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Titel
Innenansichten. 30 Jahre Dienst im Ministerium des Innern der DDR. Ein General meldet sich zu Wort


Autor(en)
Schmalfuß, Karl-Heinz
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Wunschik, Abt. Bildung und Forschung, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen

Ehemalige SED-Funktionäre klagen häufig über den Schiffbruch des Sozialismus auf deutschem Boden vor 20 Jahren. Sie echauffieren sich über ihre reduzierte „Strafrente“, begrüßen die juristischen Komplikationen der Strafverfolgung und würden das Offenlegen der Akten am liebsten beenden. Diese weltfremde Grundhaltung könnte getrost als private Meinung der Ewiggestrigen durchgehen, doch mit der Publikation ihrer Memoiren beanspruchen sie das politische Scherzempfinden unvoreingenommener Leser.

So hat nun auch der vormalige stellvertretende Innenminister Karl-Heinz Schmalfuß auf Hochglanzpapier seine Autobiographie vorgelegt. Mit Stolz erklärt er, die DDR habe viel „Beispielhaftes“ geleistet und sei 1989 womöglich nur einer „Konterrevolution“ zum Opfer gefallen. Er lobt Bildungssystem sowie Kinderbetreuung und hält die Volkskammer ohne Berufspolitiker für ein Vorbild auch für den Bundestag. Hinsichtlich der Schattenseiten der SED-Diktatur zeigt er sich nachsichtig: Dass in den Sowjetischen Speziallagern auch Unschuldige einsaßen, sei unvermeidbar gewesen, und Gefangenenmisshandlung wäre in der DDR praktisch nicht vorgekommen. Die Geschichte umzudeuten versucht er insbesondere mit der Behauptung, über Minenfelder und Selbstschussanlagen sei in Ostdeutschland „ausreichend informiert“ worden – weswegen sich die Flüchtenden auf eigenes Risiko in Gefahr begeben hätten. Der Sozialismus habe in Ostdeutschland vor allem wegen des schlechten Einflusses der Bundesrepublik nicht reüssiert: Besonders beim Volksaufstand von 1953 und der Besetzung der Stasi-Zentrale im Januar 1990 habe der Westen mitgemischt, so seine Verschwörungstheorie.

Als „Neulehrer“ wurde Karl-Heinz Schmalfuß 1950 Mitglied der SED. Fünf Jahre später folgte er dem Parteiauftrag, stellvertretender Kompanieführer bei den Inneren Truppen zu werden. Nach einem dreijährigen Studium an einem Militärinstitut des KGB wurde er leitender Mitarbeiter des Stabes des Ministeriums des Innern, dem Lagezentrum für die innere militärische Sicherheit der DDR. Friedrich Dickel, seit November 1963 Innenminister, beförderte ihn zum Leiter des Ministerbüros und ließ ihn eine neue Struktur des Ministeriums entwickeln. Seinen obersten Chef erlebte Schmalfuß indes häufig als „Choleriker“, der seine Mitarbeiter hart anfasste und dem es an humanistischer Bildung mangelte. Nach einer Intrige des Leiters der ZK-Abteilung Sicherheitsfragen, Herbert Scheibe, musste Schmalfuß 1976 mit dem Posten des Stellvertreters des Stellvertretenden Ministers für die Bewaffneten Organe vorlieb nehmen. Als Leiter der 1980 neu geschaffenen Hauptinspektion des Ministeriums des Inneren hatte er dann nachgeordnete Dienststellen zu kontrollieren. 1984/85 beförderte ihn Dickel schließlich zum Leiter der Hauptinspektion und zu seinem Stellvertreter für Bereitschaften/Kampfgruppen. In dieser Funktion protestierte er beispielsweise erfolglos dagegen, dass bei volkswirtschaftlichen Engpässen zeitweise jeder zweite Bereitschaftspolizist Braunkohle abbauen oder die Ernte einbringen musste.

