Titel
Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma


Autor(en)
Zimmermann, Moshe
Erschienen
Berlin 2010: Aufbau Verlag
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tamar Amar-Dahl, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Frieden in Nahost erscheint heute mehr denn je als eine Utopie. Die Schlüsselfrage bleibt, weshalb die Region nicht zur Ruhe kommt. Die historische und politikwissenschaftliche Forschung zum Thema sucht noch immer nach Antworten. Zwei zentrale Ansätze lassen sich dabei erkennen: Der eine sieht das Problem im lokalen Palästina-Konflikt, für dessen Lösung auch Israel mit in die Verantwortung zu nehmen sei, da es einen palästinensischen Staat in den palästinensischen Gebieten bekämpfe; der andere deutet den Konflikt als regionale Auseinandersetzung zwischen Israel und den arabischen Staaten, die einen jüdischen Staat in der Region prinzipiell ablehnen, weshalb es aus der Sicht Israels sinnlos wäre, Kompromisse in der lokalen, quasi „innenpolitischen“ Palästinenser-Frage zu machen.

Moshe Zimmermann richtet seinen Blick in einem kleinen, essayistischen Büchlein auf Israel, genauer gesagt auf einige Gruppierungen innerhalb der israelischen Gesellschaft, und gelangt zu der düsteren These, dass Israel „Angst vor dem Frieden“ habe. Der Leiter des Richard-Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem stellt dabei insbesondere die Frage, wie sich diese mentale Haltung der Angst vor dem Frieden in den letzten 15 Jahren, also seit der Ermordung Jitzchak Rabins 1995, „noch tiefer in der israelischen Gesellschaft verankern, immer stärker verbreiten und durchsetzen konnte, und welche Gruppierungen und Interessen dahinterstehen“ (S. 14).

Aus einer linkszionistischen Perspektive schildert der Autor die diversen Kräfte in der israelischen Gesellschaft, die den Frieden nicht zu ihren strategischen Zielsetzungen zählen. „Die Angst vor dem Frieden ist zum gemeinsamen Nenner der politischen Positionen in Israel geworden“ (S. 55). Wichtige Sozialisationsagenturen, wie das Bildungssystem und die Medien, leisteten auch ihren Beitrag zur Verbreitung und Verfestigung von zwei Botschaften: einerseits der „Friedensideologie“ (Moshe Zuckermann), die besagt, dass der Frieden ohnehin unerreichbar sei, und andererseits des „Sicherheitsmythos“ (Lev Grinberg), in dessen Logik die Fortsetzung von Konflikt und Kampf unvermeidlich ist.

Zimmermann identifiziert auf der politischen Ebene die folgenden Gegner des Friedens: „Die Nationalisten“ (der Rechtszionismus) und die „zionistische Orthodoxie“ (die Nationalreligiösen bzw. der religiöse Zionismus) agieren gegen die „Mehrheit der israelischen Gesellschaft“, welche vom „traditionellen Zionismus“ (Arbeiterzionismus bzw. Linkszionismus) durchdrungen sei. Dieser Gegensatz – zionistische Rechte und Religiöse versus traditionellen Zionismus – liegt seiner Abhandlung zugrunde.

Zimmermann sieht in der Abwahl der Arbeitspartei 1977, als der Arbeiterzionismus seine Dominanz nach drei Jahrzehnten verlor, eine „ideologische Revolution“ (S. 57) bzw. eine „Wende von einer sozialdemokratischen zur nationalistischen Politik“ (S. 59). Er stellt eine verblüffende Verknüpfung zwischen der „1977er-Wende“ und der Entstehung der neuen Zionismus-kritischen Historiographie der 1980er-Jahre im Prozess der Verstärkung des rechts-religiösen Lagers her. Denn „[e]in neues Geschichtsbild musste entworfen werden […] So konstruierte man die ‚Postzionisten’ als ‚neue’ Historiker und Gegner des sozialdemokratischen Establishments wie auch des nun siegreichen bürgerlich-nationalistischen Lagers. Über diesen gemeinsamen Feind hinweg streckte man sich gewissermaßen dialektisch gemeinsam aus zu einer alternativen religiösen Wurzel des Zionismus“ (S. 59).

Doch wenn die kritische historiographische Strömung durch ihre Kooperation mit dem säkularen Rechtszionismus das religiöse Lager verstärken soll, so muss man sich fragen, wie erklärt sich dann die langjährige Koalition der Arbeitspartei mit der national-religiösen Mafdal-Partei in den Jahren 1949-1977. Die Schlüssel-Passage findet sich anschließend:

„Dass sich die neuen Machthaber in Israel [die Rechtszionisten ab 1977] mit dieser Taktik [der Annährung an die Religiösen] anfreunden könnten, darf nicht verwundern – die Argumente der Nationalisten hatten immer einen starken religiösen Unterton. Dass auch die Wächter der traditionellen Denkrichtung [des Linkszionismus] bei dem Spiel mitmachten, war schon paradox; denn auf die Art und Weise haben sie sich selbst und ihre Weltanschauung im Endeffekt aufgegeben und den Weg freigemacht für einen von ihnen bisher abgelehnten ethnozentrischen und religiösen Zionismus“ (S. 59).

