K. Kaps u.a. (Hrsg.): Post-Colonial Perspectives On Habsburg Galicia

Titel
Post-Colonial Perspectives On Habsburg Galicia.


Herausgeber
Kaps, Clemens; Surman, Jan
Reihe
Historyka. Studia metodologiczne, T. XLII, 2012
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
Online frei verfügbar
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lisa Kienzl, Graz

Die Region Galizien steht in diesem Sammelband der Historyka, herausgegeben von Klemens Kaps und Jan Surman, im Mittelpunkt. In insgesamt dreizehn Artikel beschäftigen sich die Autoren mit den Methoden und Theorien der Postcolonial Studies und analysieren das habsburgische Galizien aus kultureller, politischer, ökonomischer, sozialer bis hin zu literarischer Perspektive. Dabei stehen die Diversität, kulturelle Pluralität und Multireligiosität der Region im Vordergrund.

Einleitend behandeln die beiden Herausgeber die Frage nach der generellen Anwendbarkeit der Postcolonial Studies auf Osteuropa und im Weiteren auf die Region Galizien. Wie von den Autoren angemerkt, ist dieser methodische Zugang durchaus kritisch zu betrachten bzw. wäre unter anderem auch das Konzept des Binnenkolonialismus anwendbar. Wesentlich in der Methoden- und Theoriendiskussion, die in fast allen Beiträgen des Sammelbandes aufgegriffen und weiter thematisiert wird, ist die Tatsache, dass Kultur in ihrer gesamten Ambivalenz und Komplexität gesehen werden muss. Neben der fundierten Aufarbeitung unterschiedlicher theoretischer Zugänge wird vor allem nach den Perspektiven in Saids Konzept des Orientalismus1 sowie den Möglichkeiten der Subaltern Studies2 in Bezug auf postkoloniale und –imperiale Gesellschaftsstrukturen gefragt. Dabei steht auch die Polarität zwischen Monarchie und Nationalität im Fokus.

Franz Leander Fillafer greift in seinem Beitrag die diskursive Beziehung zwischen der imperialen Idee und der „Zivilisierungsmission“ auf. Zentrale sozio-politische Entwicklungen des 19. Jahrhunderts spiegeln sich auch in den Begriffen Kultur und Natur wider, die wesentliche Elemente in der Herausbildung des Kulturstaates darstellen. Dabei wird neben der imperialen Idee sowie der Bedeutung der Rechtskultur auch die konfessionelle Dimension (Katholizismus) betont. Religion, insbesondere das Judentum, spielt auch in der Metapher des Vampirs als Blutsauger eine Rolle, wie Christoph Augustynowicz in seinem Beitrag festhält. Infolge einer Überhöhung des Eigenen und einer stereotypen Ablehnung des Anderen wird die Vampirfigur im theoretischen Konzept des Othering3 konstruiert. Hierbei muss meiner Meinung nach jedoch differenziert werden, da zwischen der Metapher und regionalen Glaubensvorstellungen sowie populären Mythen zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung wird im Text zwar getroffen, ist aber für den Leser nicht immer nachvollziehbar, da sowohl historische Diskurselemente thematisiert werden (S. 65) als auch in einem Exkurs auf die literarischen Aufarbeitungen Bram Stokers verwiesen wird (S. 72). Dies passt nicht ganz zum Rest des Textes, da diese Ausführungen sich auf das ausgehende 19. Jahrhundert und auf eine andere kulturelle Rezeptionsgeschichte beziehen.

Weitere literaturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Region Galizien finden sich in den Beiträgen Ewa Thompsons, Stefan Simoneks und Burkhard Wöllners. Thompson hält fest, dass Stefan Żeromskis Roman „Ashes“ zumeist als Narrativ in Bezug auf den Napoleonischen Krieg interpretiert wird. Während zu Beginn berechtigterweise die Problematiken einer innereuropäischen Kolonialisierungsthese behandelt werden, so verliert sich dieser kritische Ansatz jedoch im Laufe des Artikels. Literaturanalytisch mit Sicherheit korrekt erscheint die Argumentation aus kulturwissenschaftlicher Perspektive jedoch streckenweise undifferenziert (S. 79). Von der Machtübernahme der totalitären Diktatur der Sowjetunion wird hier im Sinne eines „enslavement by the Sovjets“ (S. 94) gesprochen. Diese Wahl der Begrifflichkeit zur Beschreibung der politischen Ereignisse erscheint unpassend und vermittelt ein tendenziöses Bild.

Einer weiteren literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Region widmet sich Stefan Simonek mit der Frage nach den Spielarten der galizischen Subalternität. Franko, Mickiewicz und Bahr dienen dabei als Grundlage für die Aufarbeitungen dieses Aspekts, der kulturelle Hierarchisierung, aber auch Marginalisierung, thematisiert. Die teilweise ambivalenten Beziehungen der Autoren zueinander und die Wahl der Sprache in Bezug auf Veröffentlichungen zeigt die politische und nationale Dimension auf. Im Gegensatz zu Thompsons Artikel stehen die Frage nach diskursiven Möglichkeiten sowie deren hegemoniale Dominanz im Vordergrund.