Die Wirtschaftskrise hatte die DDR jetzt fest im Griff, doch vor den Erfordernissen von Glasnost und Perestroika verschloss Schmalfuß zunächst die Augen. Später begeisterte er sich nach eigener Aussage für Gorbatschow – und sieht sich darin eins mit den ihm unterstellten militärischen Verbänden, was bezweifelt werden darf. In der Rückschau hält er zwar die Proteste gegen die Fälschung der Kommunalwahlen von 1989 für gerechtfertigt. Zugleich entschuldigt er jedoch die brutale Auflösung der Dresdener Demonstrationen mit der Unerfahrenheit der Einsatzkräfte und angeblichen Provokationen der Bürger. In der Regierung Modrow wurden Schmalfuß dann die zivilen Bereiche des Ministeriums des Innern, aber auch der Strafvollzug, unterstellt. Die schwindende Autorität von Vorgesetzten, die wachsende Eigenverantwortung und der wachsende Anspruch der Mitarbeiter auf Mitbestimmung bereiteten ihm Unbehagen. Trotzdem attestierte ihm Staatssekretär Eberhard Stief (NDPD) bei seiner vorzeitigen Entlassung am 2. Oktober 1990 ein „hohes Demokratieverständnis“. Gleichwohl gehörte Schmalfuß, nach eigener Darstellung, nicht zu den Hardlinern unter den verantwortlichen Funktionären. Neben seiner sozialistischen Weltanschauung prägte ihn preußische Pflichterfüllung: Als beispielsweise ein Volkspolizist dem Fahrer eines teuren Mercedes ein völlig überhöhtes Bußgeld abverlangte, erkannte Schmalfuß darin zwar „klassenmäßiges“ Handeln, entsprach der nachfolgenden Beschwerde des bundesdeutschen Autofahrers aber trotzdem, weil der Buchstabe des Gesetzes verletzt worden war. Schmalfuß verschweigt auch nicht, dass Volkspolizisten dem Alkohol zuneigten, Strafanzeigen von Bürgern ignorierten oder sich mit Westmark bestechen ließen. Doch seine heutige Kritik an diesen Missständen folgt der damaligen Diktion und Terminologie, etwa, wenn die Hochschule der DVP „noch nicht den gesellschaftlichen Anforderungen“ entsprach. Dickels Forderung, dass dort mindestens 25 Prozent der Lehrinhalte dem Marxismus-Leninismus gelten müssten, unterstützte Schmalfuß jedoch nicht und zeigte sich insgesamt wenig dogmatisch. So war Westfernsehen für ihn selbst tabu, doch tolerierte er dies angeblich bei seinen Kindern.

In der Autobiographie werden atmosphärische Veränderungen in der Leitungsebene des DDR-Innenministeriums geschildert und deren Kader meist wohlwollend porträtiert. Wenn überhaupt, liegt hier der zeithistorische Wert des Buches, denn etwa die Hintergründe mancher Ränkelei werden sich aus den Akten kaum ablesen lassen. Zudem benennt er offen, dass nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen ostdeutsche Wasserwerfer zum Einsatz kamen, und bekennt sich zu den Waffenlieferungen an den Südjemen, ohne dies aber zu problematisieren. Auch gibt er einige Details aus dem Wiedervereinigungsprozess unter Innenminister Peter-Michael Diestel zum Besten, doch allzu viele Interna plaudert Schmalfuß nicht aus.

Der Autor lässt die wissenschaftliche Literatur ein einziges Mal einfließen und zitiert Thomas Lindenberger, um seine eigene Sichtweise zu untermauern. Die Volkspolizei der DDR verharmlost er ansonsten („hoher Stellenwert der vorbeugenden Arbeit“), indem er etwa die gewöhnlichen Seiten ihrer Tätigkeit betont, die auch im Westen üblich waren (wie die Öffentlichkeitsarbeit). Auch hält er ihr zugute, dass sie rund 200.000 Eingaben jährlich registrierte – was jedoch eher auf Unzufriedenheit sowie auf den wachsenden Mut der Bürger schließen lässt. Völlig ausgeblendet wird hingegen der repressive und entmündigende Charakter der volkspolizeilichen Tätigkeit, unter der zehntausende Ausreisewillige und Andersdenkende litten.

So gehört zu den Lücken seiner Darstellung auch die Kooperation mit der Staatssicherheit. Schmalfuß benennt zwar Namen und Charakter der Moskauer Verbindungsoffiziere in seinem Ministerium. Weitgehend im Dunkeln lässt er jedoch den Mielke-Apparat, dessen Mitarbeiter er als „kluge, erfahrene und auch menschlich integere Kollegen“ erlebte. Schmalfuß verschweigt, dass ab 1964 auf den Kollegiumssitzungen des Innenministeriums der Leiter der zuständigen Hauptabteilung VII der Staatssicherheit zugegen war und dass der Geheimpolizei Grundsatzdokumente ebenso vorzulegen waren wie Kaderentscheidungen. Der Leser erfährt ebenfalls nicht, dass die Geheimpolizei jeden elften Volkspolizisten als Zuträger führte, bis hinauf zur Ebene der Hauptabteilungsleiter und Stellvertretenden Minister. Dass mit der konspirativ agierenden Arbeitsrichtung I ein wichtiger Teil der Kriminalpolizei von der Staatssicherheit dominiert wurde, bleibt gleichfalls unerwähnt. Aufschlussreich ist indes die Bekundung des Autors, Dickel habe anstehende Probleme viel häufiger mit Mielke als mit Honecker abklären müssen und nicht zum „inneren Zirkel der Macht“ in der DDR gehört. Doch solche Einsichten gestattet sich Schmalfuß nur selten, weswegen die ideologische Verzerrung der Wirklichkeit und die anhaltende Kameraderie den zeithistorischen Wert des Buches stark mindern.

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