Der 1924 in Budapest geborene israelische Autor Ephraim Kishon war seit den 1960er-Jahren zeitweise der beliebteste Autor der (West-)Deutschen und wurde für viele zu einer Symbolfigur der deutsch-jüdischen Versöhnung und deutsch-israelischen Annäherung. Doch dabei, so die Literaturwissenschaftlerin Birgit M. Körner, sei Kishons „Schoah-Überleben“ in den Hintergrund geraten, was Körner als „symptomatisch“ (S. 16) für die westdeutsche Rezeption des Satirikers und Humoristen Kishon sieht. Welche Rolle spielte Kishons Erfahrung als Überlebender der Schoah in seinen so erfolgreichen satirischen Geschichten? Wie wirkte sich seine Überlebenserfahrung auf sein humoristisches Werk aus? Folgt man Körner, die mit der vorliegenden Studie ihre bisherigen Forschungen um neue Quellen und Fragen erweitert, indem sie den Fokus auf Kishons Überlebensgeschichte, auf seinen Übersetzer Friedrich Torberg sowie auf die Rezeption des israelischen Autors beim westdeutschen Publikum richtet, dann waren die Schoah sowie die Unterdrückungs- und Verfolgungserfahrungen für Kishons humoristisches Schreiben zentral.1 Damit nimmt sie Kishons eigene Werkdeutung auf, die nicht nur sein langjähriger Biograph, der israelische Journalist Yaron London, sondern auch die Rezensentin mit einem Fragezeichen versehen hat.2 Dies sei also im Voraus gesagt: Birgit Körner und ich lesen und zitieren uns seit Jahren gegenseitig, auch weil es nicht allzu viele andere Autorinnen (!) gibt, die sich mit Kishon beschäftigen, kennen uns bislang aber nur aus Fußnoten. Wir teilen also das Interesse an der Frage, wie und warum ausgerechnet ein Israeli in der Bundesrepublik zum Bestseller-Autor wurde. Welche Antworten hat Körner in ihrer Studie darauf gefunden? Wie ist sie dabei vorgegangen?
Die Spurensuche von Körners seit 2017 am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel im Rahmen eines Postdoc-Projekts entstandenem Buch beginnt im früheren Arbeitszimmer des 2005 verstorbenen Kishon in dessen Tel Aviver Privathaus. Dort vermutet die Autorin im Arrangement der Dinge und vor allem im Nebeneinander von antisemitischen Schmähbildern und den Kishon zugedachten akademischen Auszeichnungen ein Zeichen für den „Triumph“ (S. 15) seines Humors und seiner Literatur über die erlittenen Demütigungen durch die antisemitische Verfolgungspolitik. Ausgehend von diesem „Hausbesuch“ (S. 11) nähert sich Körner anschließend auf gut 200 Seiten und anhand von vier jeweils mit einem Zwischenfazit abgeschlossenen Hauptkapiteln dem Erfolgsphänomen Ephraim Kishon. In einem ersten Schritt rekonstruiert sie Kishons Überlebensgeschichte im Spannungsfeld autobiographischer Literarisierungsstrategien und archivalischer Überlieferung.
Auf Basis von bislang nicht ausgewerteten Dokumenten aus den Arolsen Archives und dem von Kishon 1957 oder 1958 gestellten Entschädigungsantrag sowie im Vergleich mit autobiographischen Zeugnissen anderer Holocaust-Überlebender kontextualisiert Körner im ersten Kapitel über „Ephraim Kishon als Überlebender der Schoah“ dessen Version(en) der eigenen (Über-)Lebensgeschichte. Kishon war nach der deutschen Besatzung Ungarns im Frühsommer 1944 in die Arbeitslager Jolsva und Fuelek deportiert worden. Nach seiner Flucht aus einem der Lager ab Herbst 1944 und bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1945 lebte er in ständiger Todesangst versteckt in Budapest. Körner zufolge wird deutlich, wie der „Regisseur und Satiriker sowie Humorist“ (S. 64) Kishon seine Erinnerungen durch den erzählerischen Einsatz „filmische[r] Techniken“ (S. 67), durch literarische Verweise sowie mit Hilfe von „humorvollen Einsprengseln, z.T. slapstickartiger Dramaturgie und sarkastischen Nebenbemerkungen“ (ebd.) literarisiert habe. Dabei deutet Körner vor allem die „Flapsigkeit“ des Tons als eine Bewältigungsstrategie, sodass die Autorin die Auseinandersetzung mit Kishons Überlebensgeschichte zur Grundlage und zum Ausgangspunkt seiner „Humorpoetik“ (S. 16 und öfter) erklärt.
