Cover
Titel
Essays on Scandinavian History.


Autor(en)
Barton, H. Arnold
Erschienen
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Krieger, Nordische Geschichte, Historisches Seminar der Universität Kiel

Der schwedisch-amerikanische Historiker H. Arnold Barton (Prof. em. an der Southern Illinois University, Carbondale) zählt heute ohne Zweifel zu den profiliertesten Kennern des neuzeitlichen Nordeuropas. Vor allem seine Studien zur Geschichte Schwedens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber auch zur schwedischen Auswanderung sowie zu den politischen und kulturellen Kontakten Schwedens zu Frankreich, Norwegen und dem baltischen Raum zeugen von tiefer Kennerschaft der Materie. Umso verdienstvoller ist die aktuelle Herausgabe seiner „Essays on Scandinavian History“.

Die Sammlung von dreizehn ausgewählten Beiträgen für renommierte englischsprachige Zeitschriften aus der Zeit zwischen 1966 und 2007 begleitet den Leser auf einer Reise durch das Nordeuropa des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Dabei liegt der Schwerpunkt des ersten Teils auf Schweden und insbesondere auf der Person Gustavs III. in seinem breiten historischen Kontext. Den Beginn machen Beiträge zu Schweden im Zeitalter der Aufklärung, des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und der Französischen Revolution, gefolgt von Darstellungen der Umbruchzeit zwischen der Revolution und der Neuordnung des Nordens bis 1814. Es folgen im zweiten Teil inhaltlich weniger deutlich miteinander zusammenhängende Betrachtungen zum Skandinavismus, zu den Agrarreformen im dänischen Gesamtstaat, zur Geschichte Norwegens und Finnlands im 19. Jahrhundert sowie zum Aufbruch Schwedens als Wohlfahrtsstaat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit dem gesamten Band gelingt es Barton, relevante Fragen und Forschungsdesiderate aufzuzeigen und diese – gestützt durch die Fülle eines umfassenden Detailwissens – detailliert zu erörtern, zu kontextualisieren und hergebrachte Meinungen neu zu bewerten.

Barton liefert ein innovatives wie auch überraschendes Bild von einem Schweden, das erst im 18. Jahrhundert eine eigentliche Blüte, geradezu eine zweite Großmachtzeit, erlebt habe. Diese mache sich weniger an (zu dieser Zeit kaum mehr vorhandener) militärisch-politischer Stärke als vielmehr an herausragenden kulturellen Leistungen fest – angefangen von den Wissenschaften bis hin zu Musik und Architektur. In Anlehnung an Göran Schildt sieht er das 17. Jahrhundert hingegen in einer Sphäre des Statischen und kulturell wenig Anpassungsfähigen verharren (S. 3). Vor diesem Hintergrund begreift Barton den Nordischen Krieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts zwischen Dänemark, Schweden, Polen-Litauen und Russland gleichsam als Katalysator, der in seiner mentalen wie physischen zerstörerischen Kraft einen ganzheitlichen Neuaufbau des Landes förmlich bedingte. Die kulturelle Öffnung nach Westeuropa im anschließenden Zeitalter der Aufklärung stieß denn auch auf Gegenliebe – sie war einerseits gekennzeichnet durch eine breite und tiefe Rezeption französischer und englischer Gelehrsamkeit in Schweden, andererseits aber auch durch ein großes Interesse am Norden vor allem in Frankreich. Als vorbildhaft galt hier vor allem die Verfassung der schwedischen „Freiheitszeit“ nach 1720, die von Größen wie Montesquieu und Voltaire als die freiheitlichste in ganz Europa gepriesen wurde (S. 19).

Die kulturelle Brücke zwischen Nord und West personifiziert sich in diesem Band durch keinen geringeren als durch König Gustav III. selbst. In dem zentralen Beitrag „Gustav III. of Sweden and the Enlightenment“ entrollt sich uns anhand der Biographie des Monarchen die ganze Komplexität der intellektuellen Interaktion, bei der Parallelen zum beinahe zeitgleichen Preußenherrscher von Sanssouci anklingen: erste, durch den universal gebildeten England-Verehrer Carl Gustaf Tessin vermittelte Bildungserfahrungen, dann der persönliche Kontakt mit den Großen der französischen Aufklärung in Paris. Schnell relativierten sich indes die hehren freiheitlichen Ambitionen mit dem Thronantritt daheim. Philosophie wurde dem Praxistest unterzogen, und vieles blieb im alltäglichen Streit um die Sympathie der politisch gespaltenen Stände und um das mühsame Ringen um den eigenen Machterhalt auf der Strecke. Entsprechend ist auch der „Staatsstreich“ von 1772 – also die partielle Entmachtung des Adels durch den König – in Bartons Augen nicht der erste Schritt einer kompromisslosen Wiedereinführung des Absolutismus. Anders als viele landläufige Darstellungen glauben machen wollen, lautet die Frage bei ihm nicht: Weshalb wurde der Absolutismus eingeführt?, sondern: Aus welchen Gründen etablierte Gustav gerade nicht eine vollständige autokratische Herrschaft? (S. 21). Erst im Revolutionsjahr 1789 erfolgte die weitgehende Abschaffung adliger Privilegien, ohne dass der Adel damit tatsächlich seine führende gesellschaftliche und politische Stellung in Schweden einbüßen sollte.

