Die äußere Gestaltung der Papsturkunden hat in der diplomatischen Forschung stets große Aufmerksamkeit erhalten, da die päpstliche Kanzlei sich bezüglich der Uniformität und Stabilität im Außen ihrer Urkundenproduktion deutlich von allen anderen Kanzleien Europas des Hoch- und Spätmittelters abhob. Doch haben die Hilfsmittel, die diese Kontinuität im Gesamtbild – oder „Corporate Design“ – der Papsturkunden gewährleisten konnten, bisher in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden. Mit der Dissertation Sabine Fees’, die sich den im Umfeld der päpstlichen Kurie entstandenen Vorschriften und Mustervorlagen zur äußeren Gestaltung von litterae, Privilegien und Bullen widmet, wird diese Lücke nun zu großen Teilen gefüllt. Untersucht wird hauptsächlich der Zeitraum zwischen der Wende zum 13. Jahrhundert und dem Ende des 14. Jahrhunderts, wobei auch die wenigen im 15. Jahrhundert entstandenen Aufzeichnungen ergänzend betrachtet werden.
Die ersten drei Kapitel sind einführend. Nach einer knappen Einleitung zum Gegenstand der Untersuchung (S. 11–19) bietet Fees eine prägnante Zusammenfassung der Urkundentypen sowie des Geschäftsgangs und des Personals der päpstlichen Kanzlei (S. 20–38). Dieser folgt eine überblicksartige Darstellung der Artes dictandi (S. 39–54), die zwar „kurienferne Quellen“ sind, aber ihres potentiellen Einflusses auf die Entwicklung von kanzleiinternen Regularien wegen von Fees mitberücksichtigt werden.
Das vierte Kapitel (S. 55–323) umfasst den gesamten Hauptteil der Studie. Ausgangspunkt der Untersuchung ist hier der Pontifikat Innozenz’ III. (1198–1216), aus dem Fälscherkonstitutionen mit Hinweisen auf Bleibullen und Rasuren sowie Schreiben zur Verwendung der Halbbulle und der litterae tonsae überliefert sind (4.1). Auch wenn diese Quellen keine wirklichen Regelaufzeichnungen sind, verraten sie dennoch, welche Ausstattungsmerkmale der Papsturkunden für besonders relevant gehalten wurden. Den dauerhaften Einfluss der Schreiben Innozenz’ III. bezeugt nicht nur ihre Rezeption in der Dekretalenüberlieferung und in der prozessrechtlichen Literatur, sondern auch die weitere Auseinandersetzung der Päpste mit den äußeren Urkundenmerkmalen (4.2). Besonders paradigmatisch dafür sind zwei Rundschreiben Innozenz’ IV. zum Apostelstempel sowie der 1272–1274 kompilierte Ordo Romanus XIII, dessen Angaben zur bulla dimidia die Autorin überzeugend mit der längeren Zeit Gregors X. als papa electus in Verbindung setzt.
Das umfangreichste Unterkapitel (4.3) widmet sich den Regeln zur Gestaltung der litterae (S. 106–203) und behandelt zunächst ein in der Handschrift Durrieu überliefertes Formelbuch, das sich paläographisch auf die Mitte des 13. Jahrhunderts datieren lässt. Dieser Regeltext wird von Fees aufgrund der Formulierung Attende qui corrigis quod… als Hilfsmittel für die Kontrollinstanzen der Kanzlei interpretiert. Danach werden die im Speculum iudiciale überlieferten Ausstattungsvorschriften behandelt, die sich hauptsächlich auf die Abgrenzung der litterae von den Privilegien konzentrieren. Aus inhaltlichen Gründen sowie aufgrund der Annahme, die Zeit des ruhenden Geschäftsbetriebs sei für solche Aufgaben besonders geeignet gewesen, datiert Fees die Verschriftlichung dieser Ausstattungsregeln in die Jahre der Sedisvakanz nach dem Tod Clemens’ IV. (1265–1268). Gegenstand des dritten Abschnitts ist dann die in der Forschung als „Vulgataredaktion“ bezeichnete Neubearbeitung des Formularium audientiae, deren Fokussierung auf die Unterscheidung zwischen Hanf- und Seidenschnurrbriefen auf die zunehmende Trennung der Expeditionswege von Justiz- und Gnadenbriefen zurückgeführt wird. Überliefert sind zwei kurz aufeinander folgende Redaktionen aus der späteren Amtszeit Bonifaz’ VIII. (1294–1303) bzw. aus den Pontifikaten Clemens’ V. (1305–1314) und Johannes’ XXII. (1316–1334), was Fees damit erklärt, dass vor allem in Epochen personeller und räumlicher Instabilität „ein effizientes Wissensmanagement und damit die Aufrechterhaltung des Kanzleigeschäftes zu gewährleisten“ (S. 138) sei. Eine weitere Überarbeitung des Formularium audientiae enthält der vatikanische Cod. Rossianus 476. Der Autorin nach dürfte diese Neuredaktion, die sich inhaltlich in die Jahre 1370–1378 datieren lässt, im Zusammenhang mit der Rückkehr Gregors XI. nach Rom (1376/77) entstanden sein, da damals ein Teil der Kurie – einschließlich des Vizekanzlers – in Avignon verblieb.
Von dem grundlegenden Befund ausgehend, dass die vier betrachteten Hauptquellen zur äußeren Ausstattung der litterae „verschiedene Bearbeitungsstufen eines im Umfeld der päpstlichen Kanzlei verarbeiteten Grundbestands“(S. 147) bilden, bietet Fees dann eine ausführliche Darstellung der inhaltlichen Entwicklung der Gestaltungsregeln zu den einzelnen Ausstattungsmerkmalen.
