Titel
From Empire to Republic. Post-World War I Austria


Herausgeber
Bischof, Günter; Plasser, Fritz; Berger, Peter
Reihe
Contemporary Austrian Studies, Vol. 19
Erschienen
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 30,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Veronika Helfert, Institut für Geschichte, Universität Wien

„Postwar“- und Nachkriegsgeschichtsschreibung, vor allem jene des zweiten Weltkrieges, scheint in den letzten Jahren Konjunktur zu haben. Der 2010 erschienene 19. Band der Reihe „Contemporary Austrian Studies“ legt nun seinen Fokus ebenfalls auf „Post-World War I Austria“ und bezieht sich dabei durchaus auch, wie Günter Bischof in seinem kurzen Vorwort betont, auf Tony Judts Studie über Europa nach 1945, „Postwar“.1 Es gelte, so Bischof, die drängenden politischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen, die der Erste Weltkrieg zurückgelassen habe, an der „case study Austria“ (o.S.) aufzuzeigen. Leider bleibt Bischof eine Definition von „post-war“ (außer einem Hinweis auf die 1920er-Jahre) schuldig. Durch die Unschärfe des Begriffes “post-war” überlässt es der Band jedoch den einzelnen Beiträgen, immer wieder zu definieren, um welche Vermächtnisse es sich handelt und wie diese sich zeitlich und räumlich verorten lassen: Die Artikel ragen so vereinzelt nicht nur bis in die späten 1930er-Jahre hinein, sie erstrecken sich auch räumlich bis in die USA und machen so auf konzeptioneller Ebene die Deutung des Raumes „Österreich” deutlich.

Anstatt einer ausführlichen Einführung in den Band von Seiten der Herausgeber erfüllen offenbar zwei sehr unterschiedliche Beiträge von John W. Boyer und Samuel R. Williamson, Jr., diese Funktion. Die beiden Beiträge sind unter der Überschrift „Introduction“ versammelt und führen einerseits mit dem Blick auf die Forschungslandschaft (Boyer), andererseits mit einer biographischen Skizze zeitlich (Williamson) in den Sammelband ein. Im programmatischen Text „Boundaries and Transitions in Modern Austrian History“ fasst Boyer die (vor allem österreichische) Geschichtsschreibung zur Ersten Republik zusammen und betont die Wichtigkeit, sich in Hinblick auf diesen Zeitraum nicht nur auf das Bürgerkriegsjahr 1934 zu konzentrieren. Denn eine kritische Geschichtsschreibung zur Ersten und auch zur Zweiten Republik Österreich müsse sich immer auch auf die Zeiten vor 1914 und nach 1918 beziehen, wurden doch schon lange vor dem Ersten Weltkrieg die wichtigen politischen Strukturen geprägt. Ebenso zentral sind Krieg und Revolution von 1918 für die Entstehung und Prägung der Ersten Republik und: „Finally, on the other end of the 1920s, there lies the murky challenge of how to connect the ruins of the First Republic itself with the complex events of April 1945.“ (S. 20) Einen anderen Rahmen für den Sammelband bildet der Artikel von Williamson. In der Studie „Leopold Count Berchtold: The Man Who Could Have Prevented the Great War“ geht der Autor der Schlüsselrolle des Außenministers Berchtold am Abend des Ersten Weltkriegs nach – dieser wird in der Forschung bisher durchaus divergierend beurteilt. Er erhofft durch den konsequenten Fokus auf Berchtold und seine Rolle in der Julikrise 1914 neue notwendige Diskussionen und daran anschließende Forschungen zu diesem „key decison-maker on the road to war“ (S. 25) anzustoßen – eine Präludie zu den folgenden Artikeln, die im „Coda“ betitelten Schlussteil, der das Schicksal einer ungarischen jüdischen Familie im 20. Jahrhundert erzählt, eine Art Spiegelung erfährt.

Die Perspektive, die die Herausgeber selber programmatisch auf das Nachkriegsösterreich werfen, ist wesentlich von der Idee des Erbes geprägt, das der Große Krieg hinterlassen hat. Konsequenterweise sind die Beiträge in drei Sektionen gefasst, die verschiedene „Legacies“, also Vermächtnisse, behandeln.

In der ersten Sektion „End of Empire/Early Republic: Political (Domestic and Foreign) Legacies“ wird aus mehreren Perspektiven der Frage des „Staates“ nachgegangen. Eingeleitet wird sie durch einen umfassenden Überblick über die Ereignisse der sogenannten Österreichischen Revolution von Wolfgang Maderthaner, der den Blick auch über die „neuen Grenzen“, vor allem nach Ungarn wirft. Zwei weitere Beiträge – Siegfried Beer über die wenig bekannte Halstead Mission im Jahr 1919 und John Deak zu Ignaz Seipel und den Völkerbundanleihen – untersuchen das komplexe Zusammenspiel von innenpolitischen Entscheidungen über die Gestaltung der neuen Republik und außenpolitischen Faktoren bzw. internationalen Verhandlungen vor allem im Kontext der Friedensverträge. Einen anderen Blick auf das Problem der Souveränität des neuen Staates erlaubt der Beitrag von Nicole M. Phelps „,A Status Which Does Not Exist Anymore‘: Austrian and Hungarian Enemy Aliens in the United States, 1917–1921”. Anhand der Schicksale von nach (und teilweise vor) dem Kriegsbeitritt der USA 1917 als feindliche AusländerInnen („enemy aliens“) inhaftierten Männer und Frauen zeichnet sie die Auswirkung von Staatsangehörigkeit in dieser Transformationszeit nach. Eine ganz andere Frage wirft Patrick J. Houlihan auf, „Was there an Austrian Stab-in-the-Back Myth?“, und beantwortet sie in seinem Beitrag mit einem „qualified ,Yes’“ (S.81). Houlihan plädiert dabei für eine Geschichtsschreibung der Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges, die auch die Frustrationen, Emotionen und Mentalitäten in den Blick nimmt, die vom Krieg in die neuen soziopolitischen Kontexte reichen.

