Zu den Einrichtungen, die – wie die Bundesrepublik selbst – im Jahr 2024 75 Jahre alt werden, gehört die Deutsche Presse-Agentur (dpa), eine Säule im liberal-demokratischen Mediensystem des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie beliefert seit dem 1. September 1949 die Medien dieses Landes, also Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksender mit Nachrichten und anderem redaktionellen Stoff. Sie tut dies aber, ohne dass dies deren Leser-, Hörer- und Zuschauerpublikum zumeist bewusst ist. Als Akteur im Hintergrund blieb die Agentur lange Zeit auch der publizistikwissenschaftlichen Forschung entzogen, was dazu geführt hat, dass bisher niemand ihre Geschichte aufgearbeitet hat. Nicht, dass es in den Jahrzehnten ihrer Existenz an Studien zu ihr völlig gefehlt hätte. Aber eine Gesamtdarstellung ihrer Entwicklung kam dabei bisher nicht zustande.
Hans-Ulrich Wagner hat sich dieses Defizits jetzt angenommen und dazu ein zweijähriges Forschungsprojekt am Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut in Hamburg durchgeführt. Initiative und Finanzierung dazu gingen von der dpa selbst aus, die eine solche Darstellung ihrer Geschichte zum absehbaren Jubiläum vorlegen wollte. Muss man deshalb von „Auftragsforschung“ sprechen? Ohne eine Kooperation mit ihr hätte diese ja gar nicht entstehen können, weil eine unverzichtbare Voraussetzung dafür die Zugänglichkeit des Archivs der Nachrichtenagentur sein musste. Diesen „uneingeschränkten Zugang“ (S. 342) hat die dpa auch gewährt. Der benutzte Aktenbestand belief sich auf 20 laufende Meter, allerdings war er nicht professionell aufbereitet, sodass oft nur pauschale Verweise auf die jeweilige Quelle möglich waren. Wagner und seine Arbeitsgruppe haben darüber hinaus Quellen aus weiteren staatlichen und nicht-staatlichen sowie privaten Archiven herangezogen. Ferner wurden Auskünfte in einer Reihe von Interviews mit ehemaligen und derzeitigen Beschäftigten der Nachrichtenagentur erfragt. Das alles lässt eine breit fundierte, zunftgemäße Unternehmensgeschichte erwarten. Und was die umfängliche Liste der vorhandenen Literatur anbetrifft: Sollte der Rezensent besser verschweigen, dass er darin am häufigsten verzeichnet ist?
Die Darstellung ist in 13 Kapitel gegliedert, wobei diese selbst durch Zwischenüberschriften in überschaubare Abschnitte (ohne hierarchische Nummerierung) unterteilt sind. Der historiographischen Absicht entspricht ein im Ganzen chronologischer Aufbau, wobei die einzelnen Kapitel aber jeweils einen spezifischen sachlichen Kern besitzen. Am Anfang steht ein Vergleich der dpa mit ihren Kennzahlen 1949 und 2024 sowie ihre Charakterisierung als „media owned news agency“ (S. 12), die sich im Besitz ihrer Kunden befindet und nach dem Vorbild der amerikanischen Associated Press (AP) gebildet wurde. Daraus resultierten Vorteile, vor allem die Unabhängigkeit vom Staat ebenso wie zugleich von einzelnen Genossenschaftlern, deren Anteile limitiert sind. Zugleich ergaben sich aus der Organisationsform und der Dynamik des Nachrichtengeschäfts aber auch wirtschaftliche Schwierigkeiten und Anpassungsprobleme an die sich wandelnde Umwelt. Das könnte (system-)theoretische Betrachtungsweisen nahelegen, die hier aber ganz ausgeblendet bleiben.
Wie in vielen Bereichen verlief der Neuaufbau in der Bundesrepublik nach 1945 im Kontrast zum vorangegangenen „Dritten Reich“. Das gilt auch für die Nachrichtenagenturen. Deshalb schildert Wagner in einem eigenen Kapitel zunächst die nationalsozialistische Herrschaft über die Medien in Deutschland, der auch das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) und die Transocean GmbH (für das außereuropäische Ausland) unterworfen waren. Erst vor diesem Hintergrund ist das dritte Kapitel den Aufbaujahren der dpa gewidmet. Zu ihrer Vorgeschichte gehört, dass in den westlichen Besatzungszonen bereits seit 1945 Nachrichtenagenturen gegründet worden waren. Das ist schon vergleichsweise gut erforscht, womit der Verfasser hier auf diese Arbeiten zurückgreifen kann. Dabei blickt er bevorzugt auf den in der britischen Zone entstandenen German News Service (GNS-BZ/dpd), während die Nachrichtendienste in der amerikanischen (GNS/DENA) und französischen Zone (RHEINA/SÜDENA) nur am Rande vorkommen. Vielleicht gab Hamburg, der Sitz von GNS und später dpa, als Lokalität dafür den Ausschlag. Aus der Fusion der Zonenagenturen ging 1949 nach schwierigen Verhandlungen die Deutsche Presse-Agentur hervor.
Das vierte Kapitel überschreibt der Verfasser mit „Bewährungsjahre“. Es umfasst die Phase bis Ende der 1950er-Jahre. Hier zieht Wagner mit dpa-Geschäftsberichten und Schriftwechsel aus dem Unternehmensarchiv zum ersten Mal größtenteils interne Quellen heran. Als relevant werden der Umbruch im Pressewesen, die Konkurrenzlage auf dem Nachrichtenmarkt sowie Kooperationen geschildert, was eine Reorganisation nötig machte. Den bisherigen Kenntnisstand erweiternd erfährt man beispielsweise über die durchaus vorhandenen Bindungen an die Bundesregierung, die für den eigenen Bezug der dpa-Dienste einen nicht unerheblichen Betrag zu deren Budget beisteuerte.
