A. Tischer: Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit

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Titel
Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis


Autor(en)
Tischer, Anuschka
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 12
Erschienen
Münster 2012: LIT Verlag
Anzahl Seiten
338 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Klesmann, Historisches Institut, Universität zu Köln

Anuschka Tischer widmet sich in ihrer Untersuchung, die auf der Habilitationsschrift der Autorin an der Universität Marburg 2009 beruht, dem komplexen Verhältnis von Staat, Krieg und Öffentlichkeit. Konkret geht es um „offizielle Kriegsbegründungen“, also Kriegserklärungen und Kriegsmanifeste in Europa zwischen etwa 1492 und 1795. Der Rezensent hat sich im Rahmen seiner Dissertation – chronologisch enger fokussiert – mit einem sehr ähnlichen Thema befasst und muss daher manche Bewertung dem vergleichenden Urteil einer unbefangeneren Leserschaft überlassen.1 Von kleineren Differenzen abgesehen scheint sich jedoch eine weitgehende Übereinstimmung wesentlicher Einschätzungen zu ergeben. Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit, mittlerweile Professorin an der Universität Würzburg, bietet zudem erstmals einen zusammenhängenden und vollständigen Überblick über obrigkeitliche Kriegslegitimationen zwischen der Erfindung des Buchdrucks und der Französischen Revolution. Entsprechend breit sind die fünf größeren Abschnitte konzipiert, die das umfangreiche Quellenmaterial unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren.

Auf einleitende Ausführungen zur antiken Herkunft und zum normativen Charakter der Kriegslegitimation in Europa (S. 31–47) folgt zunächst ein Kapitel zur völkerrechtlichen „Theorie und Praxis“ (S. 48–78). Zu Recht betont die Verfasserin hier neben anderen Aspekten die Heterogenität der kursierenden Begriffe und Usancen, jedoch auch die grundsätzliche Akzeptanz einer europäischen Völkerrechtsgemeinschaft als „Wertegemeinschaft“ (S. 69). Insgesamt überwiegt die vergleichende Untersuchung der „Praxis“ auf der Basis umfassender, zeitlich wie räumlich weit gestreuter und doch jeweils sorgfältig in den Zusammenhang eingebetteter Quellenbestände.

Ein weiteres Kapitel erläutert den historischen Horizont des Phänomens der „Öffentlichkeit“ und lotet die Handlungsspielräume der beteiligten Staaten im Kontext konkurrierender Kriegslegitimationen aus (S. 79–107). Die Herausarbeitung der Bedeutung des Buchdrucks für diesen Bereich der zwischenstaatlichen Kommunikation leitet zum folgenden Abschnitt über und stellt das Instrumentarium, das sich aus dem „neuen“ Medium ergab, in seinen historischen Bezügen dar: „Vom gedruckten Wort zur Druck-Propaganda“ (S. 108–131). Ganz besonders interessant erscheint hier der Nachweis, dass spätestens im 18. Jahrhundert zur Abfassung von Kriegsmanifesten bereits standardisierte Vorlagen bis hin zu offiziellen Kanzleiformularen existierten, so dass die Interpretation einzelner Texte immer das größere Gesamtkorpus im Blick haben muss (S. 125–131).

Die beiden vielleicht wichtigsten Teile der Untersuchung widmen sich dann den im engeren Sinne inhaltlichen Komponenten der Kriegslegitimation, zunächst systematisch-typisierend (S. 132–178), dann stärker selektiv unter dem Leitmotiv der Freiheitsbegrifflichkeit (179–208). In der Typologie wird zunächst die rechtliche Argumentation als zentraler Bestandteil aller Texte erörtert, bevor in thematischen Teilbereichen wie „Schutz der Untertanen“ (womöglich eher noch übergeordnet im rechtlichen Teil zu behandeln), „Ehre, Reputation und Ruhm“, „Kategorien der Freundschaft und Gemeinsamkeit“, „(Un-)Dankbarkeit“ etc. interessante Erläuterungen des vormodernen politischen Kommunikationsspektrums zwischen Diplomatie- und Begriffsgeschichte folgen. Im Mittelpunkt der detaillierten Untersuchung der Freiheitsbegrifflichkeit stehen einerseits die Auseinandersetzungen um die ständische „Libertät“ im Reichskontext sowie die Abwehr von Hegemonialbestrebungen auf europäischer Ebene, andererseits die politisch-soziale Wendung des Freiheitsbegriffs am Ende des Untersuchungszeitraums mit dem Krieg des revolutionären Frankreich gegen die Erste Koalition. Hier wie in anderen Teilen der Untersuchung gelingt es vorzüglich, die Höhen der diskursanalytischen Abstraktion zu den konkreten Äußerungen der historischen Akteure in Beziehung zu setzen und den Leser in eine lebendige und stringente Darstellung einzubeziehen. Der Abschnitt zum Seerecht und zur Diskussion um die „Freiheit der Meere“ hätte allerdings, gerade für die erste Hälfte des Untersuchungszeitraums, entscheidend von Jörg Fischs umfassender Studie zum Zusammenhang zwischen europäischer Expansion und neuzeitlichem Völkerrecht profitieren können.2

Die äußerst lesenswerte Arbeit, die von Christoph Kampmann begleitet wurde und eine „umfangreiche thematische Sammlung“ von Konrad Repgen einbeziehen konnte (vgl. Vorwort), bietet nicht zuletzt den Vorzug intensiver Aufbereitung des reichen Quellenmaterials, beispielsweise in Form eines chronologischen Verzeichnisses der Kriegserklärungen/-manifeste (S. 223–261) und einer Auflistung der vor 1800 gedruckten Literatur zum Thema (S. 263–304). Selbstverständlich war eine wirklich erschöpfende Berücksichtigung aller Texte im Rahmen einer einzigen Monographie schwerlich zu leisten. Es könnte etwa gefragt werden, warum die erwähnte Chronologie keinen Eintrag zum Krieg zwischen Urban VIII. Barberini und Odoardo Farnese um das Herzogtum Castro 16413, zum Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 oder zum Türkenkrieg von 1787 enthält. Dass aber mit Text und Anhängen allen Interessierten eine vorzügliche Arbeitsgrundlage bereitgestellt wird, steht außer Frage.

Anmerkungen:
1 Bernd Klesmann, Bellum solemne. Formen und Funktionen europäischer Kriegserklärungen des 17. Jahrhunderts, Mainz 2007.
2 Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht. Die Auseinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1984.
3 Hinweise zum Beispiel in: Renzo Chiovelli (Hrsg.), Cronologia della prima guerra di Castro (1641–1644) nelle Carte Barberini presso la Biblioteca Vaticana, in: Biblioteca e società 20 (1994), S. 1–11.

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