M. Rizzi (Hrsg.): Hadrian and the Christians

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Titel
Hadrian and the Christians.


Herausgeber
Rizzi, Marco
Reihe
Millennium-Studien 30
Erschienen
Berlin 2010: de Gruyter
Anzahl Seiten
186 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Bemerkenswert an der neueren Forschung zur Regierungszeit Hadrians ist, wie konsequent Neufunde und Studien das Bild kaiserlichen ‚Mikromanagements‘ und schwungvollen Interventionismus in Detailfragen geschärft haben. Auf einem Feld nach dem anderen ist im Gegenzug die kurz nach 1900 gefestigte Sicht auf Hadrian als Urheber planmäßiger, systematischer Reformen widerlegt worden.1 Diesen Entwicklungen zum Trotz wollen die sechs italienischen Autorinnen und Autoren mit ihren acht – überwiegend ins Englische übertragenen – Aufsätzen den Kaiser viel ambitionierter, als der Titel es verrät, zum großen Religionsreformer umwerten. So stimulierend die Versuche oft sind, so schwer trägt das Buch an der Last des unerfüllbaren Beweiszieles, in dessen Dienst die widersprüchlichsten Befunde gezwungen werden.

Pate für die maximalistische Sicht auf Einfluss und Wirkungsabsichten des Princeps steht Mario Attilio Levi (S. 2), ein langlebiger Verfechter des von Wilhelm Weber auf die Spitze getriebenen machtstaatlichen Hadrianbildes. Aufgegeben wird allerdings Levis nationalistisches Pochen auf die „romanità“ des Aeliers; im Gegenteil: Hadrian habe, so Rizzi in der Einleitung (S. 1–5), eine geistig weltoffene, aber beispiellos straffe Herrschaft errichten wollen, die vorbei am „traditional administrative apparatus“ ihre „strong autocratic intention“ verfolgt habe (S. 3f.). Dies äußert sich gemäß den Beiträgen des Herausgebers („Hadrian and the Christians“, S. 7–20; „Conclusion: Multiple identities in Second century Christianity“, S. 141–150) in „a profound reorganisation of the Roman theological-political apparatus“ (S. 11). Die so postulierte Religionspolitik aus einem Guss wird gleichzeitig zur Haupterklärung für den Ausbruch des Bar-Kochba-Aufstandes, aber auch für Umbrüche im Christentum, dessen Vertreter eine Chance zur Integration gesehen hätten. Rizzi versucht sogar, die Entstehung des monarchischen Gemeindeepiskopats an den unterstellten Religionsdirigismus Hadrians rückzubinden (S. 19f. u. 148–150). Zumindest das Experiment des jungen Glaubens mit der philosophischen Selbstausrichtung – als Ursprung vieler gnostischer Strömungen wie als Eintrittspunkt hellenistischer Einflüsse in die Orthodoxie – liegt offenkundig auch ohne Hadrian ganz im Zug der Zeit.

Methodisch steht die Hypothese wegen ihrer Abhängigkeit von „Hadrian’s reform project“ (S. 10) auf tönernen Füßen. Als Beleg für die radikale Verwaltungsreform genügt Rizzi der isolierte Satz der Epitome de Caesaribus (14,11): officia sane publica et palatina nec non militiae in eam formam statuit, quae paucis per Constantinum immutatis hodie perseverat. Die Arbeiten Werner Ecks, die wiederholt den Gegenbeweis angetreten haben, fehlen ebenso wie eine Klärung, um welche „ruling elites“ es sich handeln soll (S. 8). Leider überträgt sich diese Vagheit auf die Kernfrage: Ausgerechnet strukturelle Belege für die unterstellte Reorganisation fehlen fast völlig, sieht man vom entsprechend verstandenen Panhellenion ab. Geboten wird lediglich das Postulat eines „consistent theological-political design […] linking everything through the figure and the action of the emperor himself“, einer „active policy of controlled acceptance and integration of the most differentiated cults and doctrines“ (S. 16). Das verschärft aber nur die Frage, wie und auf welche Personen gestützt man sich die tagtägliche Herrschaftspraxis, die zentrale Lenkung denn vorstellen soll. Ähnlich steht es mit ihrem restlosen Verschwinden ab 138 n.Chr.

Symptomatisch für diese Selbstfesselung durch die Generallinie des Bandes ist die Betrachtung der Villa in Tibur, angekündigt als „complex machine of symbolically reshaping the emperor’s world and the emperor’s role in the world“ (S. 8), durch Elena Calandra („Villa Adriana scenario del potere“, S. 21–50). Das auf der Hand liegende Vergleichsobjekt, Domitians Albanum (vgl. S. 22, Anm. 4), tritt völlig hinter Mutmaßungen über die so gut wie unbekannten Ptolemäerpaläste in Alexandria zurück (S. 25f.); die Rolle anderer Villen wie Antium, vom Palatin zu schweigen, wird gar nicht erwähnt. Die imposante Neuorientierung im Ausbau der Anlage, die Calandra um 124/25 ansetzt (S. 41), soll sogar die Feindatierung des neuen Herrschafts- und Religionsverständnisses erlauben – aber warum müsste es mit dem veränderten Architekturgeschmack aufs Jahr genau zusammenfallen?

