C. Gerstenmayer: Räuberbanden in Sachsen

Titel
Spitzbuben und Erzbösewichter. Räuberbanden in Sachsen zwischen Strafverfolgung und medialer Repräsentation


Autor(en)
Gerstenmayer, Christina
Reihe
Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven 27
Erschienen
Konstanz 2013: UVK Verlag
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marina Heller, Bayerische und Fränkische Landesgeschichte, Universität Erlangen-Nürnberg

Christina Gerstenmayer widmet sich in ihrer 2011 an der Universität Trier entstandenen Dissertation dem Thema „Räuberbanden“ am Beispiel des Kurfürstentums Sachsen. Zur Begründung für den gewählten landeshistorischen Zugriff verweist die Autorin in ihrer Einleitung auf den Kontext des ‚spatial turns‘. Ihr Thema erschließt Gerstenmayer nicht nur durch eine Bearbeitung der Gerichts- und Prozessakten, sie untersucht auch die Aufbereitung und publizistische Verbreitung des Phänomens durch verschiedene Medien, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richteten. Mit diesem Zugriff soll „der normative, praktische und mediale Umgang mit dem Phänomen Räuberbanden“ (S. 10) ins Zentrum der Arbeit gerückt werden. Die Wahl des zeitlichen Fokus im 18. Jahrhundert wird mit der erhöhten obrigkeitlichen Aufmerksamkeit in dieser Zeit begründet, welche sich unter anderem in einer großen Anzahl von Mandaten und Gesetzen zeigte. Die Autorin zielt hiermit auf die Frage, ob und wie die Strafverfahren, Argumentationsstränge und Repräsentationen Räuberbilder konstruierten.

Das zweite Kapitel „Vom Augusteischen Zeitalter zum Rétablissement: Sachsen im 18. Jahrhundert“ (S. 29–48) unterteilt sich in „Tendenzen der Territorialpolitik“, „Sozioökonomischer Hintergrund“, „Strukturen der Medienlandschaft“ sowie „Strafjustiz und Verfahrensweg“. Mit diesem Kapitel soll der landesgeschichtliche und rechtliche Hintergrund geklärt werden.

Das dritte Kapitel „Der Zugriff der ‚guten Policey‘“ (S. 49–108) untersucht zunächst die „Entwicklung der Gesetzgebung“ und die „Herausforderungen bei der Umsetzung“. Es folgen die „Gaunerlisten als Fahndungsinstrument“, welche während Ermittlungen und Verhören von Verdächtigen entstanden und als Hilfsmittel für Beamte dienen sollten. Für das Kurfürstentum Sachsen finden sich 30 Personen-Auflistungen, zehn davon zählt die Autorin als Gaunerlisten im engen Sinn. Die Vulgonamen der Genannten reiht sie nicht in den Kontext einer Sub- oder Gegenkultur ein, sondern interpretiert sie als Merkmal einer Kultur der „kleinen Leute“, was plausibel erscheint. Davon grenzt sie Pseudonyme und Decknamen ab. Es folgt eine Untersuchung der Kategorien Geschlecht, Familienstand, Alter, Herkunft, Tätigkeit und Erscheinungsbild. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass es sich um Personen handelte, welche sich durch eine nicht-sesshafte Lebensweise auszeichneten oder Kontakte zu Vaganten unterhielten, also nicht um Banden im engeren Sinn, auch wenn in den Listen durchaus Räuber und Diebe genannt werden. Im Unterkapitel „Wege in den Strafprozess“ erläutert Gerstenmayer, dass Maßnahmen wie Visitationen zwar zu Strafprozessen führen konnten, solche Prozesse jedoch weit häufiger durch die Verhaftung von Tätern entstanden, die während oder kurz nach einer Tat aufgegriffen wurden. Aus diesem Grund stehen möglicherweise weitere sicherheitspolizeiliche Maßnahmen wie die typischen Streifen nicht im Blickfeld der Arbeit.1 Des Weiteren werden hier die Untersuchungshaft, die Haft an sich und die Flucht aus dem Gefängnis besprochen. Der zuletzt genannte Aspekt wäre allerdings ein eigenes Unterkapitel wert gewesen.

