Neue Forschungen zu polnischen Displaced Persons

: Occupiers, Humanitarian Workers, and Polish Displaced Persons in British-Occupied Germany London 2023 : Bloomsbury, ISBN 9781350189256 246 S. £ 76.50

: Kingdom of Barracks. Polish Displaced Persons in Allied-Occupied Germany and Austria. Montreal 2023 : McGill Queen's University Press, ISBN 9780228017301 360 S. C$ 95.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Borchers, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin

Die Forschung zu Displaced Persons (DPs), die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs infolge der Kriegsereignisse und der gezielten Deportationen etwa zur Zwangsarbeit außerhalb ihres Heimatlandes befanden, hat sich in den letzten Jahrzehnten weit ausdifferenziert. 2021 fasste ein Sammelband den Forschungsstand in Deutschland und Österreich zusammen.1 Aufbauend auf diese Forschungen nehmen jetzt zwei britische Dissertationen die polnischen DPs in Westdeutschland in den Blick: Samantha Knapton (PhD an der Newcastle University) und Katarzyna Nowak (University of Manchester) beleuchten diese Gruppe aus unterschiedlichen Perspektiven.

Rund zwei Millionen Polinnen und Polen befanden sich bei Kriegsende über Europa verteilt, die Hälfte davon in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Die Alliierten repatriierten zuerst vor allem sowjetische und westeuropäische DPs. Für viele Polinnen und Polen, insbesondere jene, die es in den Westen Deutschlands verschlagen hatte, bestand erst ab September 1945 die Möglichkeit, nach Polen zurückzukehren. Viele von ihnen haderten mit der Perspektive einer Rückkehr in ihr kriegszerstörtes, in seinen Grenzen völlig verändertes und zunehmend sowjetisiertes Heimatland und verblieben angesichts dieser Aussichten erst einmal in den westlichen Zonen. Nicht wenige bemühten sich um eine Auswanderung in andere westliche Staaten. Beide Untersuchungen konzentrieren sich auf die Zeitspanne vom Kriegsende bis 1951/52, die für das weitere Schicksal der polnischen DPs entscheidend war. Während Knapton sich auf die Perspektive der Besatzer und Hilfsorganisationen fokussiert, rückt Nowak die Erfahrungen und Identitätskonstruktionen der polnischen DPs in den Mittelpunkt.

Die Monographie von Knapton befasst sich mit der britischen Besatzungszone. Polinnen und Polen machten in diesem Gebiet fast 80 Prozent aller DPs aus. Haren im Emsland bildete das inoffizielle Zentrum der Exilpolen in der britischen Zone – von 1945 bis 1948 wurde die Kleinstadt gar in Maczków umbenannt. Die profunde Analyse der Rolle der britischen Besatzer und der Hilfsorganisationen United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) bzw. deren Nachfolgeinstitution International Refugee Organization (IRO) macht den Wert ihrer Arbeit aus. Knapton zeigt auf, dass diese Akteure wenig Verständnis für die Haltung der Polinnen und Polen hatten – im Gegenteil: antipolnische Ressentiments waren unter ihren Mitarbeitenden weit verbreitet.

Waren Großbritannien und Polen bei Beginn des Zweiten Weltkriegs noch durch eine enge Allianz verbunden gewesen, bildete sich während des Krieges eine wachsende Kluft heraus, die nach Kriegsende weiter zunahm. Knapton gibt kluge Einsichten in die angespannte Lage in der britischen Innenpolitik und die sinkende Bereitschaft, die polnischen DPs weiter zu unterstützen. Zunehmend wurde gefordert, dass sie nach Hause zurückkehren sollten. Ähnlich sahen dies die genannten UN-Flüchtlingsorganisationen, die die Betroffenen entsprechend unter Druck setzten. Dabei stellt Knapton auch die Spannungen zwischen den Besatzern und den Hilfsorganisationen heraus. Ausführlich legt sie das Scheitern der 1946/47 aufgelösten UNRRA dar, wobei dies in der Forschung bereits adressiert worden ist.2

