V. Brinkmann (Hrsg.): Zurück zur Klassik

Titel
Zurück zur Klassik. Ein neuer Blick auf das Alte Griechenland


Herausgeber
Brinkmann, Vinzenz
Erschienen
München 2013: Hirmer Verlag
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Sarge, Institut für Archäologische Wissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt am Main

„Jede Zeit hat ihr eigenes Bild der griechischen Klassik.“ Mit diesen Worten führt Vinzenz Brinkmann in seinen Beitrag „Zurück zur Klassik“ in den gleichnamigen Ausstellungkatalog ein (S. 15). In diesem ersten großen Katalogabschnitt wird „Die andere Klassik“ im Spiegel der nachantiken Epochen reflektiert. Dazu wird beispielhaft anhand von einzelnen ausgewählten Objekten „ein Schlaglicht auf das Klassikideal ihrer Zeit“ (S. 19) geworfen. Ausgehend von zum Beispiel Richard Scheibes Statue eines Zehnkämpfers, der die neoklassizistische Ästhetik des deutschen Nationalsozialismus verkörpert, wird der Leser anhand der „Konzentration auf die Phänomene kultureller Prägung“ (S.18) über die italienische Renaissance und die römischen Klassizismen rückwärts in der Zeit geführt. Damit wird dem von Brinkmann zu Kapitelbeginn geäußerten Wunsch entsprochen, dass sich der Besucher beziehungsweise Leser die „wahre“ griechische Klassik erarbeitet. Der Autor erinnert daran wie das Bild der Klassik in der Öffentlichkeit noch bis in jüngster Vergangenheit vom „Marmorweiß“ geprägt war und setzt sich dafür ein, dass dem Leser der Blick für die Vielfarbigkeit und Lebendigkeit der Objekte geschärft wird.

Die Prägung der Klassik auf die europäische Kultur greift Salvatore Settis in seinem Beitrag „Schicksale der Klassik“ auf (S. 59–83). Er berichtet darin unter anderem von den Gipsabgüssen, die insbesondere in der Vergangenheit einen hohen Stellenwert hatten und mit ihrer glatten, weißen Oberfläche als authentisches Spiegelbild der klassischen Skulpturen galten und, dass das Unvermögen griechischer von römischer Kunst zu unterscheiden im 18. Jahrhundert mit den zahlreichen Neufunden von antiken Statuen zu großen Debatten in diesem Bereich führte. Wenig später schärften sich die Diskussionen auch hinsichtlich der Farbgestaltung auf den antiken Statuen und Denkmälern zu. Die Erkenntnis der polychromen Gestaltung der Oberfläche entfachte teilweise schieres Entsetzen, so dass vielerorts derartige Farbreste verschwiegen oder gar beseitigt wurden (S. 67–71). Eindrücklich macht der Autor darauf aufmerksam, wie die Erwartungshaltung und der Zeitgeist in die Interpretation von Kunstwerken einfließt (S. 72).
Für das Verständnis und die Interpretation der griechischen Klassik ist eine historische Betrachtung und Einordnung unerlässlich. Im vorliegenden Buch übernimmt es der Althistoriker Hans-Joachim Gehrke, den Lesern die historischen politischen Gegebenheiten mit ihren Machtkämpfen und kriegerischen Auseinandersetzungen, aber auch ihren Festen näher zu bringen (S. 85–107 und S. 145–151).

„Die Invasion der Perser und Karthager und der Beginn des Klassischen Stils“ von Andrew Stewert bildet den Einstieg in den zweiten großen Themenkomplex des Buches (S. 133–143). Im zweiten sowie im dritten Bereich, zum Thema der klassischen Skulpturen, finden sich Beiträge zu kunsthistorischen Aspekten.

Nach dem Kapitel über die Skulpturen wird im vierten Komplex in zwei Aufsätzen (von Ulrike Koch-Brinkmann und Chrysoula Saatsoglou-Paliadeli) die klassische Malerei thematisiert (S. 232–257).

Eine Besonderheit der Ausstellung sowie des Begleitbandes ist sicherlich die Ansammlung an weltberühmten Bronzeexponaten, denen im Buch nicht nur mehrere Beiträge zu kunstgeschichtlichen Attributen, sondern darüber hinaus im fünften großen Bereich ein eigener Themenkomplex zu ihren technischen Merkmalen gewidmet ist.

