S. Ruoffner-Unterrainer: Damenverbindungen

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Titel
Zwischen Verein, Korporation und Gesinnungsgemeinschaft. Die Damenverbindungen an den Universitäten Tübingen und Würzburg von den Anfängen bis zum Nationalsozialismus


Autor(en)
Ruoffner-Unterrainer, Simone
Reihe
Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen
Erschienen
Köln 2023: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
457 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Neumann, Lehrstuhl für Religionspädagogik, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Verbindungen von Studierenden gelten in der Gegenwart als traditionswahrende Institutionen. Mit emanzipatorischem Streben werden sie hingegen kaum assoziiert. Beim Blick auf die Geschichte sogenannter Damenverbindungen spielt beides eine Rolle: Denn eine Tradition musste die erste Generation von Studentinnen an deutschen Universitäten auf der Suche nach einem Selbstverständnis erst erfinden. Zu emanzipieren gab es dabei reichlich: sei es von Vorurteilen gegenüber ihrem Bildungsvermögen oder vom gesellschaftlich vorherrschenden Frauenbild, das ein Studium oder gar akademische Berufsausübung nicht vorsah. Dabei griffen die Studentinnen auf Strukturen der Vergemeinschaftung zurück, die bereits an den Universitäten etabliert waren: Sie orientierten sich ausgerechnet an jenen studentischen Männerbünden, von denen weder Fürsprache noch Sympathie für das sogenannte Frauenstudium zu vernehmen war. Aus heutiger Sicht erscheint das paradox. Umso spannender ist Simone Ruoffner-Unterrainers Studie über Damenverbindungen, deren These auf jenem paradoxalen Verhältnis von Tradition und Emanzipation aufbaut. So hätten die in Damenverbindungen organisierten Studentinnen männerbündische Elemente übernommen, um den etablierten Strukturen studentischer Mitbestimmung zu entsprechen und somit ihre eigenen Interessen vertreten zu können. Dabei habe es sich nicht um bloße Nachahmung der Männerbünde gehandelt, wie Ruoffner-Unterrainer unterstreicht. Vielmehr erfolgte eine selektive Adaption an das männliche Korporationswesen, bei der es darum gegangen sei, sich einen Ort an der Universität zu schaffen. Von dort aus war es ihnen möglich, ein Selbstverständnis zu entwickeln und im Sinne eigener Interessen zu handeln. Die Damenverbindungen standen allerdings auch in Tradition der bürgerlichen Frauenbewegung: Hatten die ersten Studentinnen den Kampf um ihre Rechte noch außerhalb der Universitäten kennengelernt, folgten sie dieser „Idee der Selbsthilfe“ nun auch innerhalb der Universitäten (S. 52).

Im Zentrum der als Kollektivbiographie konzipierten Studie steht die Entwicklung von Damenverbindungen sowie von deren Mitgliedern zwischen 1900 und 1938. Dabei fokussiert die Autorin auf die Universitäten Tübingen und Würzburg, zwei vergleichsweise kleine Universitäten mit unterschiedlichen konfessionellen Milieus. Das Korporationswesen war an beiden Standorten ausgeprägt und befand sich während der sukzessiven Studienzulassung von Frauen ab 1900 in einer Hochphase. In Bayern durften Frauen seit 1903 studieren; Württemberg folgte ein Jahr darauf.

Erste Damenverbindungen entstanden an beiden Universitäten erstmals mit dem 1906 gegründeten „Verein Studierender Frauen Würzburg“ (VStFW) sowie dem 1910 gegründeten „Verein Tübinger Studentinnen“ (VTSt). Die Namensgebung weist auf eine terminologische Unschärfe hin, mit der sich die Autorin zu Beginn ihrer Studie auseinandersetzt: Beide Organisationen waren zwar als Vereine gefasst, näherten sich den studentischen Verbindungen jedoch immer mehr an. Sie als „Studentinnenverein“ zu bezeichnen, werde ihrem Selbstverständnis kaum gerecht, so Ruoffner-Unterrainer. Die „historisch treffendste Bezeichnung“ sei „Damenverbindung“ (S. 36). In dieser Komposition komme die „Dame“ als „höhere Tochter“ aus gesellschaftlich privilegierter Familie vor – nur finanzstarke Familien konnten sich eine akademische Bildung für Söhne und Töchter gleichermaßen leisten. Zudem werde mit dem Begriff der „Verbindung“ der korporative Charakter deutlich. Der Unterschied zwischen Verein und Verbindung bestehe zudem im Lebensbundprinzip, dem die untersuchten Damenverbindungen mehrheitlich unterlagen.

