W. Deimann: Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla

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Titel
Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla. Religiöse Minderheiten unter muslimischer und christlicher Dominanz (12. bis 14. Jahrhundert)


Autor(en)
Deimann, Wiebke
Reihe
Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 9
Erschienen
Berlin 2012: LIT Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfram Drews, Historisches Seminar, Universität Münster

Das ‚Zusammenleben‘ von Anhängern der drei monotheistischen Weltreligionen im mittelalterlichen Spanien ist im Anschluss an Américo Castro häufig als harmonische convivencia idealisiert worden, auch wenn immer wieder auf das durchaus auch konfliktbehaftete Interagieren von Juden, Muslimen und Christen hingewiesen worden ist. Wiebke Deimann nimmt in ihrer an der Universität Erlangen entstandenen geschichtswissenschaftlichen Dissertation die Stadt Sevilla als Gegenstand für ihre Untersuchung der spezifischen Bedingungen interkulturellen Zusammenlebens im spanischen Hochmittelalter in den Blick. Das Fallbeispiel ist geschickt gewählt, denn nicht nur handelt es sich um die im almohadischen al-Andalus führende Metropole; auch für Christen besaß die Stadt seit der Westgotenzeit eine große Bedeutung, die darin gipfelte, dass ihr im 13. Jahrhundert zuweilen sogar kaiserlicher Rang beigemessen wurde. Nicht zuletzt steht für diese Stadt eine einzigartige arabischsprachige Quelle zur Verfügung, die im Hinblick auf die Problematik interreligiöser Beziehungen ausgewertet wird.

In ihrer Einleitung umreißt Deimann Fragestellung, Forschungsstand und Quellenlage, um sich im zweiten Kapitel dem städtischen Raum zuzuwenden; diesbezüglich sind vor dem 12. Jahrhundert zwar nur wenige Aussagen möglich, doch ändert sich der Befund in almohadischer Zeit grundlegend, namentlich durch die zahlreichen großen Bauprojekte dieser Epoche. Vom dritten Kapitel an rückt die eigentliche Fragestellung des Buches ins Zentrum der Ausführungen: Zunächst werden Christen und Juden unter almoravidischer Dominanz analysiert; für die Untersuchung der rechtlichen und sozialen Stellung religiöser Minderheiten in der Zeit um 1100 steht mit der Marktordnung (ḥisba) Ibn 'Abdūns eine einzigartige Quelle zur Verfügung, die Deimann mit großer philologischer Genauigkeit und Sachkenntnis zu interpretieren weiß. Dieser Text erweist sich sozial- und kulturgeschichtlich geradezu als eine Fundgrube. Anschließend wendet sich die Autorin dem Bündnis einiger sevillanischer Mozaraber mit Alfons I. von Aragón zu, das nicht nur einen Kriegszug des aragonesischen ‚Schlachtenlenkers‘ nach Andalusien, sondern auch die Deportation zahlreicher mozarabischer Christen nach Nordafrika zur Folge hatte. Dies bietet der Verfasserin Gelegenheit für einen Exkurs zur Rolle christlicher Söldner unter Almoraviden und Almohaden.

Im vierten Kapitel werden Christen und Juden unter almohadischer Dominanz behandelt. Erst jetzt, in einer Zeit wachsenden religiösen Drucks auf Minderheiten, kam es zum Erlöschen des traditionsreichen christlichen Bistums von Sevilla, und auch die jüdische Gemeinde dürfte Anfang des 13. Jahrhunderts vorübergehend untergegangen sein; zumindest gibt es keine unzweifelhaften Belege für die Anwesenheit von Juden beim Einzug des kastilischen Königs 1248.

Eine historische Zäsur bildet die christliche Eroberung Sevillas (Kapitel fünf): Im Anschluss daran wurde der städtische Raum im Zuge eines repartimiento neu geordnet (Kapitel sechs), Moscheen wurden zu Kirchen und in einigen Fällen auch in Synagogen umgewandelt; Hauptquelle für diese Zeit ist der in immerhin 44 Handschriften überlieferte Libro del repartimiento. Das siebte Kapitel wendet sich Alfons X. von Kastilien als dem vermeintlichen „König der drei Religionen“ zu (so seine in vier Sprachen – Hebräisch, Arabisch, Latein und Kastilisch – verfasste Inschrift auf seinem Grabmal in der Kathedrale von Sevilla). Zentrale Quelle ist hier das Gesetzeswerk der Siete Partidas, vor deren Hintergrund Deimann die Stellung von Juden und Muslimen unter christlicher Herrschaft untersucht.

Im abschließenden achten Kapitel behandelt sie die Rolle der jüdischen aljama Sevillas im kastilischen Erbfolgekrieg zwischen Peter I. und seinem Halbbruder Heinrich von Trastámara, in dessen Verlauf sich letzterer auch antijüdischer Verleumdungen bediente, um die Politik seines legitimen Halbbruders zu desavouieren. Die verhängnisvollen Argumentationsstrategien des späteren Königs Heinrich bildeten eine Voraussetzung für das verheerende Pogrom von 1391, in dessen Verlauf die jüdische Gemeinde entscheidend dezimiert wurde.

Wiebke Deimann legt eine fundierte Studie vor, die sich durch einen klaren Aufbau auszeichnet: Sie behandelt einen Zeitraum von annähernd 300 Jahren, in dessen chronologischer Mitte fast genau das Jahr 1248 liegt. Das Ereignis der christlichen Eroberung teilt die Untersuchung in zwei annähernd gleich umfangreiche Hauptabschnitte; diese Untergliederung erlaubt es, die Politik islamischer und christlicher Herrscher gegenüber religiösen Minderheiten jeweils für sich zu untersuchen und dann abschließend systematisch zu vergleichen.

Deimann setzt sich nicht nur mit vielen Facetten religiöser Pluralität auseinander, sondern auch mit dem schwierigen und vielschichtigen Problem der Mehrsprachigkeit; des Weiteren mit gruppendynamischen Prozessen (S. 129ff.: die Mozaraber Sevillas unter almohadischer Herrschaft) und mit Wahrnehmungsdifferenzen zwischen unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen. Gegenüber Américo Castro bezieht sie differenziert Position (S. 106). Während zahlreiche Unterschiede zwischen der christlichen und der islamischen Minderheitenpolitik deutlich werden, so gibt es doch auch Parallelen, etwa wenn die Gesetzgebung der Siete Partidas im Hinblick auf die rechtliche Integration der Minderheiten mit dem islamischen ḏimma-Konzept partiell vergleichbar ist (S. 298f.). Erhellend sind auch gegenläufige Tendenzen, etwa wenn unter den Almohaden einerseits die Bedeutung religiöser Unterscheidungen zunimmt, andererseits in den Quellen aber gerade ethnische anstelle von religiösen Unterschieden ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden (S. 170). Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Tatsache, dass der Islam noch in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts „eine spürbare Anziehungskraft auf kastilische Christen“ besaß (S. 298), das heißt in einer Zeit, als die politische Bedeutung des Islams auf der Halbinsel bereits spürbar abgenommen hatte.

Die Untersuchung von Wiebke Deimann besticht durch klare Argumentation, sorgfältige Analyse und differenzierte Schlussfolgerungen. Ihre Ergebnisse sind nicht nur für die Erforschung transkultureller Verflechtungen bedeutsam, sondern auch für die historische Komparatistik. Ihre Studie stellt eindrucksvoll unter Beweis, wie sehr die Geschichtswissenschaft davon profitiert, wenn neben lateinischen auch arabische Quellen herangezogen und von einer aktuellen Fragestellung aus interpretiert werden.