L. Cassuto u.a. (Hrsg.): The Cambridge Companion to Baseball

Titel
The Cambridge Companion to Baseball.


Herausgeber
Cassuto, Leonard; Partridge, Stephen
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 64,35
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Lüthe, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Es ist beinahe banal und ganz und gar unerfrischend, die Bedeutung von Baseball für die Kulturgeschichte Nordamerikas – insbesondere der Vereinigten Staaten – herauszustellen, insbesondere deshalb, weil schon die Publikation eines „Cambridge Companion to Baseball“ selbst diese Bedeutsamkeit deutlich zum Ausdruck bringt. Dennoch vermag der von Leonard Cassuto und Stephen Partridge herausgegebene Band eine durchaus überraschende Lücke zu schließen, indem er sich dem Phänomen Baseball transdisziplinär, episodisch sowie aspektgeleitet annimmt. Lediglich Benjamin G. Raders Standardwerk für (Baseball- bzw. Sport-)Historiker mit dem Titel „Baseball: A History of America’s Game“, das im Jahr 2008 in einer dritten Auflage erschienen ist und erstmals 1992 publiziert worden war, liefert der Leserschaft einen ähnlich umfassenden, gänzlich historisch-chronologischen Einblick in die Geschichte und kulturelle Bedeutung dieses amerikanischen Spiels.1

Cassuto und Partridge hingegen nehmen das spezifische Genre des „Companion“ sehr ernst, so dass der historische Abriss des Spiels den inhaltlichen Teil des Buchs zwar einleitet, jedoch ‚lediglich‘ in Form einer groben, stichwortartigen Chronologie gewissermaßen im Paratext des „Companion“. Im Zuge der Lektüre des Hauptteils des Buches verwandelt sich die Edition dann ganz und gar in eine ‚Kameradin‘, mit der man als Leserin über verschiedene Epochen, Aspekte und Akteure dieses faszinierenden Spiels ein wissenschaftlich fundiertes und spannendes ‚Gespräch führen‘ kann. Der „Companion“ erzeugt diese Sportgesprächsatmosphäre durch seine nahezu assoziative Verbindung einzelner thematischer Beiträge, die durch so genannte „Interchapter“ zu einzelnen herausragenden Athleten der Baseballgeschichte markiert und gebündelt werden. Schon im ersten Teil, der – selbstverständlich – vom „Interchapter: Babe Ruth“ abgerundet wird, zeigt sich die eklektische Kombination der verschiedenen Aspekte des Spiels: beginnt der Band nachvollziehbarer Weise mit einem Kapitel zur Geschichte der Regeln des Spiels („The rules of baseball“, Stephen P. Gietscher), folgt gleich der zweite Beitrag mit einem Verweis auf das Zusammenspiel von Baseball und der nordamerikanischen Literatur („Baseball in literature, baseball as literature“, Stephen Partridge / Timothy Morris); der dritte Beitrag dieses ersten inhaltlichen Teiles verbindet dann die Athletenfigur Babe Ruth mit den so genannten „sabermetrics“, der ernsthaften und intensiven quantitativen Analyse und Auseinandersetzung mit Baseball in der amerikanischen Kultur, einerseits, und der Politik und Bedeutung von Großartigkeit für Baseball andererseits („Babe Ruth, sabermetrics, and baseball’s politics of greatness“, Leonard Cassuto / David Grant). Schon in diesem ersten Abschnitt des Bandes wird also deutlich, dass der „Companion“ Baseball aspektorientiert greifbar zu machen versucht; akzeptiert man diesen Zugriff, der schon aus Gründen der schier überwältigenden Bedeutung des Sportes Sinn macht, eröffnet sich der Leserin ein überzeugender Einblick in den kulturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Umgang mit dem Sport. So werden in den folgenden Abschnitten unter anderem Fortschritt und Form der Internationalisierung und Globalisierung des Baseballs, die Bedeutung von „race“ und der Bürgerrechtsbewegung für den Sport, Baseball im Zusammenhang mit den „material culture studies“ sowie der amerikanischen Stadt, Figuren und Tropen des Baseballfans und ökonomische und mediale Entwicklung des Baseballs in einzelnen Beiträgen diskutiert. Hierbei wirkt die Organisation des Bandes teilweise leider jedoch willkürlich.