Immer wieder geht Wagner auch auf das Personal bei der dpa ein und erwähnt dabei, dass es hier Kontinuitäten zum Journalismus im „Dritten Reich“ gab. Eine der maßgeblichen Figuren bei der dpa war Fritz Sänger, bis 1959 Chefredakteur und einer der beiden Geschäftsführer. Er war bis zu ihrem Verbot 1943 Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Berlin gewesen und hatte an den dortigen Pressekonferenzen teilgenommen. Bislang bekannt war, dass Sänger, der nach 1945 SPD-Mitglied wurde, in den Fünfzigerjahren den Zorn von Bundeskanzler Konrad Adenauer auf sich zog. Das entfachte einen jahrelangen Streit, der Sänger am 1. Juni 1959 zum Rückzug zwang. Dies wird hier noch einmal in einem Teilkapitel mit den Quellen unterfüttert und ist Indiz für den Kampf der dpa um die Unabhängigkeit. Nicht unerwähnt bleibt der Konflikt, der sich noch 1989 nach Sängers Tod wegen seiner Vergangenheit an dem nach ihm benannten Journalistenpreis entzündete.
Im folgenden Kapitel wird der Aufbau des Auslandskorrespondentennetzes verfolgt, zumal nachdem bei der dpa der Bezug von Weltnachrichten durch die britische Agentur Reuters wegfiel. Anschließend geht es um die Produkte der Agentur, also die Wort- und Bilderdienste in den 1960er- und 1970er-Jahren. Denn neben dem Basisdienst brachte die dpa 13 Dienste für spezielle Themengebiete und verschiedene Ressorts heraus. Die Agentur wurde nach Wagner dadurch zu einem „Vollsortimenter“ (S. 148).
Das siebte Kapitel ist etwas unsystematisch geraten: Es bietet nach den Worten des Verfassers einen „Streifzug durch Redaktionskonferenzen, Blitz-, Eil- und Falschmeldungen, Stilblüten und regelrechte Pannen“ (S. 150). Unter der Kapitelüberschrift „Agenturjournalismus“ (ebd.) hätte man sich allerdings mehr noch zu den spezifisch redaktionellen und inhaltlichen Aspekten vorstellen können, wozu auch vorhandene Forschung einiges hergegeben hätte. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich die Falschmeldung der dpa über den Tod des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow am 13. April 1964, die zur vorübergehenden Schließung des Korrespondentenbüros in Moskau führte.
Im Laufe der 75 Jahre hat die dpa mehrere Umbrüche erlebt. Sie betreffen die Wettbewerbssituation (durch vorhandene und neue Konkurrenzagenturen), Veränderungen im Presse- und Medienmarkt, technische Innovationen in der Redaktion und auch das politische Umfeld insbesondere der 1968er-Jahre. Davon ist im neunten Kapitel die Rede, bevor anschließend geschildert wird, wie die dpa nach der Wiedervereinigung auch den Markt der ehemaligen DDR-Agentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN) „eroberte“. Mit den restlichen drei Kapiteln bewegt sich der Verfasser dann schon im neuen Jahrtausend. Notwendigerweise musste das Internet die dpa und ihre Rolle im Kommunikationssystem verändern. Das hatte Einfluss auf die Arbeitsweisen wie auch für ihre Produkte. Grundsätzlich konstatiert Wagner, dass die dpa unternehmerischer wurde. Dazu gehörte auch die durchaus umstrittene Übernahme von Public-Relations-Dienstleistungen. Von erheblicher Tragweite war der Umzug der Zentralredaktion nach Berlin und die Neuordnung des dortigen Newsrooms. Das letzte Kapitel ist schließlich eine aktuelle Bestandsaufnahme der dpa in sich wandelnden Medienumgebungen bis hin zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz.
Der hier besprochene Titel ist kein „akademisches“ Buch. Es ist zwar wie ein solches quellenbasiert und mit Fußnoten versehen, präsentiert sich aber in Aufbau und Aufmachung für ein breiteres, an der Mediengeschichte der Bundesrepublik interessiertes Publikum. Quellenbedingt vermitteln viele Zitate notwendigerweise die Eigendarstellung der Agentur. Fraglos war die Geschichte der dpa insgesamt eine Erfolgsgeschichte, zumal angesichts der älteren Tradition der Nachrichtenagenturen in Deutschland. Der fortlaufende Buchtext wechselt ab mit einer Reihe von gesonderten Artikeln zu einigen wichtigen Akteuren, Episoden und prominenten Ereignissen, über die berichtet wurde. Zentrale Zitate werden im Großdruck zum Teil ganzseitig hervorgehoben. Großartig ist die reiche Illustration des Bandes mit Fotos und Abbildungen von Personen, Dokumenten und Räumlichkeiten der Agentur. Das Buch ist in einem lebhaften Layout professionell durchkomponiert. Im Anhang sind lediglich die Gesellschafter 2024 und die Unternehmensleitungen seit 1949 aufgeführt. Nützlich wäre vielleicht auch ein tabellarischer Anhang mit den statistischen Grunddaten der Agentur gewesen. Unverkennbar ist, dass es der dpa darum ging, eine Jubiläumsschrift auch für eine größere Öffentlichkeit vorzulegen. Das ist ihr und dem Verfasser jedenfalls gelungen.