Sprache steht auch im Beitrag Wöllners im Zentrum, der sich der Rolle der Wissenschaft im kolonialen Diskurs Galiziens widmet. Die Konstruktion des Motivs der Rückständigkeit Galiziens liefert dabei den Ausgangspunkt der Argumentation. Polnische und ruthenische Historiker konstruierten das nationale Narrativ um das Aussterben der Dynastie und die polnische Machtübernahme im 14. Jahrhundert aus unterschiedlichen Perspektiven. Gemeinsam ist beiden Diskurssträngen, trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweise, die Bestätigung bestehender Herrschaftsverhältnisse.

Das Beziehungsgeflecht zwischen Kommunikation, Sprache und kultureller Hierarchisierung thematisiert auch Jan Surman in seinem Artikel „Symbolism, Communication and Cultural Hierarchy“. Kulturelle Differenzierung auf Basis von Sprache wird dabei anhand der Texte mehrerer zeitgenössischer Autoren analysiert. Die detaillierten Ausführungen zur Frage der Unterrichtssprache in Galizien zeigen Sprache und Kultur im Kontext sowie Konflikt von Nationsbildung und Zivilisationsmission des 19. Jahrhunderts.

Aus historisch-ökonomischer Sicht analysiert Klemens Kaps kulturelle Differenzen und sozio-ökonomische Ungleichheiten zwischen West- und Osteuropa, die die Zuschreibung von Rückständigkeit oder Unterentwicklung unterstützen. Die Idee einer Zivilisierungsmission der Habsburger im Osten Europas baut auf dieser Wahrnehmung von kultureller Differenz in einer diskursiven Auseinandersetzung auf und legitimiert dadurch eine hegemoniale Gesellschaftsordnung. Insbesondere Kaps Ausführungen in Bezug auf die sozialen Entwicklungen und sozio-ökonomischen Interessen sind überaus lesenswert.

Der kritischen Auseinandersetzung mit den methodischen Grundlagen widmen sich die Beiträge von Danuta Sosnowska und Andriy Zayarniuks. Sosnowska setzt sich mit den Vor- und Nachteilen des postkolonialen Diskurses in Bezug auf Polen und Galizien auseinander. Eine einseitige Betrachtung des postkolonialen Diskurses birgt die Gefahr von Generalisierungen, während die Ambiguität der Position Polens, als kolonisierte und kolonisierende Region, Mehrdimensionalität in der Perspektive fordert. Die Kritik des Eurozentrismus innerhalb der Forschung, wobei auch die Grenzen der Anwendbarkeit des postkolonialen Verständnisses auf Galizien ausgelotet werden, wird im Beitrag Zayarniuks behandelt. Die Unterscheidung von Kolonien im traditionellen Sinne und Regionen in peripherer Abhängigkeit wird hier besonders hervorgehoben. Dabei zeigt sich die historische Entwicklung der Region Galiziens im Spiegel der politischen Ereignisse. In diesem Kontext steht auch die Frage, inwieweit die Nationalbewegung sich an westeuropäischen Modellen von Nationsbildung orientierte.

Angelique Leszczawski-Schwerk und Dietlind Hüchtker greifen in ihren Beiträgen die Thematik der Frauenpolitik in der Region Galizien auf. Leszczawski-Schwerk sieht dabei die jüdische Bevölkerung Galiziens zwischen wachsendem Antisemitismus und Zionismus gefangen. Nationale Stereotypisierungen finden sich als ethno-sozialer Diskurs, der verstärkt auch in der Frauenbewegung aufgegriffen wird. Die Differenzierung aufgrund religiöser und nationaler Identität rückt dabei immer mehr in den Vordergrund. Patriarchale Projektionen auf Frauen im Allgemeinen und Jüdinnen im Speziellen zeigen deren Unterlegenheit im doppelten Sinne. Hüchtker wiederum greift die konstruierten Begrifflichkeiten von Rückständigkeit und Fortschritt als rhetorische Stilmittel und Strategien in der Frauenbewegung auf. Die beiden Kategorien werden dabei anhand von Texten der beiden Frauenrechtlerinnen Natalja Kobryns’ka und Rosa Pomeranz aufgearbeitet. Neben der nationalen Ausrichtung spielte besonders die emotionale Betonung des Kollektivs innerhalb der Sprechakte eine Rolle.

Abschließend – auch als Ausblick in die Gegenwart – analysieren Wiktoria Kudela-Swiatek und Adam Swiatek im Beitrag „The Trap of Colonialism…“ historische und auch postkommunistische Entwicklungen der Region. Dies ist zu Beginn für den Leser irritierend, da sich die vorhergehenden Beiträge des Sammelbandes ausschließlich mit historischen Betrachtungen beschäftigten. Dennoch wird schnell deutlich, dass sich die historischen Differenzen der verschiedenen Gruppierungen innerhalb Galiziens auch in der Herausbildung unterschiedlicher kollektiver nationaler Identitäten der Gegenwart widerspiegeln. Insbesondere mit diesen Feststellungen stellt dieser Artikel einen würdigen Abschluss des Sammelbandes dar, der den wissenschaftlichen Forschungstand zur Bedeutung der Postcolonial Studies aus kulturwissenschaftlicher Sicht bereichert und dabei die Region Galizien in ihrer Komplexität begreift.

Anmerkungen:
1 Edward W. Said, Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 2003.
2 Vinayak Chaturvedi (Hrsg.), Mapping Subaltern Studies and the Postcolonial. London 2000.
3 Bill Ashcroft / Gareth Griffiths / Helen Tiffin, The Empire Writes Back. Theory and Practice in Post-colonial literatures, London 2002.

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