Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs formierte sich überraschend schnell eine differenzierte Zeitschriftenlandschaft in Deutschland – und dies, so muss hinzugefügt werden, trotz der alliierten Besatzung und der damit vorerst einhergehenden Lizenzpolitik. Diese Zeitschriften bilden ein bisher zu wenig untersuchtes, aber für die Genese der sich nach 1945 in Deutschland formierenden Debatten und Diskurse höchst relevantes Korpus.
Fabian Kuhn widmet sich diesem Phänomen aus einer intellektuellengeschichtlichen Perspektive, kombiniert diesen Ansatz „mit weiteren methodischen Herangehensweisen“ (S. 20) unter Beachtung von hermeneutischen und kulturgeschichtlichen Aspekten und nimmt insbesondere die politisch-kulturellen Zeitschriften in den Blick. Es gelingt ihm dabei ausgesprochen gut – so viel sei vorweggenommen –, ein ausgewogenes Verhältnis in der Betrachtung der östlichen, westlichen und gar ost-westlichen Medien zu wahren. Als zentraler Ausgangspunkt der Arbeit fungiert der „gemeinsame Aufbruch der Intellektuellen, ungeachtet der persönlichen Weltanschauung und der Besatzungszonenzugehörigkeit“ (S. 13). Kuhns Arbeitshypothese lautet dabei, „dass die Betrachtung der Intellektuellen und ihrer Zeitschriften eine andere Geschichte der deutschen Teilung erzählt, da sich die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in den Zeitschrifteninhalten, den Akteursbeziehungen und in den strukturellen und ideellen Bedingungen für das Bestehen und Wirken der Zeitschriften widerspiegeln“ (S. 17). Diese Ankündigung einer „anderen Geschichte“ wird im Folgenden durchaus eingelöst.
An die knappe Einleitung (S. 11–14) reiht sich eine instruktive Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes (S. 15–47), die vor vier ausführlichen Analysekapiteln steht. Diese gliedern sich wie folgt: Zunächst geht es Kuhn um die „Intellektuelle[n] und ihre Zeitschriften“ (S. 49–170). Dieses Kapitel widmet sich sowohl den Akteuren (vornehmlich diesen und nur sehr wenigen, zugegeben schwieriger zu findenden Akteurinnen) als auch den Medien und dient der Hinführung zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Zeitschriften, die darauffolgend behandelt werden. Das Corpus umfasst dabei „Aufbau“, „Die Gegenwart“, „Die Wandlung“, „Frankfurter Hefte“, „Nordwestdeutsche Hefte“, „Die Weltbühne“, „Der Ruf“, „Ost und West“ – bis auf „Die Weltbühne“ als Wiedergründung allesamt Neugründungen nach 1945. Die Auswahl umfasst damit alle vier alliierten Besatzungszonen und erlaubt einen differenzierten Einblick in die unterschiedlichen Situationen.
In den drei Großkapiteln stehen die Themen „Schuldfrage und Wiederaufbau (1945–1947)“ (S. 171–316), „Der Kampf um die Einheit (1948–1952)“ (S. 317–470) sowie die schwindende Hoffnung auf eine „deutsche[...] Wiedervereinigung“ (S. 471–524) im Zentrum der Überlegungen. Eine Schlussbetrachtung (S. 525–540) rundet die Studie ab. Besonders hervorzuheben sind die kurzen Zusammenfassungen jeweils am Ende der Großkapitel, in welchen die Erkenntnisse noch einmal prägnant resümiert werden. Als Quellen für die Studie dienen Kuhn vornehmlich die Archivbestände und Zeitungen sowie Selbstzeugnisse der Beteiligten. Das am Beginn der Arbeit stehende Referat des Forschungsstandes macht die Notwendigkeit der Studie deutlich: Weder wurden bisher die Ost-West-Organe gleichberechtigt behandelt, noch liegt ausreichend Forschung zu einzelnen Zeitschriften wie den „Frankfurter Heften“, der „Gegenwart“ oder „Aufbau“ vor (S. 35f.).
Kuhn nutzt die von ihm ausgewählten Medien, um zu zeigen, wie sich die Intellektuellen um die Neukonstituierung des Denkens bemüht und Themen zu setzen versucht haben, aber letztendlich doch zumeist an den eigenen Zukunftsvisionen scheitern mussten. Dabei weist Kuhn darauf hin, dass die Intellektuellen „weder der Historiographie noch der Gedankenwelt ihrer Mitmenschen einen Gefallen“ (S. 163) mit der Erfindung der „Stunde Null“ taten, die es nie gegeben hat.