Doch wie übersetzt sich dieser Humor als (Über-)Lebensstrategie in die populären Satiren? Im zweiten Hauptkapitel begibt sich Körner auf die „Spuren der Schoah-Erfahrung in Kishons Texten“ (S. 73) und entkräftet somit die Vorstellung, Kishon habe in seinem Werk über den Holocaust und die NS-Vergangenheit geschwiegen – und gerade darum so großen Erfolg beim deutschen Publikum gehabt. So hat Körner neben direkten Bezügen zur NS-Zeit vor dem Hintergrund tagespolitischer Ereignisse in Anlehnung an Sigmund Freuds Begriff des Unheimlichen vor allem jene „unheimliche[n] Stellen“ (S. 74) in Kishons Texten herausgearbeitet, die auf eine „unterschwellige, indirekte Präsenz der Schoah“ verweisen, etwa durch „Embleme und Symbole […] oder durch Narrative, die ein siegreiches Überleben oder das Überlisten einer übergroßen Macht thematisieren“ (S. 74). Gerade darin habe, folgt man Körner, auch die Faszination der deutschen Leser – und vor allem der Leserinnen! – für Kishon gelegen. Aus insgesamt zehn Textbeispielen, die von der Titelwahl von Kishons „Maariv“-Kolumne „Chad Gadya“ (wörtlich „das eine Lämmchen“, als Symbol für das jüdische Volk) bis zu den schon früh in der Bundesrepublik erschienenen Kishon-Klassikern (etwa „Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte“) reichen, liest die Autorin Spuren von Kishons Unterdrückungserfahrung, von Zwangsarbeit sowie Bezüge zu nationalsozialistischer Politik und Verbrechen.
Dabei zeigt sie auch, wie Friedrich Torberg (1908–1979) als Übersetzer in einigen Fällen Vergangenheitsbezüge in seiner Übertragung aus dem Englischen noch akzentuierte oder zuspitzte. Überhaupt: Torberg. Dessen „Engagement für das Weiterleben des ‚jüdischen Humors‘“ (S. 125) widmet Körner das dritte Hauptkapitel, in dem sie Torbergs Beitrag zu Kishons Erfolg untersucht. So rekonstruiert sie zuerst Torbergs Verständnis des Übersetzens als Praxis einer geistigen Nähe zwischen Autor und Übersetzer im Allgemeinen sowie im Falle des Duos Kishon / Torberg und deren „Gemeinschaftswerk“ (S. 126) im Besonderen. Denn: Torberg übersetzte nicht die hebräischen Originalversionen der Satiren, sondern übertrug sie aus den englischen Übersetzungen von Yohanan Goldman ins Deutsche. Dabei habe Torberg seine editorischen Eingriffe weniger als Verfremdungen des Originals verstanden, sondern als, so Körner, „nicht verfremdete Übertragungen“ ins Deutsche, die gerade aufgrund der „geistigen Affinität“ auf eine geradezu „‚mystische‘ Weise den ‚Geist des Originals‘“ (S. 129) wiedergeben würden. Auf Basis von zum Teil unveröffentlichten Korrespondenzen zwischen Torberg und Kishon zeigt Körner außerdem, dass deren (auch ideologische) Nähe Kishon über Torbergs Bearbeitungen und Eingriffe für das „deutschsprachige Zielpublikum“ (S. 141–154) letztendlich hinwegsehen ließ. Diese von Körner schon an anderer Stelle beschriebene Konstruktionsarbeit an Kishons Werk fügt sich auch in Torbergs eigenes publizistisches und politisches, kulturzionistisches Programm: die Etablierung eines „neuen ‚israelischen Humors‘“ im Spannungsfeld von „Exotik“ und „Universalismus“ (S. 164) und das „Projekt des Weiterlebens des ‚jüdischen Humors‘ nach der Schoah“ (S. 169) vor dem Hintergrund der Debatte um das Verhältnis von jüdischem und israelischem Humor seit 1960. Unter dem Label der „israelischen Satiren“ haben die Kishon-Übertragungen durch Torberg sowie ihr Bezug zur NS-Zeit und zum Holocaust schließlich auch – so Körner – zu einer literarischen Neubewertung und Entwicklung satirischer Texte als Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit beigetragen (S. 162f.).
