Daran, dass der Sternenhimmel in den 1920er-Jahren in greifbare Nähe rückte und zugleich Erfahrungen der Entrückung sowie Ergriffenheit erlaubte, hatten nicht zuletzt auch die in den europäischen Großstädten zahlreicher werdenden Planetarien Anteil. Schließlich konnten sich darin die Besucher:innen zum Weltraum, zur Technik, zur Wissenschaft, zu möglichen Zukünften, zur Natur und auch zur Moderne ins Verhältnis setzen. Von einer regelrechten „Planetariumseuphorie“ (S. 14) spricht Helen Ahner in ihrer Dissertationsschrift, die sich aus empirisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Projektionsplanetarium zur Zeit seiner Entstehung und Etablierung zwischen 1923 und 1933 zuwendet. Nicht nur die ansprechende Gestaltung des Umschlages lädt zum Lesen ein, auch der Titel und das darin Ausdruck findende, auf 368 Seiten schrittweise aufgeschlüsselte Spiel der Worte wecken Neugier.
Zu Beginn erklärt Ahner, worin die empirisch-kulturwissenschaftliche Perspektive auf den Gegenstand besteht – namentlich in der Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Planetarien, wobei Menschen, ihre Erfahrungen, Gefühle, Imaginationen und Erzählungen im Mittelpunkt stehen. Die Arbeit versteht sich dabei als ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Alltags und spürt der Selbstbeschreibung des Menschen als „modern“ nach. Dazu wurden vier Fallbeispiele – die Planetarien in Jena, München, Wien und Hamburg – ausgewählt und ein 900 historische Dokumente umfassender Quellenkorpus – bestehend aus Bildern, Briefen, Zeitungsartikeln und Programmheften – einer historischen Kulturanalyse unterzogen. Ziel der Arbeit sei es, „das Planetarium als Wunder der Technik und gleichzeitig als Technik des Wunderns zu untersuchen, den diskursiven und praktischen Seiten der Planetariumserfahrung gerecht zu werden und dabei deutlich zu machen, wie Formen des Wahrnehmens, Fühlens, Erzählens und Wissens zusammenhängen“ (S. 30).
Im ersten Teil des insgesamt drei Teile umfassenden Buches wird das Planetarium als Feld und Forschungsgegenstand präsentiert. Nah am empirischen Material und sehr ausführlich werden dazu zunächst die Geschichte sowie Spezifika der vier Planetarien vorgestellt und dann methoden- sowie quellenkritisch die Potenziale und Grenzen des gewählten Zugriffes – namentlich der historischen Ethnografie – diskutiert. Bei der Auswertung ihres Quellenkorpus bedient sich Ahner dabei sowohl diskursanalytischer als auch praxisorientierter Lesarten, um vergangene Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gefühle zu analysieren und sie auf diesem Wege zum Vorschein zu bringen.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dem zunächst historisch hergeleiteten Topos vom „Wunder der Technik“, der die Erfahrung im Planetarium als Technikerfahrung rahmt: Das Planetarium sei ein Ort, an dem das Verhältnis zur Technik erfahren, gefühlt, vermittelt und ausgehandelt werden konnte. In ihrer Hinwendung zur technischen Dimension des Planetariums positioniert sich Ahner dabei in der empirisch-kulturwissenschaftlichen Technikforschung, wie sie – in der Tradition von Hermann Bausinger – gegenwärtig etwa von Klaus Schönberger angewandt wird, und distanziert sich zugleich von den Science and Technology Studies (STS): „STS-Perspektiven bergen die Gefahr, sowohl die Frage nach dem Alltag als auch die Frage nach der Erfahrungsdimension des Alltäglichen auszublenden.“ (S. 153) Es ist bedauerlich, dass sich Ahner dieser Forschungsperspektive versperrt – nicht nur, weil ihre Sorge im Lichte zahlreicher Alltagskulturforscher:innen, die sich in den STS verorten, unbegründet ist, sondern da ihr die Ansätze der STS den Weg zur Erforschung der im folgenden Kapitel behandelten naturkultürlichen Planetariumserfahrungen geebnet hätten. Dessen ungeachtet gelingt es Ahner, den Projektor ausgehend von ihrem Material als Wesen, Werk und Weltmaschine, welche „die Welt nicht abbildete, sondern sie erst hervorbrachte“ (S. 170), zu identifizieren.