Zimmermann thematisiert allerdings nicht, worum es bei diesem „Spiel“ geht, bei dem der Arbeiterzionismus angeblich mitgemacht habe. Hier wäre es vonnöten, auf dessen Ideologie einzugehen, um die Diagnose erklären zu können, dass er seine Weltanschauung aufgegeben habe. Zimmermanns Darstellung liegt dabei durchgehend das linkszionistische Narrativ zugrunde, dem zufolge der Arbeiterzionismus bis zur Wende von 1977 eine gemäßigte, weltoffene Politik verfolgt habe, der Rechtszionismus in Zusammenarbeit mit den Nationalreligiösen hingegen einen anderen, nämlich „…einen jüdischen Sonderweg, der auch im Hinblick auf den Nationalismus ein vermeintlich biblischer Weg sein sollte“ (S. 59-60).

Zimmermann bestätigt also die Zäsur von 1977 und spricht dem religiösen Rechtszionismus die zionistische Ideologie ab, beschreibt ihn sogar als Postzionismus: „Da das Ergebnis des neuen Denkprozesses eine zionistische Ideologie war, die sich in erster Linie um den jüdischen Charakter des Judenstaates sorgt, handelt es sich dabei im Endeffekt um eine totale Dekonstruktion des traditionellen Zionismus. Mit anderen Worten: Die Staatsideologie, die sich noch immer Zionismus nennt, ist letztlich der wahre, wenn man so will, wirkliche Postzionismus, ganz im Gegensatz zu der Vogelscheuche, die man gerne als Postzionismus bezeichnet und als solchen so leidenschaftlich bekämpft hat“ (S. 60; Hervorhebung durch Zimmermann).

Bei dieser dichotomischen Gegenüberstellung der nationalistischen, bibel-orientierten und daher kompromissunfähigen „Postzionisten“ einerseits und den weltoffenen, säkularen und angeblich kompromissbereiten „traditionellen Zionisten“ andererseits gerät Zimmermanns Argumentation allerdings ins Stocken; denn hier zählt er die israelische Armee zu denjenigen Interessengruppen, die die Angst vor dem Frieden schüren: „Das Militär ist ständig in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, hat eine konkrete Vorstellung vom Feind, glaubt also wenig an einen im europäischen Verständnis ‚normalen’ Frieden und gehört so zu den größten Angstmachern im Lande“ (S. 99). Diese Aussage aus einer linkszionistischen Feder ist keine Selbstverständlichkeit. Das Militär genießt große Unterstützung bei der israelischen Mehrheit, die hier als Geisel der Angstmacher und des fehlenden Friedens dargestellt wird. Doch nach wie vor bleibt die Frage nach dem politischen Hintergrund ungeklärt, weshalb das Militär diese konkrete Vorstellung vom Feind hat, und warum es wenig an eine europäische Normalität glaubt.

Das Grundproblem von Zimmermanns Argumentation ist das ihr zugrundeliegende, linkszionistische Entpolitisierungsnarrativ. Dem Leser bleibt dabei verborgen, in welcher sozialpolitischen Konstellation die Angst vor dem Frieden geschürt wird. Denn ohne die Miteinbeziehung der Aufgabe des Militärs bei der Implementierung des zionistischen Projektes in ganz Eretz Israel seit 1948 und vor allem ohne die Betrachtung der Rolle der Politik – auch der des Linkszionismus vor und nach 1977 – wird nicht verständlich, weshalb sich 2010 eine ganze Gesellschaft einen Frieden nicht vorstellen kann. Zimmermann gibt selbst zu:

„Nicht nur die Siedler selbst, nicht nur die sich immer stärker ausbreitende rechte Szene, sondern die jüdisch-israelische Bevölkerung insgesamt hielt das Recht auf ‚Ganz-Israel’ und somit das Recht, überall im Land Siedlungen zu bauen, für selbstverständlich. Der Streit geht seither letztlich nur darum, ob man um des Friedens willen, das heißt zugunsten eines Waffenstillstands und regionaler Ruhe, also aus taktischen Gründen, auf Teile des Gebietes nicht doch besser verzichten sollte“ (S. 88).

Wenn der Frieden eine bloße Taktik ist, so verwundert es nicht, dass er angesichts der in Israel vorherrschenden zionistischen Ideologie nicht zu den strategischen Zielen zählen kann. Der historisch umgesetzte Zionismus steht nämlich zwei Postulaten des traditionellen Zionismus entgegen – der Normalisierung der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden und der Sicherheit für Juden. Mit dieser Konsequenz muss sich der Linkszionismus im heutigen Israel auseinandersetzen, wenn er eine politische Alternative für die fatalistische Weltanschauung der Rechtszionisten und Nationalreligiösen anbieten will. Dafür müsste er seine eigene Ideologie und Politik hinterfragen.

„Die Angst vor dem Frieden“ kann das „israelische Dilemma“ nicht erläutern, weil es selbst das Politische im Konflikt dezidiert meidet. Die Abhandlung ist Ausdruck dieser Angst vor dem Politischen. Sie ist ein wichtiges Zeugnis für die im Linkszionismus grassierende Verzweiflung und Ratlosigkeit angesichts der Bedeutung von Israels Friedensunfähigkeit für den guten alten traditionellen Zionismus.

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