Doch wie reagierte das westdeutsche Publikum? In einem vierten Hauptkapitel stellt Körner dar, wie diese Image-Arbeit am „israelischen Humor“ dazu beitrug, dass Kishon für deutsche Leser zur „Versöhnungs- und Entlastungsfigur“ avancierte, eine „Rezeptionshaltung“, die – folgt man Körner – „eine Verdrängung der in der Schoah begangenen Verbrechen“ befördert und so „zur Entlastung von (unbewussten) Schuld- und Schamgefühlen“ eingeladen habe (S. 180). Diese These sieht die Autorin anhand von Leserzuschriften bestätigt, die Kishon aufbewahrt hatte und die Körner in seinem Nachlass gesichtet hat. An exemplarisch ausgewerteten Briefen deutscher nichtjüdischer Leser zeigt Körner die extremen Reaktionen auf Kishons Erfolg, die von mehr oder weniger offen antisemitischen Inhalten bis zur „philosemitische[n] Überidentifikation aus unbewusster Schuldabwehr und Entlastungssehnsucht“ reichten (S. 199). Von der Verfolgungserfahrung Kishons während der NS-Zeit machten sich die Briefschreiber dabei keinen Begriff.
Die Wichtigkeit der NS-Erfahrung erstmals für sein humoristisches Schreiben herausgearbeitet zu haben ist das Verdienst von Körners Studie. Ihre Kontrastierung von Kishons archivierter und literarisierter Lebensgeschichte verdeutlicht nicht nur, wie sehr der Autor mit seiner Überlebenden-Biographie gerungen hat. Durch ihre stringente literaturwissenschaftliche Analyse seiner Satiren sowie der verschiedenen Bedeutungsebenen und Bezüge auf die nationalsozialistische Verfolgungspolitik und die Schoah widerlegt Körner das bis heute verbreitete Image Kishons als Autor harmloser humoristischer Unterhaltungsliteratur. Vielleicht war der nahezu ausschließliche Fokus auf Kishons Schoah-Erfahrung gerade dafür notwendig, auch wenn dabei andere mögliche Gründe und Motivationen seines satirischen Weltblicks – das Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familie, die literarische Rolle von Satire und Kabarett im Budapest der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in den Hintergrund rücken. Last but not least schließt die von Körner aufgeworfene Frage nach den Konstruktionsmechanismen eines „jüdischen Humors“ nach der Schoah an Themen und Methoden der Humor Studies an.3 Ein kleines b-Moll sei genannt: Die ausführlichen Erläuterungen und Querverweise aus den Fußnoten in den Haupttext zu integrieren hätte den Lese- und Erzählfluss zuweilen gefördert. Dennoch: Ephraim Kishon wäre am 23. August 100 Jahre alt geworden, und mit ihrer Studie hat Birgit M. Körner ihn rechtzeitig zum Jubiläumsjahr in Erinnerung geholt. Dabei hat sie zugleich die bisher kaum beachtete Rolle der Populärliteratur im Spannungsfeld deutsch-jüdischer und deutsch-israelischer Beziehungen literaturwissenschaftlich und historisch erschlossen.
Anmerkungen:
1 Birgit M. Körner, „We Have to Watch ou[t] for [the] Propaganda Effect“ – Ephraim Kishon und Friedrich Torberg publizieren „israelischen Humor“ zum Sechstagekrieg 1967, in: Naharaim 13 (2019), S. 139–162; dies., „Global Solidarity is Something to Warm the Cockles of Your Heart“: Holocaust and Genocide in Ephraim Kishonʼs „Israeli Satire“, in: Sarah M. Ross / Regina Randhofer (Hrsg.), Armenian and Jewish Experience between Expulsion and Destruction, Berlin 2022, S. 245–265.
2 Siehe hierzu Silja Behre, Ephraim Kishon. Ein Leben für den Humor – Biographie, München 2024.
3 Siehe jüngst die Beiträge in: Thomas E. Ford / Władysław Chłopicki / Giselinde Kuipers (Hrsg.), De Gruyter Handbook of Humor Studies, Berlin 2024. Speziell zur (alten) Bundesrepublik siehe auch Anna Bers / Claudia Hillebrandt (Hrsg.), Loriot und die Bundesrepublik, Berlin 2024.