C. Torp: Konsum und Politik in der Weimarer Republik

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Titel
Konsum und Politik in der Weimarer Republik.


Autor(en)
Torp, Claudius
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 196
Erschienen
Göttingen 2011: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 57,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Knortz, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Ökonomie, Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Die im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ entstandene, an der Universität Bielefeld angenommene Dissertation „Konsum und Politik in der Weimarer Republik“ von Claudius Torp verfolgt das Ziel, das „Schicksal“ der Weimarer Republik aus konsumhistorischer Perspektive zu beleuchten. Ob sich die kurze, krisengeschüttelte Weimarer Zeit als Objekt einer Konsumgeschichte eignet, aus der sich tiefergehende Schlüsse ergeben, ließe sich durchaus kritisch hinterfragen. Diesem Problem begegnet Torp insofern, als er von einem wohlstandsfixierten Konsumverständnis Abstand nimmt. Fundament dieser arbeitsleitenden Hypothese ist der Konsument, der in der angelsächsischen Konsumgeschichte politisch immer dann relevant wurde, wenn der Wohlstand weniger prosperierte. „Weniger kommerzielle Strategien als vielmehr politische Konfliktfelder waren der fruchtbare Boden für eine wachsende Bezugnahme auf die Interessen ‚der Konsumenten‘.“ (S. 13) Diese Subjekt- und Objektwerdung des Konsumenten im politischen Prozess Weimars ließ, so Torps Hauptthese, eine „anspruchsvolle soziale und kulturelle Staatsbürgerschaft“ (S. 15) entstehen, die schließlich in einer paternalistisch-demokratischen Konsumpolitik ihren Niederschlag fand. Angesichts des so legitimierten Schutzanspruches des Staates in Verbindung mit einer sich dynamisierenden Konsumgesellschaft, an der allerdings breite Schichten infolge wirtschaftlicher Exklusion nicht teilhaben konnten, musste schließlich mit dem Scheitern verschiedener verbraucherpolitischer Ansprüche auch ein Legitimitätsverlust demokratischer Prinzipien und Verfahren einhergehen.

Um zu diesem, mit dem allgemeinen Forschungsstand kompatiblen Ergebnis zu gelangen, wird in Kapitel 1 auf Basis einer schwierigen Datenlage zunächst eine Vorstellung von der Realeinkommensentwicklung der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushalte sowie deren Verwendung gegeben, wobei die Analyse der Konsummuster im Wesentlichen auf 2000 vom Statistischen Reichsamt 1927/28 veranlassten Haushaltsrechnungsbüchern basiert. Anhand des Ernährungsniveaus, der Wohnverhältnisse, der Freizeitbeschäftigungen (Tanz, Printmedien, Kino) sowie dem wichtigsten konsumpolitischen Kommunikationsmittel, der Werbung, werden schließlich Mangelerfahrung und Wohlstandserwartung abgearbeitet. Hierzu ist anzumerken, dass Torp eingangs das durch die Forschung entstandene „Bild einer merkwürdig ungleichgewichtigen, zerrissenen Gesellschaft“ (S. 24) kritisiert und meint, eine konsumhistorische Betrachtung wiedersetzte sich per se einer sektoralen und damit die Gesellschaft fragmentierenden Betrachtung. Zugleich aber rekurriert er selbst ausschließlich auf das Konsumverhalten (groß)städtischer Verbrauchergruppen, was trotz seines Bezuges auf das soziologische Konzept der Translokalität problematisch bleibt. Das mag möglicherweise der Quellenlage geschuldet sein, wirft aber Fragen prinzipieller Art auch im Hinblick auf Torps Ergebnisse auf. Was die Quellenlage insgesamt betrifft, werden die Leser überhaupt etwas ratlos bleiben, was der Hinweis auf den „nicht klar definierten Quellenkorpus“ (S. 25) weiter verstärkt. Nur wenige Bemerkungen zu den vorhandenen bzw. genutzten archivischen Quellen hätten vor dem sich leicht aufdrängenden Vorwurf einer Überbewertung konsumpolitischer Aspekte im Rahmen der Weimarer Politik bewahren können. Wer sich nämlich vorwiegend auf eine – zugegebenermaßen breite – Auswahl an Zeitungen und periodischen Publikationen wie die „Deutsche Handelswarte“ oder die „Konsumgenossenschaftliche Rundschau“ stützt, wird notgedrungen zum Bild eines „zentralen Politikbereichs der Weimarer Republik“ (S. 319) kommen.

Kapitel 2 beschäftigt sich sodann mit den Konsumvereinen und deren Gegenentwurf zur individualistisch-dynamischen Konsumgesellschaft: der an einer planbaren, weil statische Bedürfnisse befriedigenden Bedarfsdeckungswirtschaft bzw. einem an der Verwirklichung des „gerechten Preises“ verpflichteten Konsumkonzept. Der Verweis auf entsprechende Konzepte zur Ausgestaltung der Produktionswirtschaft und betriebswirtschaftlicher Rationalisierungstendenzen unterstreichen die Einbettung in zeitgenössische Denkweisen und zum Scheitern verurteilter Visionen. Gescheitert nicht etwa, weil eine eigenständige Repräsentation im Parlament oder auch im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat misslang, sondern weil sich die Bedürfnisse dynamisierten und der homo oeconomicus die Orte seiner Bedarfsdeckung diversifizierte.

