

Was stört ist die undurchsichtige Struktur von „Gender in Trans-it“. Die Herausgeberinnen verzichteten nämlich bewusst auf eine inhaltliche Gliederung der Beiträge, die anstatt dessen „assoziativ gereiht“ abgedruckt sind, und zwar nach dem „Prinzip der guten Nachbarschaft“ (S. 7). Dieses Vorgehen begründen die Herausgeber in ihrem nur gut einseitigen Vorwort mit dem breit gefassten Thema der 12. Schweizerischen Tagung für Geschlechtergeschichte, aus der alle Beiträge hervorgehen (Basel 2007), die keinen räumlichen oder thematischen Fokus verfolgte. Die Herausgeber/innen hofften, dass durch die bloße Reihung trotzdem „oft überraschende, für die Leser/innen hoffentlich interessante und inspirierende Nachbarschaften unterschiedlicher Texte und Themen entst[and]en“ (S. 7) seien. Dies ist meiner Meinung nach nicht passiert. Vielmehr wird der Leser mit den einzelnen – mitunter tatsächlich exzellenten und äußerst inspirierenden – Beiträgen zu stark alleine gelassen. Hätten die Herausgeber von „Gender in Trans-it“ eine Synthese, etwa in Form einer längeren Einleitung oder einer Schlussbilanz, geleistet, hätte der Sammelband die historische Forschung nicht nur thematisch, sondern auch stärker theoretisch und methodisch voranbringen können. Das Potential dazu beinhaltet das Thema jedenfalls.

Anmerkung:
1 Gunilla Bude / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006.

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