D. Düsterhaus: Die Revolution als Schwester des Krieges

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Titel
Die Revolution als Schwester des Krieges. Deutungen und Wahrnehmungen von Lutheranern im Elsaß in der Zeit der Französischen Revolution und des napoleonischen Empires (1789-1815)


Autor(en)
Düsterhaus, Donatus
Erschienen
Münster 2011: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Eckert, Historisches Seminar, Bergische Universität Wuppertal

Eines spannenden Themas hat sich Donatus Düsterhaus angenommen. Seine in Tübingen und Straßburg betreute Dissertation stellt Deutungsmuster vor, in die lutherische Geistliche aus dem Elsaß die Ereignisse und Strukturbrüche zwischen Französischer Revolution und Restauration einpassten. Nicht um Lutheraner insgesamt, wie der Titel verheißt, sondern um lutherische Geistliche geht es. Sie stehen im Schatten jüngerer Forschungen zur Revolutionszeit, die sich eher populären Frömmigkeitsformen, auch jenseits des Katholizismus, widmen. Dabei hätte das Elsaß mehr Aufmerksamkeit wahrlich verdient, der Klerus ohnehin: Das konfessionell heterogene Territorium war weltlich wie geistlich eng mit Frankreich wie mit dem Alten Reich verflochten und wurde ab den 1790er-Jahren zum ständigen Aufmarsch- und Schlachtgebiet. Düsterhaus stellt also in überaus verdienstvoller Weise die wichtige, klare und klassische Frage nach den Reaktionen eines Standes auf die massive Veränderung seiner Lebenswelt. Sein mit Orts- und Personenregister versehenes Buch wendet sich auf breiter archivalischer sowie publizistischer Quellengrundlage der Konfession als ideell und politisch wirkungsmächtiger Kraft zu.

Überzeugend argumentieren vor allem die ersten Teile der chronologisch aufgebauten Studie. Nach einer konzisen Einführung in die elsässischen Verhältnisse und in den Wandel der Staats- und Kirchenverfassung im Untersuchungszeitraum zeigt sie insbesondere auf, wie vorbehaltlos sich die lutherischen Geistlichen im mehrheitlich katholischen Elsaß der Revolution verpflichteten. Bis 1792 ließen sie kaum eine zeremonielle und publizistische Gelegenheit aus, sich als ökumenefreudige „Modellbürger“ (S. 258) des französischen Staates auszuweisen. Rasch lösten sie sich zur Wahrung ihrer konfessionellen und politischen Interessen von den Bindungen an ihre bisherigen Kirchenpatrone im Alten Reich. Indem sie in der Grande Peur einhellig die Nationalversammlung unterstützten, demonstrierten sie unbedingten Patriotismus. Die Geistlichen nutzen staatsbürgerliche Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als politische Hebel gegen die bisherige konfessionelle Benachteiligung; die Gesetzgebung stellte die Kirchen fortan gleich, so dass die Revolution mit guten Gründen als glückliches Element der Vorsehung gedeutet werden konnte. Selbst die Kriegserklärung an den König von Böhmen und Ungarn im Jahre 1792 – die Marseillaise erklang bezeichnenderweise erstmals beim lutherischen Maire von Straßburg – fand noch uneingeschränkte pastorale Unterstützung, die freilich mit der Radikalisierung der Revolution und vor allem mit dem Kult der Vernunft ein jähes Ende nahm: Nicht einmal mit dem Lob einer „République chrétienne“ war nunmehr noch Staat zu machen, auch lutherische Pfarrer fanden sich zahlreich in den Gefängnissen der Terreur wieder.

Breiten oder koordinierten Widerstand gegen die Verfolgung übten sie gleichwohl nicht; den lutherischen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, den die Geistlichen in der gesamten Periode konsequent predigten, praktizierten sie selbst. Dass sie allesamt darum bemüht waren, noch diese Ereignisse in einen göttlichen Heilsplan zu integrieren, ist ein wesentliches Ergebnis der Studie. Allerdings mutet es wenig überraschend an und bedürfte der Spezifizierung. Zumal die aufklärerische Theologie kannte äußerst verschiedene Varianten der Vorsehung; in welcher Weise sich die Prediger etwa auf welche Bibeltexte bezogen haben, erfährt keine systematische Darstellung. Daraus erwachsen manche hermeneutische Probleme, zum Beispiel, wenn die Studie ein pauschales Strafgericht Gottes in die Quellen projiziert, das dort in der Tat nicht „explizit“ genannt ist (S. 198): Es gereicht zum erheblichen theologischen wie politischen Unterschied, ob eine Predigt die direkte Intervention Gottes oder ein sich selbst regulierendes weltliches System beschrieb. Hier bleiben Leerstellen, die sich mit den angeführten Quellen indes füllen ließen. Zwar pointiert ausgewählt, hinterlassen sie den Leser aber mitunter etwas orientierungslos – darüber, inwiefern die zitierten Prediger und ihre Texte nun typologisch seien; inwiefern manche leichthin als persönliche Überzeugung dargestellte Abweichung von der Predigt-Norm auf sehr konkrete Umstände vor Ort zurückzuführen wäre (etwa auf Gegensätze zwischen Straßburg und dem Hinterland, auf vorherige territoriale Zugehörigkeiten); inwiefern sich die sozialen, ökonomischen, theologischen, politischen Profile der Geistlichen unterschieden haben; inwiefern diese im kleinräumigen Elsaß untereinander in Kontakt und Absprache standen; in welchen Netzwerken sie sich in ihren Gemeinden bewegten. Die Dissertation bleibt insofern hinter den Möglichkeiten ihrer Quellen zurück, zu denen auch diverse, leider kaum einmal ausgedeutete Abbildungen zählen.