Bei ihrer Einordnung des Themas in den historischen Kontext bezieht sich die Autorin auf Arbeiten von Edith Glaser und Sylvia Paletschek zur Geschichte der Universität Tübingen sowie von Heike Hessenauer zur Universität Würzburg.1 Auf dieser Grundlage skizziert sie den Weg deutscher Studentinnen vom Studium im Ausland, hin zum eingeschränkten Status als Gasthörinnen in den 1890er-Jahren bis zur eigentlichen Studienzulassung. Dabei betont sie die Rolle der Frauenbewegung, deren Vertreterinnen das Recht zum Studium einforderten. Während diese Vorgänge bereits erforscht sind, konstatiert die Autorin im Hinblick auf Damenverbindungen, dass „systematische und vor allem vergleichende Forschungen“ bislang fehlen (S. 20).

Der historischen Kontextualisierung folgt ein Übersichtskapitel über sechs deutschlandweit agierende Dachverbände. Damit wird sie dem exemplarischen Anspruch ihrer Studie gerecht, weil sie aufzeigt, in welchem weiteren Kontext die einzelnen Damenverbindungen in Tübingen und Würzburg standen. Die Verbände verfügten über eigene Zeitschriften, die heute als wichtige Quellen zur Erforschung der Damenverbindungen dienen. Vor dem Hintergrund dieser Dachverbände fällt es leichter, die vier Damenverbindungen in Tübingen sowie die fünf Verbindungen in Würzburg zu überblicken. Ähnlich wie die Dachverbände unterschieden sich diese hinsichtlich ihrer religiösen Motive, konfessionellen Zusammensetzung, Beziehung zur Frauenbewegung sowie politischen Ausrichtung. Allen gemeinsam war eine „ritualisierte Geselligkeit“ mit verschiedenen Ausprägungen (S. 225). Beim VTSt und dem VStFW kam der Geselligkeit große Bedeutung zu. Sie waren aus der bürgerlichen Frauenbewegung heraus entstanden und weder politisch noch konfessionell geprägt. Während die Würzburger Verbindung nur wenige Jahre bestand, entwickelte sich der VTSt zur mitgliederstärksten und bedeutendsten Damenverbindung in Tübingen.

Sowohl in Tübingen als auch in Würzburg existierte darüber hinaus eine „Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen“. Die pietistisch geprägten Verbindungen nahmen eine Sonderrolle ein, da in ihrem Verbindungsalltag protestantische Frömmigkeit eine weitaus größere Rolle spielte als eine an den Männerbünden orientierte Geselligkeit. Neben den protestantisch geprägten Damenverbindungen existierte in Tübingen die „Katholische Studentinnenverein Hohenberg“ und in Würzburg der „Katholische Studentinnenverein Hadeloga“ sowie die 1931/32 gegründete „Hochland Elisabeth“, die sich durch ihre Anleihen an der Jugendbewegung auszeichnete. Die katholischen Verbindungen pflegten eine explizite Nähe zur katholischen Frauenbewegung. Deren Interesse war es, akademische Bildung in ein katholisches Frauenbild zu integrieren: Einerseits indem sie als Lebensmodell ledigen Frauen vorbehalten blieb; andererseits indem sie auf karitative und somit weiblich klassifizierte Berufe zielte. Dem konfessionellen Milieu entsprechend, dominierte die katholische Verbindung „Hadeloga“ in Würzburg.

Eine dezidiert politische Ausrichtung wies der „Deutsch-Akademische Frauenbund“ in Tübingen auf, dem vergleichsweise wenige Studentinnen angehörten. Er orientierte sich ebenso wie der „Deutsche Verband Akademischer Frauenvereine“ am Leitbild der „deutschen Frau“, das in deutschnationalen Kreisen als Gegenbild zur „neuen Frau“ der Weimarer Republik verbreitet war.2 Jüdinnen waren von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen. Mit Machtantritt der Nationalsozialisten gliederten sie sich bereitwillig in die „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ ein. Diesem Ende der Damenbünde im Nationalsozialismus widmet die Autorin ein eigenes Kapitel.