Die einzelnen Beiträge des Bandes gewähren außerdem nicht gleichwertig starke Einblicke in die jeweiligen Themen, insbesondere variiert die Rückbindung der spezifischen Fragestellung eines Beitrags an den größeren Forschungsbereich, in den die Fragestellung eingebettet ist. Während es dem Großteil der beitragenden Autoren – alle sind männlich – überzeugend gelingt, die Beiträge für weitere und größere Fragestellungen anschlussfähig zu machen, gibt es einige unpräzise überschriebene Buchartikel, die entsprechend unter der Größe des in der Überschrift angedeuteten Themas leiden. Besonders auffällig ist dies in David Finolis Beitrag zu „Baseball and the American city“. Hier wird der Leserin unter dieser offenen Überschrift nahezu ausschließlich das ökonomische Tauziehen von Städten um professionelle Baseball-Franchises geschildert, insbesondere am Beispiel des sagenumwobenen Umzugs der Brooklyn Dodgers nach Los Angeles im Jahre 1957. Zwar stellt dieser Umzug der Profiteams an die Westküste – die Giants verließen New York City im selben Jahr gen San Francisco – einen kaum zu überschätzenden Einschnitt in der Geschichte des professionellen Baseballsports, seiner Mythen und Narrativierungen sowie dem Verhältnis von Franchises und Stadtkommunen dar, dennoch wählt Finoli einen so spezifisch wirtschaftshistorischen Zuschnitt, dass er damit weder zur jüngeren Sportgeschichtsschreibung noch zur Stadtgeschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte einen besonderen Beitrag zu leisten vermag. Die Stadtgeschichte des Baseballs beginnt schließlich lange vor dem Tauziehen der Franchises, spätestens mit dem Anlegen von Grünanlagen und Parks, die für das Spiel ausgewiesen sind und der stadtmodernen Arbeiterklasse neue Freizeitmöglichkeiten bieten sollten. Auch zum Zusammenhang von Stadtidentitätskonstitution im Zusammenhang mit der besonderen Mobilität von Baseball-Franchises – zum Beispiel im Vergleich zur europäischen Vereinskultur – hat Finoli überraschender Weise eher wenig zu schreiben. Hier hätte wahrscheinlich eine präziser gewählte Überschrift Rezeptionsmissverständnissen vorbeugen können.

David F. Venturos Artikel zu „Baseball and material culture“ hingegen überzeugt gänzlich als Beitrag zum Forschungsfeld und er formuliert reflektiert, dass sein Text „suggestive rather than definitive“ sei, „given the scope of the subject“ (S. 138). Der Beitrag skizziert in der Folge eine Bandbreite von Baseball-Artefakten und von zentralen Erfindungen bzw. Technologien, um Baseball auf diese Weise in seinen jeweiligen materiell-kulturellen, historischen Kontext einzubetten. Venturo beschreibt sich als „hard […] material culturalist“ (ebd.), den vor allem die Beschaffenheit und der kulturelle Einfluss des sich verändernden Materials als Forschungsinteresse umtreibt. Als Einblick in dieses Feld gelingt der Beitrag auf ganzer Linie, wenngleich man sich als Leserin hin und wieder fragt, welche Bedeutung der Baseballschläger und das Baseballcap als Teil der materiellen Kulturen jenseits der Semiotik des Sportes selbst in verschiedenen Regionen und anderen Segmenten der Kulturen der Welt eingenommen haben: der Baseballschläger als Waffe bleibt unerwähnt und die Reise des Baseballcaps durch globalisierte Fashionkulturen wird lediglich angedeutet, nicht jedoch diskutiert. Das vollständige Ignorieren von Geschlecht und Sexualität als relevante Kategorien für das Verständnis von Baseballkultur im gesamten Band ist mehr als irritierend, wird aber wenigstens konsequent betrieben: Auch im Kontext von Mode werden die Bedeutungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten entsprechend nicht reflektiert.

Schafft man es als Leser und Leserin vom völlig unreflektierten Umgang mit Geschlecht und Sexualität abzusehen, funktioniert „The Cambridge Companion to Baseball“ aber besonders wegen seiner vermeintlichen Eklektik und der Beleuchtung signifikanter und heterogener Aspekte der Baseballkulturgeschichte als Teil der nordamerikanischen Geschichte gut. Insbesondere die Beiträge zum Fetischismus der quantitativen Statistik im Baseball und derjenige von Daniel und David Luban zu den in den Sport eingeschriebenen Formen und Funktionen von Betrügereien und Tricks („Cheating in baseball“) beleuchten jene Aspekte, die Sporthistoriker/innen und Kulturwissenschaftler/innen verstehen und greifbar zu machen versuchen müssen, wenn sie sich mit diesem „anderen amerikanischen Exzeptionalismus“2 – dem der Sportkulturgeschichte – ernsthaft und informiert auseinander setzen wollen. Nicht nur hierfür funktioniert der „Companion“ als wahre Kumpanin für die Auseinandersetzung mit der vielerorts als quintessentiell amerikanisch beschriebenen Tätigkeit des Baseballspiels, jenem/r mythischen „national pastime“.

Anmerkungen:
1 Benjamin G. Rader, Baseball. A History of America’s Game, Champaign 2008 [1992].
2 Andrej S. Markovits, The Other ‚American Exceptionalism‘: Why Is There No Soccer in the United States?, in: The International Journal of the History of Sport 7 (1990), 2, S. 230–264.

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