Aufschlussreich sind Knaptons Einsichten in die Haltung einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen. Allerdings stützt sie sich dabei vor allem auf die Memoiren und Briefe von Rhoda Dawson, die zwar aus Großbritannien stammte, aber als Sozialarbeiterin in diversen Lagern in der amerikanischen Zone eingesetzt war. Zudem geht sie kenntnisreich auf die polnische Geschichte ein und reflektiert die unterschiedlichen Vorstellungen von Polentum („polskość“). Die Perspektive der polnischen DPs findet in Knaptons Studie wenig Beachtung, sodass sie ihren selbstgesteckten Anspruch, die „top-down“ und die „bottom-up“-Sicht auf ihren Forschungsgegenstand zu vereinen, nicht ganz einlösen kann.

Die Untersuchung von Katarzyna Nowak stellt demgegenüber die Perspektive der polnischen DPs in den Mittelpunkt. Die Polinnen und Polen erscheinen bei ihr als Akteure, ihre Agency wird sichtbar. Dabei fokussiert sich Nowak insbesondere auf die Entwicklung einer neuen Identität als Displaced Persons und die Schaffung einer kulturellen Gemeinschaft unter den Exilpolen. Diese verstanden sich in Anknüpfung an die Emigration aus dem geteilten Polen des 19. Jahrhunderts als „Zweite Große Emigration“. Die Menschen erlebten in den DP-Lagern eine starke Politisierung und wurden zum Ziel eines Ringens um ideologischen Einfluss. Während die kommunistische polnische Regierung versuchte, möglichst viele von ihnen zur Rückkehr zu bewegen, wollte die antikommunistische Exilregierung in London genau das Gegenteil erreichen und instrumentalisierte die DPs als ihre Legitimationsbasis. Viele polnische DPs griffen diesen Diskurs auf und kontextualisierten ihr Verbleiben im Westen im aufkommenden Kalten Krieg als antisowjetisches Freiheitsstreben.

Darüber hinaus beleuchtet Nowak kulturelle Aushandlungsprozesse im Exil sowie die Rolle der DPs im modernen Kontroll- und Versorgungssystem. Sie geht auch auf die besondere Lage der polnisch-jüdischen Überlebenden ein, die eine eigene Gruppe bildeten und die polnische DP-Identität nicht übernahmen. Die Autorin hat umfangreiche polnischsprachige Quellen ausgewertet; die Quellenkritik kommt bei ihr allerdings etwas zu kurz (während Knapton in dieser Hinsicht sorgfältiger vorgeht). Zudem hätte Oral History, die Nowak in Ansätzen verwendet, wichtige Einblicke geben können. Das Warschauer Archiwum Historii Mówionej (Archiv der gesprochenen Geschichte) enthält zahlreiche Aufzeichnungen zum Themenspektrum von Nowaks und Knaptons Forschungen.

Zu Recht stellt Nowak klar, dass ein Großteil der Polinnen und Polen in die Heimat zurückkehrte, vor allem aus den Gebieten, die von der Roten Armee befreit wurden. Dies wird bei Knapton, die sich erklärtermaßen auf die britische Besatzungszone beschränkt, nicht so deutlich. Dass die Befreiung – durch wen auch immer – vor allem ein Moment der Freude war und von den meisten als Signal zur möglichst umgehenden Rückkehr verstanden wurde, geht in beiden Studien etwas unter. Nowak behauptet, dass fast die Hälfte der polnischen DPs im Exil geblieben sei, was deutlich überhöht erscheint. Włodzimierz Borodziej schreibt, dass rund drei Viertel zurückkehrten.3

