D. Tröndle: Mustafa Kemal Atatürk

Cover
Titel
Mustafa Kemal Atatürk. Mythos und Mensch


Autor(en)
Tröndle, Dirk
Erschienen
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Berger, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Biographien Mustafa Kemal Atatürks haben in den letzten Jahren Konjunktur. Das gilt nicht allein in der Türkei, wo in jüngerer Zeit in Kontext eines weithin gewachsenen Bedürfnisses nach einem von bisherigen ideologischen parti pris freien Diskussionen der eigenen Geschichte auch auf die Figur Atatürks ein, wenn auch meist noch vorsichtiger, neuer Blick geworfen wird. In westlichen Sprachen ist die Atatürk-Biographik in den letzten Jahren um eine Reihe von Titeln bereichert worden, von denen ich hier nur auf Klaus Kreisers Atatürk (München 2008) und vor allem auf Şükrü Hanioğlus ebenso profunde wie kompakte Einordnung Mustafa Kemals in die geistigen Strömungen seiner Zeit verweisen möchte (Atatürk, Princeton 2011). Weder auf die eine, noch auf die andere Darstellung wird in dem hier zu besprechenden Werk Bezug genommen, und auch die für die Erforschung der Geschichte der frühen türkischen Republik bahnbrechenden Untersuchungen von Erik J. Zürcher hat Tröndle nicht berücksichtigt. Tröndle hat seinen Text offenkundig auf Grundlage dessen verfasst, was ihm in der Türkei, wo er für die Konrad Adenauer Stiftung tätig ist, greifbar war. Das ist eine ganze Menge und sein Bild von Mustafa Kemals Leben lebt von der vergleichsweise großen Zahl türkischer Quellen, die hier in meist sehr überzeugender Übersetzung immer wieder zitiert werden. Die Lebensgeschichte des Helden wird in den Kapiteln 1-7 (S. 21-162) eingebettet in die Geschichte des spätosmanischen Reiches und der türkischen Republik anschaulich erzählt. Allerdings ist der Text nicht frei von Fehlern und Ungenauigkeiten, die nicht allein im Kontext der Biographie Atatürks unwichtige Details betreffen (wie die Behauptung bei der osmanischen Knabenlese habe die „Zielgruppe“ aus zwei bis vierjährigen Knaben bestanden, S. 46), sondern auch zentrale Figuren und Ereignisse der republikanischen Geschichte: Tröndle verwechselt Şeyh Said aus Palu, den Anführer des kurdischen Aufstandes von 1925, mit Bediüzzaman Nursi, dem Gründer der Nurcu-Bewegung, einer Figur, die bis in unsere Tage von nicht unwesentlicher Bedeutung in der Türkei und darüber hinaus ist (S.129). Auch ist selten der aktuelle Forschungsstand zu einem Gegenstand berücksichtigt, so bei der zugegebenermaßen knappen Schilderung des Aufstandes vom 31. März 1909 (S. 37) oder bei der von Zürcher immer wieder behandelten Frage der personellen Kontinuität zwischen jungtürkischer und republikanischer Epoche.

Über das in Kreisers Biographie zu findende hinaus geht Tröndle letztlich nur bei zwei Punkten: zum einen der Schilderung des Privatmenschen Mustafa Kemal, der hier, einem Interesse der türkischen Atatürk-Forschung und –Literatur der letzen Jahre folgend, deutlich lebendiger und anekdotenreicher dem Leser vor Augen tritt als bei Kreiser. Zum zweiten werden die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der frühen Republik, die bei Kreiser eine merkwürdige Lehrstelle bleiben, hier immerhin kurz erwähnt.

Wer sich nur einen knappen Überblick über Atatürks Leben verschaffen möchte, kann zu Tröndles Buch durchaus greifen. Wer sich intensiver mit der frühen türkischen Republik befassen möchte, ist wahrscheinlich als Einführung mit Zürchers Überblicksdarstellung zur Geschichte der Republik (Turkey. A Modern History, 3. Aufl. London 2004) und (für die Geistesgeschichte) mit Hanioğlus Panorama der intellektuellen Welt Atatürks besser gedient.

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