Unter dem Titel „Costs of War: Social/Mental/Cultural Legacies“ versucht die zweite Sektion ein breites und disparates thematisches Spektrum abzustecken. Neben einer detaillierten Studie von Andreas Weigl zu Abtreibung und Körperpolitiken, die auch in die Vorkriegszeit reicht, zeigen die beiden Beiträge zu Kriegsopfern (Witwen, Waisen und Invaliden) von Verena Pawlowsky/Harald Wendelin und Ke-chin Hsia die Möglichkeiten und Grenzen, die sich im neu formierenden Staat für soziale Bewegungen eröffneten. Zwei Beiträge von Julia Thorne und Johannes Koll beschäftigen sich mit der Frage von Volkstumspolitik und „Pan-Germanism“ in der Ersten Republik. Thorne kommt in ihrer Studie zu dem Schluss: „Far from being a fringe radical movement, pan-Germanism was the unifying creed of all Austrians before 1938.“ (S. 268) 2 Koll hingegen untersucht die Rolle, die die sudetendeutsche Bevölkerung der Tschechoslowakei in der Ersten Republik Österreich und im austrofaschistischen/autoritären „Ständestaat“ spielte. Dabei beleuchtet er verfassungsrechtliche und soziale Aspekte genauso wie Formen der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Frage des Status der Sudetendeutschen. Schwingt hinter allen Beiträgen dieser Sektion die Frage nach den Kontinuitäten mit, so trifft dies umso mehr auf Sara O. M. Yanovskys Aufsatz „Jewish Education in Interwar Vienna“ zu. Sie arbeitet heraus, dass sich zwischen Monarchie und Republik das Verhältnis der Israelitischen Kultusgemeinde zu den staatlichen Autoritäten in Belangen religiöser Erziehung jüdischer Kinder kaum gewandelt hat und durchaus von Kooperation und Kompromissen geprägt war. Hier ist ein Bruch mit der Etablierung des austrofaschistischen/autoritären „Ständestaates“ festzustellen, der eine de facto Segregation jüdischer Kinder und PädagogInnen festschrieb. Die Beiträge von Gunda Barth-Scalmani, eine genaue Studie zu Geschichtspolitiken und Erinnerungsorten entlang der alpinen Frontverläufe im heutigen Drei-Länder-Eck Slowenien/Österreich/Italien, und Robert Pyrah, der für einen differenzierten Blick auf die Kulturproduktion im Österreich der Zwischenkriegszeit plädiert, runden diese Sektion ab.

Abgeschlossen wird der Sammelband mit zwei Aufsätzen zu „Habsburg Successor States: Economic Legacies“, in denen Andreas Resch und Peter Berger in ihren Analysen auch andere Nachfolgestaaten der Monarchie in den Blick nehmen. Reschs Beitrag befasst sich mit den Entwicklungen des Bankensektors und der Industrie in vergleichender Perspektive in Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn unter dem Vorzeichen der veränderten geopolitischen Lage. Einen andern Ansatz wählt Berger, der in seinem Beitrag vor allem die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen ökonomischer Entwicklungen dieser drei Nachfolgestaaten beleuchtet. Dabei stellt er fest, dass der Zusammenhang zwischen institutionellen und ökonomischen Entwicklungen in der Forschung zugunsten von Beachtung von Ressourcen, Arbeitskraft oder Industrie bislang vernachlässigt worden war. Zentrale These seiner Studie ist, dass gerade der Grad demokratischer und aufgeklärter Inhalte politischer und sozialer Institutionen wirtschaftliche Entwicklungen der 1920er-Jahre in Zentraleuropa beeinflusste.

Am Ende der Beiträge steht ein weiterer Text von Berger – „The Lost and Saved: A Memoir of the Persecution of Jews in Vienna and Budapest“ –, der der Aufforderung Boyers genüge tut und die Geschichte der Ersten Republik mit den Ereignissen nach 1938 (bzw. auch nach 1945) und der Shoah verknüpft und damit den Sammelband abschließt.

Bischof benennt im Vorwort die Zielsetzung des Bandes, neue Perspektiven auf die Transformationszeit von Monarchie zu Republik sowie auf den komplexen „nation building“-Prozess nach dem Großen Krieg zu erschließen. Ein Ziel, das dank der vielfältigen Ansätze in den Beiträgen auch gelungen ist, obwohl hier kritisch angemerkt werden soll, dass zentral scheinende Aspekte wie jene des Geschlechterverhältnisses (den nur wenige AutorInnen in ihren Beiträgen berücksichtigen) oder weitergehende sozialhistorische Fragestellungen fehlen. Die schon eingangs angemerkte Heterogenität erscheint allerdings auch als Stärke des Sammelbandes, der unter seinen AutorInnen nicht nur renommierte HistorikerInnen, sondern auch junge WissenschaftlerInnen zählt. Er stellt jedenfalls eine relevante Neuerscheinung für Forschungen im Bereich der Österreichischen Geschichte und der Zwischenkriegszeit dar.

Anmerkungen:
1 Tony Judt, Postwar. A history of Europe after 1945, New York 2005.
2 Hinzuweisen ist im Zusammenhang mit dem Beitrag von Julia Thorne auf die im Deutschen und Englischen unterschiedliche Verwendung des Begriffes „Pan-German“.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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