C. R. Bowlus: Die Schlacht auf dem Lechfeld

Cover
Titel
Die Schlacht auf dem Lechfeld.


Autor(en)
Bowlus, Charles R.
Erschienen
Stuttgart 2012: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 26,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Orsolya Heinrich-Tamáska, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) Leipzig

Die vorliegende Studie stellt die deutsche Übersetzung des amerikanischen Originals „The Battle of Lechfeld and its Aftermath, August 955. The End of the Age of Migration in the Latin West“ aus dem Jahre 2006 dar.1 Die vorliegende Fassung – mit einem Vorwort von Stefan Weinfrurter – verfolgt das Ziel (S. 17), einen breiteren Kreis der deutschen Mediävistik zu erreichen.

Das Thema sollte jedenfalls auch auf Englisch für Aufmerksamkeit sorgen, werden doch die Ereignisse auf dem Lechfeld am heiligen Laurentius-Tag des Jahres 955 und die Folgen des Sieges Ottos I. über die heidnischen Ungarn in der deutschen Geschichtswissenschaft schon seit Langem als ein besonderer historischer Wendepunkt eingestuft. Auch im vergangenen Jahrzehnt wurde ein breites wissenschaftliches und öffentliches Interesse für dieses Ereignis und seine Akteure bekundet, ob in Verbindung mit der Ausstellung „Otto der Große“ in Magdeburg im vergangenen Jahr2, im Rahmen des Forschungsprojektes „Reiterkrieger, Burgenbauer – Die frühen Ungarn und das 'Deutsche Reich' vom 9. bis zum 11. Jahrhundert“ am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz3 oder durch ein Zinnsoldaten-Diorama über die Lechfeld-Schlacht in Königsbrunn.4

Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick (S. 19 ff.) behandeln die folgenden drei Kapitel die Vorgeschichte und die Umstände, die zu der Schlacht führten: aus der Sicht der ungarischen Kriegsführung (S. 41 ff.), der Reichsgeschichte (S. 75 ff.) und des Verhältnisses der Ungarn zum Abendland (S. 114 ff.). In den zwei abschließenden Abschnitten werden dann die Ereignisse des Jahres 955 selbst analysiert (S. 144 ff.).

Charles R. Bowlus’ Argumentationskette für die Vorgänge bei Augsburg baut auf den ersten drei Abschnitten des Buches auf. Im zweiten Kapitel wird die Kriegsführung der Ungarn unter dem Aspekt ihrer Logistik und Technik untersucht. Die ungarischen Militär-Erfolge basierten demnach auf einem Überraschungseffekt, auf einen schnellen Angriff zu Pferd und mit Reflexbogen, wie es zuvor bereits bei anderen Steppenkriegern der Fall gewesen war.5 Um die Mobilität und Schnelligkeit zu sichern, war das Mitführen mehrerer Pferde notwendig, und ihre dauerhafte Versorgung – die Suche nach Weideflächen – soll einen der Schwachpunkte der ungarischen Militärstrategie gebildet haben. Den zweiten Punkt liefert das Bogenschießen selbst, dessen Einsatz mit einer Entfernungskampf-Strategie einherging und bei feuchten Witterungsverhältnissen stark eingeschränkt gewesen sein soll.

Im Kapitel drei unter dem Titel „Militärreformen Heinrichs I.“ wird die These der so genannten Verteidigung in der Tiefe als erfolgreich angewendeter Abwehrmechanismus formuliert, der bereits seit dem Beginn des zehnten Jahrhunderts in Bayern und später durch Heinrich I. auch in Sachsen angewendet wurde. Ihr strategisches Prinzip soll darin bestanden haben, die mit Beute beladenen Truppen auf ihrem Rückweg ins Karpatenbecken zu überfallen. Den Kern dieser Verteidigung sollen agrarii milites gebildet haben, die sich um Wehranlagen (urbes) organisierten. Die militärische Funktion dieser Gruppen ist allerdings in der Forschung stark umstritten, zudem werden aktuell auch Debatten über die Datierung und Funktion von Wehranlagen im süddeutschen Raum geführt, die deren die bisher gültige Einschätzung als ungarnzeitliche Fluchtburgen anfechten.6

Im vierten Kapitel, bei der Analyse des Verhältnisses der Ungarn zum Abendland, stehen eindeutig die Beziehung zu Bayern selbst im Fokus der Ausführungen. Die Kernthese allerdings, dass die ungarischen Streifzüge oder ihre militärische Einmischung mit den inneren Konflikten des Ottonenreiches einhergingen, da die Rebellen die Ungarn als Söldner für ihre Vorhaben anwarben, wird schon seit längerem diskutiert.7