Gegenstand des folgenden Unterkapitels (4.4) sind anschließend die Regeln und Vorlagen zur Gestaltung der Privilegien (S. 203–282). Überliefert sind aus dem 13. Jahrhundert nur die wenigen Ausstattungsvorschifften im Speculum iudiciale sowie ein knapper Hinweis in einer Kanzleiordnung Nikolaus’ IV. (1278). Erst im 14. Jahrhundert entstand der erste eigentliche Regeltext zur äußeren Gestaltung der Privilegien, die Forma scribendi privilegium. Dieses Kanzleihilfsmittel wurde also in einer Zeit verfasst, in der die Produktion des behandelten Urkundetyps immer mehr abnahm. Fees vermutet daher, dass mit dieser Verschriftlichung der Privilegienlehre die Kardinäle intendierten, das Aussterben einer Urkundenart, in der ihre Teilhabe an der petrinischen Gewalt besonders deutlich zum Ausdruck kam, zu verhindern.
Sehr aufschlussreich ist die Untersuchung der Überlieferung der Forma scribendi privilegium. Fees macht klar, dass die in der Forschung bislang nicht berücksichtigte ältere Version einen deutlich besseren Text bietet. Denn in der späteren Überlieferung seien wichtige Textstellen und damit auch eine geeignete Terminologie verloren gegangen. Gerade vor diesem Hintergrund seien dann weitere, ergänzende Hilfsmittel entstanden, wie das Privilegienmuster in der Handschrift Ottob. lat. 747 und die Gestaltungregeln im Cod. Rossianus 476. Mit einer ausführlichen Betrachtung der inhaltlichen Entwicklung der Vorschriften zu den einzelnen Urkundenmerkmalen – mit besonderem Blick auf die in den untersuchten Quellen näher betrachteten Protokollzeilen und Unterfertigungszeichen – schließt Fees dieses Unterkapitel.
Erheblich kürzer ist das den litterae sollemnes gewidmete Unterkapitel (4.5), denn dieser Urkundetyp wird nur in einem Abschnitt des Cod. Ross. 476 erläutert. Dies erklärt Fees hauptsächlich damit, dass die Bulle eine Mischform ist, die Merkmale von Privilegien und litterae vereint. Betrachtet werden im Anschluss in den Libri cancellarie überlieferte Gestaltungsregeln, die keine spezifische Urkundenart betreffen (4.6). Es handelt sich hauptsächlich um Kanzleiregeln, für die Fees die Urheberschaft der jeweiligen Vizekanzler vermutet. Abgeschlossen wird das vierte Kapitel mit der Untersuchung von Einzelfallregelungen, die in kurialen Urkundensammlungen überliefert sind (4.7).
Im Fazit (S. 324–346) werden die Forschungsergebnisse sehr übersichtlich dargestellt. Die diachronische Betrachtung der verschiedenen Hochphasen der Regularien zur Urkundengestaltung gibt deutlich zu erkennen, dass der große Teil dieser Regeltexte und Vorlagen in unsicheren und instabilen Situationen entstanden ist, bedingt durch Orts- und Personalwechsel. Diese Krisensituationen erforderten Hilfsmittel, um die Funktionsfähigkeit der Kanzlei und damit die volle Ausübung der römischen Kirchenherrschaft weiter gewährleisten zu können. Auch verdeutlicht wird, dass die untersuchten Regularien auf die tatsächlichen Bedürfnisse der unterschiedlichen Kanzleibereiche ausgerichtet sind. Diesen Hilfsmitteln wird ein „halboffizieller“ Charakter zugeschrieben: Auch wenn für mehrere Fälle die Mitwirkung der Kanzleileitung an ihrer Abfassung zu vermuten ist, wurden die eigentlichen Regeltexte zur Urkundengestaltung – anders als die Kanzleiregeln – nie vom Papst offiziell approbiert.
Eine graphische Übersicht der betrachteten kurialen und nichtkurialen Quellen schließt den inhaltlichen Teil der Studie ab, dem die üblichen Verzeichnisse und Register folgen.
Die Forschungsergebnisse sind in vielerlei Hinsicht relevant. In erster Linie hat die Autorin einen bedeutenden Beitrag zur Erschließung von in der Forschung bislang wenig beachteten Quellen geleistet, indem sie als Erste Entstehungszusammenhang, Inhalt, Entwicklung, Abhängigkeitsverhältnisse und praktische Verwendung umfassend und systematisch untersucht hat. Anhand einer akribischen Quellenanalyse sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur hat Fees an mehreren Stellen relevante Neudeutungen angeboten. Darüber hinaus bietet die Studie einen wertvollen Einblick in die Kompetenzen und gegenseitigen Einflussmöglichkeiten sowie in die Arbeitsweisen des päpstlichen Kanzleipersonals. Bemerkenswert ist auch die Bemühung Fees, die Entwicklungslinien der betrachteten Vorschriften und Vorgaben stets auf Grundlage der entsprechenden kirchenpolitischen Kontexte zu erläutern – lediglich die vermutete Verbindung mit den universalen Herrschaftsansprüchen Bonifaz’ VIII. (S. 125) erweist sich als weniger deutlich nachzuvollziehen. Zu den wenigen Schwächen der Monografie Fees gehören ein zu knapp ausgefallener Abbildungsapparat sowie eine nicht ganz übersichtliche Gliederung des Hauptteils: Das vierte Kapitel ist zu umfangreich und die Nummerierung der zahlreichen Unterkapitel und Abschnitte erweist sich als verwirrend. Dies schmälert jedoch den allgemeinen Wert der Untersuchung keineswegs.