Im Kapitel von „Taten und Tätern“ (S. 109–180) geht es um die in den Prozessen behandelten Straftaten und Delinquenten. Da der Begriff „Bande“ schwer zu fassen ist, verwendet die Autorin das Modell der „sozialen Kleingruppe“ und weist auf die hohe Bedeutung von Familien für die Bandenbildung hin. Der zeitgenössische Begriff der „Rotte“ richtete sich in den Quellen erst auf Gruppen ab acht bis zehn Personen. Unter den Räubern bestand ein interner Verhaltenskodex, der darauf gerichtet war, sich wechselseitig nicht zu verraten und die Beute gerecht zu verteilen. Die Räuber benutzten eine Spitzbubensprache, welche überregional bekannt war. Die tragenden Rollen wurden von den Obrigkeiten bei den Männern gesehen, Frauen und Kinder wurden nur als Zeugen herangezogen. Auffallend ist, dass Nichtsesshaftigkeit keine Voraussetzung für eine kriminelle Karriere war. Zigeuner spielten in den Prozessen kaum eine Rolle; Juden standen neben Christen regelmäßig wegen Raub und Hehlerei vor Gericht und gerieten oft in Verdacht der Hehlerei. Ein Großteil der Täter stammte aus dem Kurfürstentum Sachsen oder aus benachbarten Territorien. Das Verbrechensspektrum reichte von Kleindiebstahl über Einbrüche bis zum Straßenüberfall. Raubmorde wurden nur gelegentlich verübt. „Wirtshäuser als Stützpunkte und Schnittstellen“ werden in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Wirte wurden oft als Hehler und Komplizen verdächtigt, zudem waren Wirtshäuser Orte, in denen Betrug und Diebstahl an Gästen verübt wurde und sich Diebsgesindel treffen konnte. Es fällt auf, dass Mühlen, Hirtenhäuser und andere einsam gelegene Gebäude in Sachsen in diesem Kontext augenscheinlich keine große Bedeutung hatten, wie es für andere Territorien typisch war.2

Im Kapitel um „Akteure und Argumentationen im Strafprozess“ (S. 181–260) geht es zunächst um die „Prozessteilnehmer“. Neben den Angeklagten, Beamten, Schreibern und Gerichtsdienern waren dies Zeugen, Experten, Verteidiger und Spruchgremien, welche miteinander kommunizierten, agierten und reagierten. Weiter geht es um „Folter und Konfrontation“, „Urteile und Strafen“ sowie um die „Gnadenverfahren“. Neben der General- und der Spezialinquisition wurden die Angeklagten mit ihren eigenen Aussagen sowie mit anderen Räuberbandenmitgliedern konfrontiert. Die peinliche Befragung sollte den Tätern Wahrheiten entlocken. Strategien der Angeklagten waren Leugnen, Schweigen, Unwissenheit vortäuschen und andere beschuldigen. Typische Strafen gegen Vaganten waren Zuchthaus und Staupenschlag mit Landesverweis, während Räubern Festungsbau, Galeerendienst oder Todesstrafe drohte, wobei noch 1710 sogar das Rädern eingeführt wurde. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1775; der Landesverweis wurde 1770 abgeschafft und durch Zuchthaus ersetzt. Neben den Suppliken gab es die Verteidigungsschriften, welche von Advokaten verfasst wurden, um Folter abzuwenden oder Strafen abzumildern. Die darin enthaltenen Argumentationsmuster teilt die Autorin in „Juristische Argumente“, „Ökonomie und Armut“, „Soziales Milieu“ und „Persönliche Situation“ ein. Einige Inquisiten bestätigten das Bild vom Spitzbuben, indem sie von der Verführung oder dem Zwang durch das Milieu sprachen.