Die Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich schließlich mit den Rechten und Pflichten der Verbraucher, dem sogennanten „demokratischen Paternalismus“. Dieser zeichnete sich angesichts der Krise der Konsumgesellschaft, in Anbetracht von Existenzbedarf und Verschwendung, durch eine „Moralisierung und Politisierung des privaten Konsums“ (S. 166) aus, unterlegt zugleich von konsumpolitischer Staatsintervention auch auf kommunaler Ebene. Basierend auf der Analyse politischer Debatten und Maßnahmen um den Alkoholkonsum, die kommerzielle Massenkultur sowie den Konsumentenkredit und die Zugabereklame will Torp schließlich – quasi in einem zweiten, grundlegenden Argumentationsstrang seiner Arbeit – verdeutlichen, dass das Ziel verbraucherpolitischer Regulierung „die Verteidigung des bürgerlichen Konsummodells des 19. Jahrhunderts“ (S. 246) war. Dabei bringt er zugleich allerdings zum Ausdruck, dass Alkoholkonsum, „Schlemmerei“ und großstädtisches Entertainment dem schwelenden Konflikt mit den Alliierten hinsichtlich Zahlungsfähigkeit und Reparationen nicht dienlich waren und auch mit Blick auf das Ausland nach Anleihen zur Reglementierung des Alkoholkonsums im Reich gesucht wurde. Deutlicher kann Torp seine These deshalb anhand des schwierigen Umgangs mit der Massenkultur, besonders in Bezug auf Film und Reklame einerseits, den mit seinem Bildungsauftrag am Massenmarkt vorbei agierenden Rundfunk andererseits, untermauern.

War so für die Konsumgesellschaft der Zwischenkriegszeit die facettenreiche und vor allem „zunehmende Kluft von Mangelerfahrung und Wohlstandserwartung konstitutiv“ und dazu angelegt, „den erhofften vom tatsächlich realisierten Lebensstandard zu entfernen“ (S. 23), kommt Torp dennoch zu einer durchgehend positiven Beurteilung der Weimarer Politik. Die unversöhnlichen Gegensätze in Politik und Gesellschaft vermag er auf dem Feld der Konsumpolitik nicht zu erkennen, ebenso wenig wie das oft bemühte Demokratiedefizit. Vor allem im Hinblick auf die nachgewiesenen Grenzen des konsumpolitischen Interventionismus, beispielsweise im Bereich der Preispolitik, habe die Konsumpolitik dann allerdings doch ihren Beitrag zum Scheitern der Republik geleistet: auf diesem Feld konnte nämlich der Staat seine Ziele nicht einlösen, musste das Konzept der sozio-kulturellen Staatsbürgerschaft und mit ihr die Republik scheitern.

Der sprachlich hervorragend präsentierten, auf einer Vielzahl publizierter Quellen und Forschungsliteratur beruhenden Analyse fehlt in einigen (wenigen) Punkten die begriffliche Schärfe. Beispielsweise wenn festgestellt wird, dass der durch Kredit und Werbung dynamisierte Konsum vor allem auch im konservativen Bürgertum auf Widerstand traf, dessen Konsummodell es ja zu verteidigen galt. Wen aber zählt er hier konkret dazu? Denn immerhin kann Torp keine verstetigten schichtspezifischen Konsummuster nachweisen, zudem erhielten – nach den Angestellten (35,2%) – in erster Linie Beamte (23,4%) und die Gruppe der Gewerbetreibenden und freien Berufe (16,1%) einen großen Teil des nunmehr institutionalisierten Verbraucherkredits. Vor allem aber fehlt schließlich der Rekurs auf die originäre Weimarer Konfliktlinie – die Auseinandersetzung um die Frage nach dem Wirtschaftssystem. Den verantwortlichen Zeitgenossen konnte es in der unmittelbaren Nachkriegszeit nämlich gar nicht um eine Wahl zwischen Produktions- und Verbraucherinteressen gehen, hier galt es vielmehr, den Mangel zu verwalten. Die zunächst in Teilen aufrechterhaltene „Zwangswirtschaft“ musste trotz ihrer – für zentral verwaltete Wirtschaftssysteme typischen – Missstände zunächst um der Existenzsicherung der Bevölkerung Willen aufrechterhalten werden. Abgesehen davon aber ging es dann doch schon recht bald um die prinzipielle Frage der Verfasstheit des Weimarer Wirtschaftssystems. Genau deshalb waren ja auch „die Sorge um die Volksernährung seitens der Mittel- und Rechtsparteien und ihr Hinweis auf die funktionsuntüchtige Zwangswirtschaft in dürren Worten gefasst“ und klangen „eher wie Lippenbekenntnisse“ (S. 188).

Schwerer wiegt allerdings die Tatsache, dass die für die Republik konstitutive Wohlstandserwartung vor allem auch das Ergebnis eines auf das Kaiserreich bezogenen Bewertungsprozesses gewesen sein soll, während die sich dynamisierende Konsumgesellschaft der Weimarer Zeit gerade dem Einfluss der Amerikanisierung einerseits (Jazz, moderner Tanz, Kino, Werbung, langlebige Konsumgüter) bzw. emanzipatorisch-liberaler Tendenzen andererseits (Frauenmode, allgemeine Freizügigkeit) unterlag. Gerade weil die auch von Torp analysierten Arbeiter, Angestellten, hier besonders die weiblichen, sowie Beamten kräftig an diesen neuen Konsummöglichkeiten partizipierten, das städtische Leben zudem für viele gesünder und mobiler geworden war, erscheint der Rekurs auf die „Lohntüte“ des Kaiserreiches und die dortigen bescheidenen Konsummöglichkeiten problematisch. Nur mit einem entsprechend veränderten Rückgriff dürfte nämlich zu beantworten sein, warum die Kluft zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der Verbraucher für die Weimarer Gesellschaft prägender gewesen sein soll als die wirtschaftliche Wachstumsschwäche. Summa summarum hat Claudius Torp dennoch eine wichtige, nach Querschnittsfeldern gegliederte und die Kenntnisse über die Weimarer Konsumgesellschaft auch im Detail bereichernde Studie vorgelegt.

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