Bereits seit den 1920er-Jahren wurde in der ecuadorianischen Amazonasregion (Región Amazònica Ecuatoriana, RAE) Öl gesucht, doch erst 1963 führten Bohrungen des US-amerikanischen Ölkonzerns Texaco zu Funden. Diese Ölvorkommen wurden von 1973 bis 1992 von Texaco und in kleinerem Umfang auch dem ecuadorianischen Staatskonzern CEDE sowie weiteren Firmen ausgebeutet. Maximilian Fritz Feichtner beschreibt nun lesenswert aus einer umwelthistorischen Perspektive die Veränderungen der ecuadorianischen Amazonasregion durch Explorationen und Ölförderungen seit den 1960er-Jahren und erschließt damit einen neuen Blick auf das Thema.
Feichtners Buch, das auf seiner an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München eingereichten Dissertation basiert, verfolgt dabei zwei Erkenntnisziele. Erstens verspricht die Arbeit ein dichotomes Verständnis von Natur/Kultur oder Mensch/Umwelt zu überbrücken und betont stattdessen komplexe Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Ölförderungspraktiken. Zweitens soll eine zweigeteilte Darstellung der Ereignisse, die entweder als Erfolgsgeschichten den wirtschaftlichen Fortschritt betonen oder als Niedergangserzählungen von Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen handeln, durch eine komplexere Transformationsgeschichte ersetzt werden. Methodisch verknüpft das Buch Erkenntnisse aus historischen Quellen mit ethnographischen Interviews, die der Autor zwischen 2012 und 2019 mit Ölarbeitern durchführte. Dadurch kehrt sich auch das vermeintliche Manko, keine Firmenarchivalien verwenden zu können, deren Zugang in der Branche bekanntermaßen oftmals schwierig bis unmöglich ist, in einen Zugewinn um.
Der Autor nutzt zur Deskription und Analyse der massiven Veränderungsprozesse durch die Ölforderungen die Metapher der Metamorphose. Diese definiert er als „an interactive, multi-scalar process of inherently socio-ecological changes“ (S. 16). In der Tat dient die Metapher der Metamorphose im Fall dieses Buches als aussagekräftiges Analysemittel. Vielleicht gerade, weil der Begriff aus derart vielen Perspektiven anschlussreich, schillernd und vielgestaltig ist, zeigt er sich auch geeignet, um dichotome Narrative zu überbrücken. Der möglichen Gefahr, dabei Verantwortlichkeiten zu verschleiern, unterliegt die Erzählung jedoch nicht. Feichtner macht konkret vier grundlegende Dimensionen der Verwandlung aus, die auch zur Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes und des Buches dienen. Jeder Dimension ist ein Kapitel gewidmet. Erstens beschreibt er eine conceptual metamorphosis, die sich mit der veränderten Wahrnehmung der Region seit den Explorationsarbeiten der 1960er-Jahre befasst. Anhand der Implementierung von Infrastrukturen wie Straßen, Pipelines, Siedlungen und landwirtschaftlicher Nutzflächen beschreibt er anschließend die material metamorphosis. Drittens beschreibt er die langsam fortschreitende, zunächst unsichtbare, aber immer gravierendere toxic metamorphosis durch die jahrzehntelange Verschmutzung mit Öl und Produktionsrückständen. Viertens widmet er sich schließlich der social metamorphosis durch die massive Arbeitsmigration in die Region.
Nach einem einleitenden Teil (Kapitel 2), der eine Beschreibung des Ökosystems Amazonas und seiner menschlichen und nicht menschlichen Bewohner:innen enthält, widmet sich das Buch den umfangreichen und rasanten Veränderungsprozessen, die durch die Ölförderung in der Region in Gang gesetzt wurden. Zunächst untersucht Feichtner die conceptual metamorphosis (Kapitel 3) und nimmt die veränderte Wahrnehmung der ecuadorianischen Amazonasregion im Zuge intensiver Explorationen seit den 1960er-Jahren in den Blick. Durch eine neue Wahrnehmung der Region primär als Ressourcengebiet verwandelte sich der Amazonas in ein „ressource environment“ (S. 56). Die Suche nach Öl förderte als weitere Ressource auch umfangreiches geographisches, geologisches und biologisches Wissen über die Region, wobei dieses eng verzahnt durch indigene Expertise und neue technologische Gerätschaften generiert wurde. Feichtner bettet zudem die Ölförderung in ein breiteres Netz aus Veränderungen durch eine intensivierte Landwirtschaft, Urbanisierung oder den Bau von Infrastrukturen ein, die alle einen Beitrag zu Abholzung, Verschmutzung, Auswirkungen auf Tiere und das Ökosystem des Regenwaldes hatten. Immer wieder wird dabei deutlich, dass auch der Regenwald, das Wetter oder die Lage der Ölfelder die Förderpraktiken Texacos mitbestimmten.