So wohlüberlegt die Quellenbelege auch in den weiteren Teilen der Studie gewählt sind: Jene Passagen über die Zeit nach 1795 vermitteln kaum ein konklusives Ergebnis jenseits dessen, dass die Geistlichen weiterhin staatstragend die Vorsehung bemühten. Wie genau sie das taten, wäre aber einer Analyse wert. Denn manche Beleg-Indizien verweisen auf entscheidende Verschiebungen, schon im problematischen Buchtitel, der einer Predigt aus dem Jahre 1801 entstammt. Das gewählte Zitat unterschlägt die wesentliche kausale Qualifizierung, dass die Revolution eben nicht nur eine „Schwester und Gefährtin“, sondern „vielmehr eine Mutter des blutdürstigen Krieges“ gewesen sei (S. 11, Anm. 1). Düsterhaus macht viele spannende Quellen-Momente aus, deren konkrete Hintergründe er jedoch allzu selten skizziert. Namentlich die Ausblendung der Interessen der Geistlichen birgt gewisse Probleme: Sie predigten in den Kriegsjahren unverdrossen den Tod für das Vaterland und begrüßten Napoleon als Friedensbringer – ein Referenzmuster, das vor allem Reverenz gewesen sein dürfte, weil Napoleon die Gleichrangigkeit der lutherischen Kirche mit der katholischen Kirche nicht antastete, wie die Studie ja betont. Sie hebt also die Organischen Artikel von 1801 hervor, die auch die lutherischen Gemeinden hin zu Hierarchie, Zentralisierung und zum Staat geführt haben. Hatten einzelne Geistliche daran womöglich ein größeres Interesse als andere? Man mag sich schon fragen, ob nicht recht eigentlich bestimmte oder gar alle Geistlichen ihrerseits Napoleon instrumentalisiert haben, wie es Düsterhaus allein umgekehrt deutet (S. 223). Immerhin blieben sie vom Wehrdienst befreit, immerhin mussten sie sich zu jenen Eliten verhalten, die in der Kirchenstruktur des Empire in die Konsistorien einberufen statt in gleicher Wahl von den Gemeinden gewählt wurden. Schon aus solchen Gründen wäre kaum zu erwarten gewesen, dass sich die Geistlichen beispielsweise den steten zentralen Anordnungen für Te Deum und Predigten widersetzt hätten. Mit welchem Ziel hätten sie es tun sollen?

Eine „Kontinuität religiösen Denkens“ (S. 261), die Düsterhaus resümiert, taugt zweifellos zur These. Sie wäre freilich zu präzisieren – mit Blick auf die Gemeinden selbst, aber auch mit Blick auf die hier untersuchten Geistlichen. Eine Predigt, die von der Bedeutung der Religion für die Gesellschaft schwärmt, zeigt eher nicht, welchen Rang diese „in der Gesellschaft der damaligen Zeit einnahm“ (S. 262), sehr wohl hingegen, welchen die Geistlichen gerne gehabt hätten. Solche Unschärfen, die auch einem mitunter sperrigen Stil zuzuschreiben sind, machen sich immer wieder bemerkbar und beeinträchtigen sowohl die Fragestellung als auch die Antwortfindung: Die befragten Quellen, meist Predigten, können zwar Wirken, aber keinesfalls „Wirkung“ (S. 11) der Geistlichen belegen. Zudem lassen sich gerade Deutungsmuster eben nicht allein auf der „Ebene des Diskurses der Ansprachen und Predigten“ (S. 257) beschreiben: Diskurse meinen Interaktion im sozialen Raum, meinen die Verbindung von Sprechakten unter den Umständen ihrer jeweiligen Entstehung – und wenn es in der Umbruchszeit zwischen 1789 und 1815 eines gewiss nicht gegeben hat, dann einen herrschaftsfreien und interesselosen Diskurs.

Der steht auch in der Gegenwart in Gefahr, wenn in einer Qualifikationsschrift unpublizierte Finanzierungsanträge zur Verlängerung von Sonderforschungsbereichen (sic! S. 12, Anm. 3; S. 15, Anm. 10) zur Autorität just für die Einleitung werden, die immerhin Rechenschaft über Gehalt und Methode der Untersuchung ablegen soll. Das kann nicht zur Nachahmung empfohlen werden – wohl aber die Arbeit an einem Thema, das Düsterhaus’ Studie pionierhaft aufarbeitet, zu manchen anregenden Thesen bringt und als ein spannendes zu schildern versteht.

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