Der Beitrag „Sweden and the War of American Independence“ offenbart darüber hinaus das Geschick des Autors, die Geschichte Schwedens in die großen weltpolitischen Zusammenhänge einzubetten und dabei die Details auch etablierten Lehrmeinungen entgegen neu zu bewerten. So war es in Bartons Sicht nicht ein oftmals bemühter freiheitlicher Idealismus, der (insgesamt vergleichsweise wenige) schwedische Adlige bewog, auf Seiten Frankreichs und Amerikas in den Krieg zu ziehen als vielmehr Konkurrenzdruck und eine oftmals schmale Einkommensbasis im Mutterland (S. 54). Entsprechend gab es kaum ideologische und personale Verbindungslinien zwischen den schwedischen Teilnehmern am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und den Mördern des Königs von 1792. Auch in seinem Beitrag zu Schwedens Beziehungen zum östlichen Ostseeraum treten Idealismus und persönliche Befindlichkeiten hinter den politischen Machtfragen und militärischen Chancen zurück. Minutiös zeigt Barton treibende Kräfte und Protagonisten des nur scheinbar halbherzig ausgefochtenen Krieges gegen das Zarenreich zwischen 1788 und 1790 auf.

Ebenso wird die traditionell als starr und wenig erfolgreich bewertete Herrschaftstätigkeit Gustavs IV. Adolf von Barton in neuem Licht und mit ihren (Agrar-) Reformen als konstitutiv für die Entstehung des modernen Schweden gesehen. Diese Einsicht ruht auf dem besonderen Blick des Verfassers auf die Innenpolitik des Herrschers, die sonst gemeinhin deutlich im Schatten einer eher glücklosen Außenpolitik steht: „If an Ehrenrettung is to be made, particularly from the vantage point of twentieth-century Sweden, it must look above all to the domestic accomplishments of the reign“ (S. 129).

Die sich aus schwedischen Machtansprüchen und gleichzeitig außenpolitischer Machtlosigkeit ergebende Ambivalenz spiegelt sich am deutlichsten in der Frage nach der schwedischen Nation an sich wider. Barton identifiziert zwei Formen nationaler Identität – einen „alten Patriotismus“, der sich noch in der Zeit des Ersten Weltkrieges aus der einstigen Großmachtposition im 17. Jahrhundert definierte und einer eher nach innen gekehrten, weniger ausgrenzenden und internationaleren „Liebe zum Vaterland“ (fosterlandskärlek) des 19. und 20. Jahrhunderts, aus deren Repertoire auch die sonst eher internationalistisch gesinnten Sozialdemokraten bei der Mitkonstruktion des „Volksheims“ unter Per Albin Hansson schöpfen konnten (S. 263).

Der Großteil der Beiträge stammt aus den 1970er-Jahren; so kann der Leser nicht immer einen aktuellen Forschungsstand erwarten. Auch die behutsame nachträgliche Ergänzung neuerer Forschungserträge ist nicht immer vollständig, was besonders bei dem als Forschungsüberblick konzipierten Beitrag zu den Agrarreformen in Dänemark („The Danish Agrarian Reforms, 1784-1814, and the Historians“) ins Auge fällt. Insbesondere findet die breite deutschsprachige Forschung des 20. Jahrhunderts zu diesem Bereich so gut wie keine Berücksichtigung, und die Einbeziehung dänischsprachiger Forschung zur nationalen Identität hätte dem Band gerade in seinem letzten Kapitel eine breitere Vergleichsbasis eröffnet. Bemerkenswert still bleibt es im Band auch um die Person Gustav Adolf Reuterholms, der doch gerade in der Übergangszeit nach dem Tode Gustavs III. eine wichtige politische Rolle spielte.

Gleichwohl stellt diese Sammlung auf Grund der durchdachten und für Bartons reiches Forscherleben repräsentativen Auswahl an Beiträgen einen wunderbaren Einstieg in die Geschichte Nordeuropas dar und vermittelt gleichzeitig tiefere und neue Einsichten, die nicht nur den Nordeuropa-Historiker zum Weiterdenken anregen sollten. Ein gelungener, gut lesbarer Band.

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