Willkür und Wunschdenken gipfeln beim Zugriff auf die zentrale lateinische Quelle. Die Neigung der Historia Augusta zu romanhaften Implantaten und Irreführungen ist mittlerweile gut bekannt. Dennoch beschließt der Autorenkreis, ausgerechnet die besonders verdächtigen Stellen mit Bezügen zum Christentum zu rehabilitieren, so die Hauskapelle des Severus Alexander und dessen Kirchbauinitiative (HA Alex. 29,2; 43,6: S. 80 u. 124). Sämtliche Erkenntnisse zur Erzähl- und Argumentationstechnik der Historia Augusta werden konsequent ausgeblendet.2 Besonders brachial ist der Versuch von Alessandro Galimberti („Hadrian, Eleusis, and the beginning of Christian apologetics“, S. 71–83; „The pseudo-Hadrianic Epistle in the Historia Augusta and Hadrian’s religious policy“, S. 111–120), den heillos anachronistischen Hadriansbrief (HA quatt. tyr. 8) zur Umdichtung eines authentischen Schreibens zu erklären, das der sterbende Kaiser publik gemacht habe, während das Blut des Adressaten noch an seinen Händen geklebt habe. Die Rettungsversuche stützen sich ausgerechnet auf die Bezeichnung Verus für Aelius Caesar. Laut Galimberti soll der einzige mit dem Namen Verus tatsächlich Geborene, Marc Aurel, seinen authentischen Spitznamen Verissimus erst den zwei Ceionii verdanken, für die Verus aber vor 161 sonst nicht belegt ist.

Zu viele Beiträge leiden unter einem ähnlich naiven Quellenzugriff. Livia Capponi („Serapis, Boukoloi and Christians from Hadrian to Marcus Aurelius“, S. 121–140) erklärt den Tadel des Octavius bei Minucius Felix (Oct. 2,4) für seinen – paganen! – Freund Caecilius, weil er einem Serapistempel in Ostia durch Kusshand gehuldigt habe, zur Kritik an serapisfreundlichen „lower-class Christians“ Ägyptens. Damit überdehnt sie ihre durchaus bedenkenswerten Indizien für Grauzonen in der Verehrung von Christus und Serapis (S. 127–129 u. 137); analog verliert ihr Vorschlag, zwischen Serapiskult und Bukolen könnten Verflechtungen bestehen, viel Gewicht durch die absurde Kennzeichnung der Usurpation des Avidius Cassius als „anti-imperial“ (S. 133). Die Ausführungen von Marco Galli („La paideia di Adriano: alcune osservazioni sulla valenza politica del culto eroico“, S. 51–69) zur bildlichen Annäherung Hadrians an Hercules und einer die Oikoumene des Reiches betonenden Bildersprache leuchten dagegen ein. Wo die fixe Idee der multikulturell-autoritären Generalreform nicht dominiert, werden Debatten wie die um das Bild Hadrians im Philosophengewand weitergeführt und die Präsenz von Antinoos-Porträts auf Hadrianstatuen in erhellender Weise demonstriert (S. 51–53 u. 59–65). Die Schwierigkeiten beginnen dort, wo Bildaussagen ohne weiteres als Absichtserklärung in Fragen praktischer Politik gelesen werden.

Am besten für sich allein bestehen kann die Studie von Giovanni Battista Bazzana („The Bar Kokhba Revolt and Hadrian’s Religious Policy“, S. 85–109), der Fragen des Quellenwerts und der Zeitstellung rabbinischer Texte mustergültig angeht und erfreulich klar herausarbeitet, wie wenig sich die römische Politik jemals, selbst in den Aufstandsjahren, einer monolithischen Opposition ‚der‘ Juden schlechthin gegenübersah. Überaus wichtig für die Vorgeschichte des Krieges ist die Neuinterpretation der Koloniegründung in Jerusalem als Angebot eines vorteilhaften Rechtsstatus (S. 96, 98 u. 109). Um Bazzanas Gedanken weiterzuspinnen, ließe sich der Kolonietitel Capitolina als gutgemeinte, aber gerade wegen der Jupiter-Assoziation verhängnisvolle interpretatio Romana für den höchsten Gott in der hochgebauten Stadt erklären.

Das Englisch der Beiträge hat einige Ecken und Kanten, so „witness“ für „testimony“, „fictive“ für „fictitious“; aus Marc Aurel wird „Mark“, aus Hadrians Schwester Paulina „Pauline“ (S. 114). Neben der starken Neigung der Autoren, sich wechselseitig oder gleich selbst zu zitieren, fällt eine gewisse inhaltliche Lässigkeit auf. So muss Hadrian hier alle von Traian eroberten Gebiete außer Arabia räumen (inklusive Dakiens also), statt Lusius Quietus wird Q. Marcius Turbo aus Iudaea abgezogen (S. 68 u. 73). Der Aufruhr in Alexandria ob Apidem (HA Hadr. 12,1) gilt angeblich einer Kultstatue, obwohl der Text keinerlei Hinweis gibt, es könnte anderes als der lebende Apisstier gemeint sein (S. 115; von Capponi S. 121 auf die jüdische Revolte 116/17 bezogen!). Zum Reskript Hadrians an Minicius Fundanus (S. 77, hier „Minucius“) fehlt jeder Verweis, dass es sich um eine frühchristliche Fiktion handeln könnte. Solche Unschärfen sind unvermeidlich; die verspätete Suche nach der religiösen ‚Megareform‘ ist aber nur um den Preis des Paradoxen – eines autokratischen Pluralismus – und der weitgehenden Abkopplung vom Sachstand zu haben. Nec nostri saeculi est.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Übersicht in Jörg Fündling, Sternstunden der Jurisprudenz? Personen in Hadrians consilium und die Zwänge der Chronologie, in: Giorgio Bonamente / Hartwin Brandt (Hrsg.), Historiae Augustae Colloquium Bambergense 2005, Bari 2007, S. 197–229; dort 197 mit Anm.
2 Zur Technik zuletzt Dennis Pausch, libellus non tam diserte quam fideliter scriptus? Unreliable Narration in the Historia Augusta, in: Ancient Narrative 8 (2009), S. 115–135; vgl. Jörg Fündling, Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta, Bonn 2006, S. 78–87.

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