Von herausragender Qualität, aber in seiner chronologischen Einordnung stark diskutiert ist das zu weiten Teilen erhaltene Pferd eines Reiterstandbildes aus dem Museo Nuovo Capitolino in Rom. In seinem Beitrag stellt Claudio Parisi Presicce dieses Exponat sehr detailliert vor und geht auch auf die Herstellungstechnik und verschiedenen Reparaturphasen ein (S. 169–179). Der Autor spricht sich aufgrund stilistischer wie herstellungstechnischer Merkmale für eine Datierung zwischen 475–450 v. Chr. aus (S. 174) und wiederspricht damit vorherigen Ansätzen (S. 171).1 Viele seiner aufgeführten Argumente sind nachvollziehbar, andere jedoch weniger, da diese kein Alleinstellungsmerkmal der Zeit des strengen Stils sind. Kritisch zu sehen ist gleichfalls die Debatte hinsichtlich der Zuschreibung der Figur zu bestimmten antiken Künstlern, die er, wie aber auch andere Autoren bereits zuvor, vollzieht.

Die Reihe der technischen Betrachtungen wird mit einem Beitrag von Salvatore Mancuso eröffnet (S. 261–263). Er schildert darin kurz die Herstellung von Figuren mit Hilfe des Hohlgussverfahrens.2 Ausgestattet mit eindrucksvollen Detailfotos erklärt Paola Donati die technischen Aspekte der Gesichter der beiden weltberühmten griechischen Bronzestatuen von Riace (S. 269–273). Sie kann dabei nicht nur aufgrund der „Unterschiede in der Ausführung der Details, vor allem bei den Augen“ (S. 273) die Entwicklung von Arbeitstechniken nachweisen, sondern geht auch davon aus, dass gleichzeitig verschiedene Spezialisten bei der Herstellung zusammenarbeiteten.

Gleich mit mehreren Beiträgen im Begleitband vertreten ist der Restaurator Edilberto Formigli, einer der führenden Experten zu antiken Bronzestatuen. Eindrücklich vermittelt er in seinen Beiträgen nicht nur anhand der Statue A von Riace die Grundlagen zur Herstellungstechnik von Statuen (S. 265–267), sondern führt vor allem in die Welt der Farbigkeit und Oberflächengestaltung der Bronzefiguren ein.

Eindrucksvoll zeigt er beispielsweise wie unterschiedlich Bronzestatuen schon allein einmal ohne und einmal mit eingesetzten Augen auf uns wirken und welche Lebendigkeit die Figuren erhalten mit Hilfe von Tauschierungen oder dem Einsatz von verschiedenen Legierungen, wie etwa beim berühmten Faustkämpfer vom Quirinal, bei dem so Blutergüsse und Verletzungen dargestellt wurden.

Mit seinen Ausführungen zu „natürlichen“ und künstlichen Patinae, die Rolle der Kaltarbeit und dem Beitrag zu den Lichtreflexen – zusammen mit Carlo Coluzza – endet der Themenkomplex zur Herstellungstechnik S. 275–307).

Mit seinen fünf großen Themenkomplexen greift das Buch das Ausstellungskonzept auf und wird im sechsten Teil mit einem Katalog der ausgestellten Objekte abgerundet. Dieser Begleitband zur Ausstellung bietet auf 380 sehr gut bebilderten Seiten anhand von 80 Beispielen aus den Bereichen Bronzestatuen, Gefäßen, Malerei und Terrakotten eine interessante Auswahl zur Kunstgeschichte der griechischen Klassik und ihrer Rezeptionsgeschichte.

Anmerkungen:
1 Zur Chronologie von Pferdeplastiken im Allgemeinen und darunter dem Pferd aus dem Museo Nuovo Capitolino äußert sich unter anderem J. Bergemann, der die Statue späthellenistisch, um 100 v. Chr. datiert: Johannes Bergemann, Römische Reiterstatuen. Ehrendenkmäler im öffentlichen Raum. Beiträge zur Erschließung hellenistischer und kaiserzeitlicher Skulptur und Architektur, Bd. II, Mainz 1990, besonders S. 10–13 und 103–105.
2 Zu Untersuchungen hinsichtlich Herstellungstechnik von antiken Bronzen wie Wachsausschmelzverfahren und Gusstechnik: Peter C. Bol, Antike Bronzetechnik Kunst und Handwerk antiker Erzbildner, München 1985.; Hermann Born, Archäologische Bronzen. Antike Kunst. Moderne Technik, Berlin 1985;
Götz Lahusen / Edilberto Formigli: Römische Bildnisse aus Bronze. Kunst und Technik, München 2001;
Hans-Joachim Schalles / Uwe Peltz (Hrsg.): Der Xantener Knabe. Technologie, Ikonographie, Funktion und Datierung, Xantener Berichte, Band 22, Mainz 2011.

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