Besonders deutlich werden diese Wechselwirkungen in dem folgenden Kapitel (Kapitel 4), das sich mit Infrastrukturen und der resultierenden material metamorphosis befasst. Ausgehend von den Fördertechniken, die als zirkulierendes Wissen durch den multinationalen Konzern Texaco importiert wurden, beschreibt das Kapitel die Veränderungen, die der Bau von Straßen, Pipelines, Landebahnen, Fördertürmen etc. in Gang gesetzt hat. Der Bau der Infrastrukturen erfolgte durch ein breites Netz an Subunternehmen und Arbeitsmigrant:innen. Insbesondere die Wissenslücke zwischen Texaco und den ecuadorianischen Partnern ermöglichte es dem Konzern, Praktiken zu etablieren, die besonders kostengünstig, dabei jedoch umweltschädlich waren, wie beispielsweise das Entsorgen von Reststoffen aus der Ölförderung als Straßenbeläge. Deutlich wird hier, dass sich die Geschäftspraktiken Texacos jeweils in einem Netz aus Machtverhältnissen konstituierten, wobei insbesondere die ecuadorianische Regierung, lokale Widerstandsgruppen, internationale Expert:innen und Partnerunternehmen eine Rolle spielten.
Einige der Geschäftspraktiken Texacos, wie die Entsorgung von Reststoffen aus der Ölerzeugung in unbefestigte Gruben, regelmäßig auftretende Pipelinebrüche oder Lecks führten zu einer Belastung der Region mit Giftstoffen, die von Feichtner als toxic metamorphosis zusammengefasst werden (Kapitel 5). Der Autor nutzt zur Beschreibung dieser belasteten Landschaften das Konzept des „toxic ghost acres“.1 Dieses soll eine spezielle Form der transregionalen oder transnationalen Externalisierung von wirtschaftlichen und sozio-ökonomischer Kosten umfassen. Leider fällt angesichts der umfangreichen Konzeptionalisierung die genauere Risikoanalyse für die Fallstudie etwas zurück; insbesondere eine Beschreibung enthaltener Stoffe sowie ihrer Auswirkungen auf Ökosysteme und Organismen bleibt allgemein. Auch im folgenden Kapitel, das sich mit der social metamorphosis befasst, werden die gesundheitlichen Folgen der Kontaminierung nur am Rande thematisiert.
Stattdessen beschreibt die social metamorphosis vor allem strukturelle Veränderungen und die soziale Zusammensetzung (Kapitel 6), durch eine erhebliche Zuwanderung seit den 1970er-Jahren. Dabei wird deutlich, dass der Arbeitsalltag durch eine primär maskuline Arbeitsethik und starke soziale Hierarchien geprägt war. Diese bestimmten auch über den Grad, zu dem Individuen Risiken wie Unfällen und gesundheitlichen Folgen ausgesetzt wurden und zu dem sie mit der Umwelt des Regenwaldes interagierten. Während die gut ausgebildeten, meist ausländischen Texaco-Mitarbeiter in klimatisierten und komfortablen Einrichtungen lebten oder nur zu ihren Schichten aus Quito eingeflogen wurden, waren die meist aus anderen Regionen Ecuadors zugewanderten, ungelernten Arbeiter direkt mit dem schwülheißen Klima, den Tieren des Amazonas sowie dem Öl selbst in Kontakt. Dennoch wird deutlich, dass die meisten der interviewten Arbeiter sich insbesondere an Freizeitaktivitäten und den wirtschaftlichen Aufstieg erinnerten, statt an die harte Arbeit auf den Ölfeldern. Die Auswertung der Zeitzeugeninterviews gibt auch lebhafte Einblicke in Freizeitgestaltung, Geschlechterverhältnisse und die Besonderheiten des Lebens in den Ölstädten. Zudem wird deutlich, dass Texaco trotz der Umweltverschmutzung in der Region, im Gegensatz zu Subunternehmen und Nachfolgeunternehmen, überwiegend positiv in Erinnerung geblieben ist. Auf die indigenen Gruppen der Region, die dadurch zu Minderheiten wurden und besonders stark durch die Veränderungen der Umwelt betroffen waren, hatte die Zuwanderung die stärksten Auswirkungen. Das Buch endet mit der Darstellung von indigenem Widerstand und bis in die Gegenwart andauernden Gerichtsprozessen, die auch nach Texacos Rückzug aus der Region im Jahr 1992 Schadensersatz und Aufräumarbeiten fordern.
Am Ende zeigt sich Maximilian Fritz Feichtners „Metamorphosis of the Amazon“ als eine komplexe Transformationsgeschichte, die das Ökosystem des Amazonas und die Erfahrungen und Handlungen der Ölarbeiter selbst ins Zentrum rückt. Seine Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag, um komplexe Veränderungsprozesse in Ressourcenabbaugebieten zu verstehen, und bietet eine fundierte Ausgangslage für weitere Forschungsarbeiten. Dem interdisziplinären Anspruch, den Feichtner in der Einleitung formuliert, wird das Buch in Teilen durch den Einbezug ethnographischer Interviews gerecht. Allerdings betont auch Feichtner selbst im Schlusskapitel die Notwendigkeit weiterer transdisziplinärer Forschung, besonders in Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften.
Anmerkung:
1 Das Konzept der „ghost acres“ beschrieb anfangs Flächen, die aufgrund von Lebensmittelexporten nicht mehr zur Versorgung der lokalen Bevölkerung dienten. Später wurde das Konzept auf Müllexporte des Globalen Nordens in den Globalen Süden erweitert. Zuletzt widmete sich die DFG-Projektgruppe „Hazardous Travels. Ghost Acres and the Global Waste Economy“, der auch Maximilian Fritz Feichtner angehörte, dem Thema.