Um die Entwicklung der Mitglieder in den Damenverbindungen zu fassen, unterscheidet die Autorin in Anlehnung an Marianne Koerner3 zwischen zwei Generationen von Studentinnen: Die erste Generation erstreckte sich bis in den Ersten Weltkrieg und habe sich, nachdem sie ihr Recht auf Studienzulassung erstritten hatte, eher unauffällig verhalten. Die zweite Generation hingegen strebte nach Gleichberechtigung innerhalb der Universitäten, verlor dafür allerdings mehr und mehr den Kontakt zur Frauenbewegung. Auffällig ist der hohe Anteil jüdischer Studentinnen insbesondere in der ersten Generation. Diesem Befund trägt die Autorin insofern Rechnung, dass sie die Situation von Jüdinnen an den deutschen Universitäten in verschiedenen Kapiteln und Abschnitten thematisiert. Insbesondere im VStD waren zahlreiche jüdische Studentinnen aktiv. Eine Minderheit orthodox-gläubiger Jüdinnen assoziierten sich in der „Gruppe jüdischer Studentinnen Beruria“.

Die Autorin beleuchtet die neun genannten Damenverbindungen und deren Mitglieder vorrangig aus organisations- und sozialgeschichtlicher Perspektive: Im Kern der Studie werden die Mitglieder hinsichtlich ihrer geografischen und sozialen Herkunft, ihrer Vorbildung, Studienfachwahl und Wohnverhältnissen untersucht. Da keine Sammlungen zu den Damenverbindungen überliefert sind, dienen vorwiegend Akten und Verbindungslisten der Universitätsarchive Tübingen und Würzburg als Quellen – ergänzt durch Material unter anderem aus der Bibliothek des Instituts für Hochschulkunde in Würzburg sowie der Gemeinschaft für Deutsche Studentengeschichte in Paderborn.

Mit der inhaltlichen Arbeit der Damenverbindungen setzt sich Ruoffner-Unterrainer im Hinblick auf deren Verbindungsalltag und Selbstverständnis auseinander. Zudem analysiert sie Einflüsse durch die Frauenbewegung sowie Verhältnisse zu den Männerbünden, den Kirchen sowie der Hochschulpolitik. Die ortsansässigen Männerbünde akzeptierten die Damenverbindungen lediglich in Würzburg, während sie in Tübingen mit weitgehender Ablehnung konfrontiert waren. Gerade für den Bereich der Hochschulpolitik kann die Autorin ihre These jedoch untermauern, die sie auf die Formel „Legitimation durch Tradition“ bringt (S. 330): Die Damenverbindungen knüpften an die Strukturen der Männerbünde an und erreichten somit, dass sie spätestens nach dem Ersten Weltkrieg in den „Allgemeinen Studentenausschüssen (AStA) nicht mehr wegzudenken waren“ (S. 342). Die aufwändig recherchierte Studie bietet eine wertvolle Grundlage für weiterführende Analysen: Darin ließen sich beispielsweise die nur schlaglichtartig thematisierten Diskurse in den Verbandsorganen vertiefend betrachten.

Anmerkungen:
1 Edith Glaser, Hindernisse, Umwege, Sackgassen. Die Anfänge des Frauenstudiums in Tübingen (1904–1934) (= Ergebnisse der Frauenforschung; Bd. 25), Weinheim 1992; Sylvia Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (= Contubernium; Bd. 53), Stuttgart 2001; Heike Hessenauer, Etappen des Frauenstudiums an der Universität Würzburg. Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg: Beiheft; Bd. 4), Neustadt / Aisch 1996.
2 Vgl. Kirsten Heinsohn, Konservative Parteien in Deutschland 1912 bis 1933. Demokratisierung und Partizipation in geschlechterhistorischer Perspektive (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 155), Düsseldorf 2010, S. 111f.
3 Marianne Koerner, Auf fremdem Terrain. Studien- und Alltagserfahrungen von Studentinnen 1900 bis 1918, Bonn 1997.

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