Im vierten Kapitel wird die im Planetarium erzeugte Naturerfahrung als „Durch(-)einander von Natur und Kultur“ (S. 190) ausgewiesen. Dabei scheint die Autorin ein wenig hin- und hergerissen zu sein zwischen dem „klassisch“ empirisch-kulturwissenschaftlichen Zugriff auf Natur, der danach fragt, „was Menschen wann und warum als Natur begegnet(e)“ (S. 194), und neueren Ansätzen der NaturenKulturen-Forschung. Ihre bis zu diesem Kapitel konsequent sozialkonstruktivistische und diskurs- sowie praxistheoretische Argumentation – welche die Planetariumserfahrung als gemacht und Ergebnis narrativer oder inszenatorischer Strategien sowie erlernter Wahrnehmungsweisen ausweist (S. 216, 224) – kollidiert mit den nun eingeführten postdualistischen, postanthropozentrischen und posthumanistischen Ansätzen der NaturenKulturen-Forschung. Diese hätten ein grundsätzlich anderes Fragen erfordert – etwa nach den Seins- und Erscheinungsweisen eines durch das Planetarium erzeugten Mensch-Technik- beziehungsweise Mensch-Natur-Kontinuums – und zudem vom Wechsel der Betrachtungsrichtungen – also nicht nur „vom Menschen her“, sondern „von der Maschine her“ – profitieren können. Auch das im Kontext der NaturenKulturen-Forschung umstrittene Konzept Natur – das unweigerlich Dualismen und Anthropozentrismen produziert – sowie die im Zuge der Vermischung der kontrastierenden Zugriffe entstehenden Widersprüche hätten einer stärkeren Problematisierung bedurft. Gleichwohl sollte dieser Eindruck nicht das positiv zu bewertende Bemühen schmälern, an historischem Material aktuelle und zumeist auf Gegenwartsfragen gerichtete Denkrichtungen zunächst tastend zu erproben. Mithin gelingt es Ahner, einerseits mannigfaltige Naturkonzepte zu identifizieren sowie den zwischen Planetarium, Stadt und Natur bestehenden Konnex herauszuarbeiten, andererseits das Planetarium in Anlehnung an Alexander C.T. Geppert und Tilmann Siebeneichner als lieux de l’avenir auszuweisen: als einen Ort, an dem gesellschaftliche Erwartungen ausgehandelt sowie Zukünfte erprobt werden konnten und dem ein „will to wonder“ zugrunde liegt (S. 227).
Der Sprung in postdualistische Denksphären gelingt Ahner schließlich im dritten, „Techniken des Wunderns“ betitelten Teil (und dies ohne explizite Anwendung der STS oder NaturenKulturen, wenngleich spekuliert werden könnte, ob diese nicht implizit das Fragen anleiteten) mit der Zuwendung zur Körperlichkeit der Planetariumserfahrung sowie den zwischen Begeisterung und Angst changierenden Gefühlen: „Diese Gefühle und Vorstellungen griffen auf die Leiber der Planetariumsgäste aus und machten Technik und den Umgang damit zur Körpersache.“ (S. 225) Ahner nimmt dabei sowohl die körperlich-sinnliche Dimension des Wunderns sowie die im Planetarium eingeübten Körpertechniken wie Hören, Sehen, Sitzen und Schwindel in Augenschein, als auch die stimmungsmäßigen und atmosphärischen Dimensionen: Die „Planetariumsatmosphäre“ (S. 258) korreliere dabei mit den Wahrnehmungen, Emotionen und der Wissensaneignung der Besucher:innen; zudem gelte das körperliche wie emotionale „Durchschauern“ als Symptom der „Planetariumsstimmung“ (S. 259). Durch die Hinwendung zur Körperlichkeit gelangt das zunächst nicht ganz überzeugende „Durch(-)einander“ (S. 190) klar zur Abhebung und lässt an posthumanistische Konzepte wie Stacy Alaimos Transkorporealität denken, wenn Ahner schreibt, dass der gleichermaßen dezentriert wie zentriert erlebbare Körper der Besucher:in „mit der Schau verschmolz und als Teil ihrer hervortrat“ (S. 283). Das „Durch(-)einander“ kulminiert schließlich in den letzten beiden, die Dramaturgie des Buches krönenden Kapiteln, in denen das Planetarium als Ort der kollektiven „Transzendenzerfahrung“ und „Erfahrung des Erhabenen“ (S. 335) ausgewiesen wird, der ein gemeinschaftliches Erleben von Wirklichkeiten, die den Alltag überschreiten, erlaubte und zudem Raum zur Reflexion über die Stellung des Menschen in und jenseits der Welt sowie zur Perspektivierung des Daseins im Lichte der Erfahrung des Erhabenen bot.
Beim Lesen der Monografie, die einen wichtigen Beitrag zur empirisch-kulturwissenschaftlichen Technik- und Emotionsforschung leistet und ein musterhaftes Beispiel für eine historische Ethnografie bietet, lässt sich anschaulich das Werden eines aufregenden Dissertationsprojektes nachzeichnen: Von einer soliden Quellenarbeit mit einer der Tübinger Tradition erwachsenen sozialkonstruktivistischen Analyse über eine anschwellende Experimentierlust mit neuen Theoremen bis hin zu einer philosophische Fragen des Menschseins aufwerfenden Interpretation. Nah am Material und stets die Fachtermini souverän erläuternd wird Helen Ahner dabei gewiss auch Nicht-Fachkundige in den Modus des Wunderns über die faszinierende Welt der Planetarien versetzen. „Planetarien. Wunder der Technik – Techniken des Wunderns“ ist eine empfehlenswerte Lektüre gerade mit Blick auf die vorlesungsfreie Zeit, die uns sowohl auf den nächsten Planetariumsbesuch als auch die sommerlichen Perseiden einzustimmen vermag.