Für die Rekonstruktion der Schlacht bei Augsburg selbst und die vernichtende Niederlage des ungarischen Heeres in den nachfolgenden Tagen greift Charles R. Bowlus auf diese Kapitel als Erklärung zurück. Die Vorkommnisse an den Augusttagen 955 bei Augsburg sind aus den Quellen – vor allem durch Widukind – gut bekannt: Am 8. August begann der ungarische Angriff auf Augsburg, das von Bischof Ulrich verteidigt wurde. Einen Tag später rückte Ottos Heer an, konnte den ersten Angriff der Ungarn abwehren, und am 10. August fand die eigentliche Schlacht statt. Charles R. Bowlus’ Rekonstruktion zufolge fand diese aber nicht auf dem Lechfeld, sondern am Rand des Rauhen Forstes westlich von Augsburg statt (S. 243). Seine zentrale These bezieht sich jedoch nicht auf die Bestimmung des Ortes, an dem die Schlacht ablief, sondern auf die Annahme, dass die Vernichtung der ungarischen Kriegerverbände und der durchgreifende Sieg nicht am 10. August erreicht wurden, sondern erst in den darauffolgenden Tagen. Dieser zweite Abschnitt des Kampfes soll durch zwei Aspekte bestimmt worden sein: erstens durch unwetterartige, über Tage andauernde Regenfälle, die sowohl die Reflexbögen der Ungarn außer Kraft gesetzt als auch ihren Rückzug behindert hätten, da sie eine starke Überflutung der Flüsse verursachten. Zweitens sollen die zersplitterten ungarischen Truppen mit ständigen Attacken ottonischer Einheiten konfrontiert gewesen sein, ganz nach dem Prinzip der vorher geschilderten Methode der „Verteidigung in der Tiefe“: Sie sollen von befestigten, an den Flussübergängen gelegenen Anlagen aus überfallen und vernichtet worden sein.

Das von Charles R. Bowlus konstruierte komplexe Szenario einer vollständigen Niederlage der Ungarn bringt insgesamt eine neue militärhistorische Sicht auf die Ereignisse, auch wenn es in seiner Grundaussage die etablierte Forschungsmeinung über die Bedeutung dieses Sieges für Otto I. unterstützt. Ebenso übernimmt er die feststehende Ansicht über die Auswirkung dieser Schlacht auf die spätere Entwicklung der Ungarn: Die Beendigung der Streifzüge nach Westen soll den ersten Schritt auf dem Weg zur Integration der Ungarn in das christliche Abendland gebildet haben. Ob diese Niederlage tatsächlich diese Reichweite für die ungarische Geschichte besaß, bleibt allerdings umstritten. Die komplexen innenpolitischen Prozesse während der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts im Karpatenbecken sind mit Sicherheit nicht mit diesem Ereignis allein erklärbar.

Es wäre wünschenswert, dass Charles R. Bowlus’ Werk in der Zukunft auch durch die ungarische Forschung rezipiert wird. Bei der Durchsicht des Literaturverzeichnisses wird nämlich umgekehrt sogleich offenkundig, dass aus Ungarn nur wenige deutsch- und englischsprachige Beiträge für die Arbeit berücksichtigt worden sind. Auch wenn ungarische Sprachkenntnisse keine Voraussetzung für eine quellennahe und -kritische Studie sein müssen, geht der Arbeit damit ein wichtiger forschungsgeschichtlicher Aspekt verloren. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die ungarische und die deutsche Forschung die Rolle der Ungarn während des zehnten Jahrhunderts teils bis heute unterschiedlich bewerten, was jedoch bisher kaum Berücksichtigung in den einschlägigen Arbeiten fand.

Anmerkungen:
1 Deutsche Rezension durch Joachim Ehlers, in: Deutsches Archiv 63, 2007, S. 735. – Ausführlicher und kritischer: Jonathan R. Lyon, in: H-German@h-net.msu.edu (<http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-war&month=0712&week=b&msg=FuRXF4iLvVR5nRwmU9egKQ&user=&pwmU9egKQ&user=&pw>, [04.02.2013]).
2 Hartmut Leppin / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter, Kaisertum im ersten Jahrtausend. Wissenschaftlicher Begleitband zur Landesausstellung "Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter", Mainz 2012; Matthias Puhle / Gabriele Köster (Hrsg.), Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter. Ausstellungskatalog, Mainz 2001.
3 <http://web.rgzm.de/759.html>, [04.02.2013].
4 <http://www.koenigsbrunn.de/index.php?id=10265,356>, [04.02.2013].
5 Johannes Gießauf, Barbaren – Monster – Gottesgeißeln. Steppennomaden im europäischen Spiegel der Spätantike und des Mittelalters, Graz 2006, bes. S. 101–134.
6Tagungsbericht "Das lange 10. Jahrhundert – struktureller Wandel zwischen Zentralisierung und Fragmentierung, äußerem Druck und innerer Krise. 14.03.2011–16.03.2011, Mainz", in: H-Soz-u-Kult, 28.05.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3650>, [15.03.2013].
7 Zuletzt detailliert zusammengefasst bei Gyöngyvér Bíró / Péter Langó, „Deo odibilis gens Hungarorum“ oder „auxilium Domini“ – Die Ungarn und die christliche Welt im 10. Jahrhundert, in: Orsolya Heinrich-Tamaska (Hrsg.), Rauben – Plündern – Morden. Nachweis von Zerstörung und kriegerischer Gewalt im archäologischen Befund, Hamburg 2013, S. 275–336.