Im Kapitel über die „Räuberbilder“(S. 261–328) beschäftigt sich die Autorin zunächst mit den öffentlichen „Printmedien: Formate und Kontexte“. Dazu gehörten Einblattdrucke, Flugschriften, aktenmäßige Berichte, Zeitschriftenartikel, Totengespräche, Texte der Wissensvermittlung sowie bildliche Darstellungen. Nicht aufgenommen wurde der Räuberroman. Während kurze Drucke Einzelfälle beschrieben und der Abschreckung sowie der Darstellung von Gerechtigkeit dienten, handelte es sich bei den „Aktenmäßigen Berichten“ um Bücher, welche aus der Perspektive eines Prozessbeobachters auf Basis der Gerichtsakten geschrieben wurden und eine Täter- wie auch Prozessbeschreibung beinhalteten. Sie dienten auch dem Austausch unter Beamten, enthielten Kürzungen und Übertreibungen und grenzten die Verteidigungsschriften aus. In Zeitungen und Intelligenzblättern erschienen Bekanntmachungen von Gesetzen und Fahndungslisten. Die Autorin meint jedoch, diese hätten in Sachsen eine untergeordnete Rolle gespielt und keinen eigenen Beitrag zum Räuberbild geleistet. Zudem erschienen anonym verfasste, fiktive Dialoge berühmter Räuber in Form von ironisch gespiegelten Totengesprächen, welche biographische Schilderungen mit Gesellschaftskritik kombinierten. Räuberbilder wurden auch über enzyklopädische Texte und Predigten weitergegeben. Moralische Zeitschriftenartikel nutzten Parabeln und biographische Erzählungen, in denen englische Räuber oft als edle Kriminelle dargestellt wurden. Diese Printmedien waren oft bebildert mit Räubern und Hinrichtungsszenen als Hauptmotiven. Portraits sollten Mitleid vermeiden und betonen, dass sich die Delinquenten selbst für ein kriminelles Leben entschieden hatten. Vorher-Nachher-Bilder zeigten die Wandlung zum armen Sünder und betonten die Rolle des Gerichtsherrn. Die Autorin stellt eine veränderte Präsentation der Räuberbilder mit der milderen Behandlung der Straftäter vor Gericht fest. Als Stereotypen erkennt sie den „Bösewicht“, den „Spitzbuben“, den „Reumütigen“, den „Familienmenschen“ – wobei es hier nicht nur um Zuschreibungen geht, sondern auch um Selbstpräsentationen – und schließlich den „Helden“. Allerdings erklärt sie, dass zur Untersuchungszeit eine Räuberbegeisterung und damit der Mythos vom Räuberhelden nicht greifbar und nur ansatzweise als romantisierende Vorstellung in literarischen Darstellungen zu erkennen war. Warum sie den Räuberhelden trotzdem als Stereotyp in ihrer Arbeit behandelt und dann auch noch in ihrer Zusammenfassung als Ergebnis erwähnt, bleibt daher unklar.

Es folgen die Zusammenfassung (S. 329–337) und die Anhänge. Für einen runden Abschluss dieser Studie wäre ein Vergleich der gewonnenen Ergebnisse mit den bisherigen Forschungen über Räuberbanden wünschenswert gewesen. Hieraus wäre dann zu sehen, was nun wirklich als rein sächsisches Phänomen oder Besonderheit zu betrachten ist, und was als territorienübergreifende Gemeinsamkeit gelten kann. Unbeschadet des expliziten landesgeschichtlichen Ansatzes kommt der Vergleich in dieser Arbeit oft leider etwas zu kurz.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu Gerhard Fritz, Räuberbanden und Polizeistreifen: Der Kampf zwischen Kriminalisierung und Staatsgewalt im Südwesten des Alten Reiches zwischen 1648 und 1806, Remshalden 2003.
2 Siehe dazu Ernst Schubert, Arme Leute. Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts, Neustadt an der Aisch 1983, S. 267–271.

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