Demgegenüber widmen beide Studien der Emigration polnischer DPs in andere Länder einige Aufmerksamkeit, bei Knapton mit Fokus auf Großbritannien. Deutlich wird, dass diese Option vor allem jungen und gesunden Menschen offenstand, während Ältere, Kranke oder auch alleinerziehende Mütter größtenteils von der Auswanderung ausgeschlossen waren. Der Auswahl lagen rassistische und koloniale Denkmuster zugrunde. Einerseits waren die polnischen DPs empört, dass sie als Kriegsopfer nicht privilegiert behandelt und wie schon bei der Heranziehung zur Zwangsarbeit aufs Neue an ihrer Arbeitskraft bemessen wurden. Andererseits macht Nowak deutlich, dass viele Betroffene durchaus in der Lage waren, ihren Handlungsspielraum auszureizen und die Regeln zu ihrem Vorteil zu umgehen. Zahlreiche DPs verblieben jedoch in Westdeutschland. Ihr Status wurde 1951 im „Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet“ geregelt; in dieser Zeit enden die Untersuchungen von Knapton und Nowak.

Nowak stellt in ihrem Fazit heraus, dass sich die Gruppe der polnischen DPs vor allem aus Bauern und Arbeitern zusammensetzte, also vorwiegend aus ehemaligen NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeitern, aber von einer Elite von politisch profilierteren und oftmals höher gebildeten vormaligen Häftlingen nationalsozialistischer Konzentrationslager dominiert wurde. In Nowaks und Knaptons Analyse wird die Bedeutung der von der Zwangsarbeit Befreiten jedoch nicht ausreichend gewürdigt, während die KZ-Überlebenden, die größtenteils politisch engagiert waren und mehr schriftliche Quellen hinterließen, mehr Raum einnehmen. Nowaks Titel „Kingdom of Barracks” ist zwar ein Quellenbegriff und daher durchaus gerechtfertigt – er beschreibt das NS-Zwangsarbeitssystem mit seinen über 40.000 Lagern aber treffender als die Gegebenheiten der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dass unter den DPs auch Kollaborateure und Wehrmachtsangehörige waren, wie kürzlich die Sonderausstellung „München Displaced. Heimatlos nach 1945“ im Münchner Stadtmuseum zeigte4, kommt in beiden Büchern nur am Rande zur Sprache.

Zusammenfassend gilt es die Forschungsleistung beider Arbeiten nachdrücklich zu würdigen. Mit ihren unterschiedlichen Perspektiven ergänzen sich die Studien komplementär. Sie geben wichtige Einblicke in die Lage der polnischen Kriegsopfer, die nicht nur von den Deutschen als lästig empfunden wurden, sondern auch von den Westalliierten wenig Anerkennung erfuhren und vorwiegend Geringschätzung erlebten. Sie zeigen damit, dass das vielfach beklagte mangelnde Verständnis für die polnische Geschichte und Identität sich keineswegs nur auf den deutschsprachigen Raum bezieht. Nowak und Knapton führen deutlich vor Augen, dass eine negative Haltung gegenüber Polen in der Nachkriegszeit auch bei den westlichen Alliierten, namentlich bei den Briten, weit verbreitet war, bis hinab zu den untersten Ebenen. Polinnen und Polen erfuhren Wertschätzung allenfalls als billige Arbeitskräfte. Knaptons und Nowaks Forschungen, die sich vorwiegend an ein anglo-amerikanisches Publikum richten, leisten einen wichtigen Beitrag zur polnischen Emigrationsgeschichte und zur Aufarbeitung der Rolle Polens als „betrogenem Alliierten“.

Anmerkungen:
1 Nikolaus Hagen u.a. (Hrsg.), Displaced Persons-Forschung in Deutschland und Österreich. Eine Bestandsaufnahme zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2021; rezensiert für H-Soz-Kult von Anna Holian, 07.10.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118132 (11.09.2024).
2 Amanda Melaine Bundy, There was a Man of UNRRA. Internationalism, Humanitarianism, and the Early Cold War in Europe 1943–1947, Ohio State University, Doctoral dissertation 2017, http://rave.ohiolink.edu/etdc/view?acc_num=osu1492608585636304 (11.09.2024).
3 Włodzimierz Borodziej, Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 259.
4https://www.muenchner-stadtmuseum.de/sonderausstellungen/muenchen-displaced-heimatlos-nach-1945 (11.09.2024); rezensiert für H-Soz-Kult von Christian Höschler, 28.10.2023, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-137800 (11.09.2024).

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