Folgende Kapitel bzw. Ergebnisse der Arbeit möchte ich besonders hervorheben: Kuhn legt schlüssig dar, wie sich die Schwerpunkte des öffentlichen Diskurses innerhalb dieses kurzen Zeitraums von zehn Jahren mehrfach verschoben. Die Lektüre der Studie erhellt diese Transformationen, die sich insbesondere in der sich rasch zuspitzenden gegenseitigen Haltung zwischen Sowjetzone und den westlichen Zonen zeigten. Durch kleinschrittiges Vorgehen und Kapitel zu ausgewählten Ereignissen und Diskussionsanlässen wird gut nachvollziehbar, wie die anfängliche Beschäftigung mit der Schuldfrage recht bald von Fragen zum geeinten Deutschland verdrängt wurde und, nachdem die Hoffnung auf eine Verhinderung der Teilung Deutschlands ebenso schnell enttäuscht wurde, die Zeitschriften daraufhin die deutsche Wiedervereinigung fokussierten. Dass dabei bei den Intellektuellen durchaus gemeinsame, aber auch sehr verschiedene Standpunkte vorherrschten und diese Differenzen in den Zeitschriften sichtbar wurden, aber auch der Austausch zwischen den einzelnen Akteur:innen lange konstruktiv möglich war, legt Kuhn anschaulich dar. Im Grunde setzten sich alle – zonenübergreifend – für das Ziel von Frieden und Einheit ein, nur die Wege dorthin unterschieden sich grundlegend. Dies wurde mit der Zeit auch immer deutlicher sichtbar.
Als drei besonders anschauliche Beispiele für diese anfänglich noch von Intellektuellen aus allen vier Zonen gemeinsam unternommenen Anstrengungen sind der „Erste deutsche Schriftstellerkongress“ vom 4.–8. Oktober 1947 in Berlin (S. 290–304) sowie der von Johannes R. Becher verantwortete „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ im Juli 1945 in Berlin (S. 331–340) zu nennen. Kuhn beschreibt hier die stellvertretend für zahlreiche andere Kulturbereiche geltende Bewegung, dass noch bis 1947 Versuche aufrechterhalten wurden, gesamtdeutsch nach der demokratischen und friedlichen Zukunft des Landes zu suchen, dies aber spätestens ab 1948 und mit Folgeveranstaltungen nicht mehr gelang. Ähnliches gilt für die „Gesellschaft Imshausen“ (S. 242–246), die von Werner von Trott zu Stolz sowie den beiden Herausgebern der „Frankfurter Hefte“ Walter Dirks und Eugen Kogon im August 1947 ins Leben gerufen worden war, um sich der stagnierenden Deutschlandpolitik mit einem „partei- und ideologieübergreifenden Gespräch“ (S. 242) entgegenzustellen. Ein zweites Treffen (Dezember 1947) zeigte schon große Differenzen, das dritte (1948) war zugleich auch das letzte Treffen, da sich gezeigt hatte, „wie gegensätzlich und unverhandelbar die politischen Positionen bereits waren“ (S. 246). Derartige Zusammenkünfte wurde medial durch die Zeitschriften begleitet und reflektiert.
An diesen und ähnlichen Beispielen über den Austausch der führenden deutschen Intellektuellen, die an den Zeitschriften als Herausgeber:innen oder Autor:innen beteiligt waren, sowie anhand von differenzierten Analysen der Inhalte der Zeitschriften entwirft Kuhn ein luzides Bild der Beteiligung der Intellektuellen am geistigen (Wieder-)Aufbau1, aber auch in vielen Punkten des Scheiterns der gemeinsamen Ideen, sodass letztlich ein kalter Kulturkrieg nicht verhindert werden konnte.
Wenige Monita, die den hohen Wert der Arbeit für die zukünftige Erforschung der Nachkriegszeit sowohl aus historischer wie literaturwissenschaftlicher und soziologischer Perspektive keineswegs beeinträchtigen, seien dennoch angemerkt:
Durch die – durchaus sinnvolle Struktur – der Arbeit, asynchron verschiedene Themen unter Rückbezug auf die Diskurse in den Zeitschriften zu kontextualisieren, die jeweils zu anderen Zeitpunkten oder unter anderen Voraussetzungen aufgegriffen wurden, kommt es einige wenige Male zu Redundanzen. Als Beispiel sei hier die Entlassung der Herausgeber des „Rufs“, Alfred Andersch und Hans-Werner Richter, sowie deren Klage über den kalten Winter 1946/47 genannt, die sowohl bei der Vorstellung der Zeitschrift „Der Ruf“ (S. 133) wie auch später (S. 327) mit den gleichen Worten zitiert wird.
Bei einer solch umfangreichen Arbeit mit 540 Seiten Text (zuzüglich Literaturverzeichnis) wäre ein Register äußerst hilfreich – besonders bei der unbestreitbaren Nützlichkeit dieses Buches. Die Suche nach einzelnen Akteur:innen, Zeitschriften oder Debatten würde sich so in der Praxis um einiges einfacher gestalten. Über die wenigen Trennfehler im Satz kann hinweggesehen werden, über die nicht angegebenen Seitenzahlen bei Aufsätzen im Literaturverzeichnis weniger. Auch dies erschwert die Arbeit mit der Studie, falls die Nutzer:innen die zitierten Beiträge selbst nachschlagen möchten. Gerade weil Fabian Kuhns Arbeit für das Fach so viel zu bieten hat, wären diese kleinen Hilfestellungen doch zu wünschen. Sieht man über diese Quisquilien hinweg, ist die Monographie ein bemerkenswerter Beitrag zur deutschen Nachkriegsgeschichte, der zahlreiche Anreize für weitere Forschungsfragen gibt und der, wie versprochen, eine „andere Geschichte der deutschen Teilung“ erzählt.
Anmerkung:
1 Die zeitliche Weiterführung der in den Medien agierenden Intellektuellen hat zuletzt Axel Schildt in einer umfassenden Monographie vorgelegt; vgl. Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried, Göttingen 2020.