D. Alt: „Der Farbfilm marschiert!“

Cover
Titel
„Der Farbfilm marschiert!“. Frühe Farbfilmverfahren und NS-Propaganda 1933–1945


Autor(en)
Alt, Dirk
Erschienen
Anzahl Seiten
635 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gert Koshofer, Bergisch Gladbach

Der interessierte Leser des hier zu besprechenden Buches mag über die Verbreitung des Farbfilms vor allem schon im „Dritten Reich“ staunen, zumal von vielen die Einführung der Farbe im Film – in Unkenntnis – erst der Nachkriegszeit zugesprochen wird. Die Farbe in Filmen der NS-Zeit wurde in jüngerer Zeit auch durch TV-Sendungen und DVDs einer breiten Öffentlichkeit näher zugänglich gemacht.1 Dirk Alt vertieft in seiner Studie, der überarbeiteten Buchfassung seiner 2011 an der Universität Hannover eingereichten Dissertation, die früheren Darstellungen deutscher und ausländischer Autoren, darunter auch des Rezensenten2, was die deutsche Farbfilm-Geschichte betrifft. Die eigentliche Fragestellung des Buches betrifft propagandistische Inhalte und Einsätze der farbigen Kinofilme in der NS-Zeit – es geht jedoch darüber weit hinaus. Im Mittelpunkt stehen der deutsche technische Weg zum Farbfilm mit seinen Problemen und Fehlschlägen. Alt beschreibt die industriellen und wirtschaftlichen Grundlagen der deutschen Farbfilmproduktion. Diese litt infolge des Krieges an zu geringen Fabrikations- und Verarbeitungskapazitäten, mit Auswirkungen insbesondere auf die Herstellung von Filmkopien.

Das Buch setzt sich – seinem Titel gemäß – aber auch intensiv mit politischen Fragen auseinander. So beleuchtet es die Beziehungen zwischen der Agfa als Filmherstellerin, der UFA als Filmproduktion, dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels und anderen – auch militärischen – Institutionen. Dabei basieren Darstellung und Analyse des Autors auf der gründlichen Auswertung einschlägiger Akten des Bundesarchivs und zeitgenössischer Zeitschriften.

Mit seiner außerordentlich breiten Darstellung ist Alts Buch zugleich ein wichtiges Nachschlagewerk für Cineasten und Filmexperten. Für die Geschichtsschreibung des Farbfilms (nicht nur in Deutschland) stellt die ebenso umfangreiche wie detailllierte Untersuchung einen außerordentlich wertvollen Beitrag dar. Als Dissertation erfüllt das Buch höhere wissenschaftliche Ansprüche als populär-wissenschaftliche Darstellungen des Themas, es lässt aber auch die Begeisterung des Autors für alle Aspekte des Farbfilms deutlich erkennen. Schon mit seiner vorausgehenden Magisterarbeit hatte sich Dirk Alt gründlich in technische und politische Aspekte der deutschen Farbfilme eingearbeitet. Nicht nur Agfacolor (AC), sondern auch dessen Vorgänger Agfa Bipack/Ufacolor, Sirius Kleurenfilm, Gasparcolor, Siemens-Berthon/Opticolor, Pantachrom unter anderem sind ausführlich berücksichtigt und werden ausländischen Verfahren gegenübergestellt. AC wurde als dem angloamerikanischen Technicolor ebenbürtig bezeichnet und als nationale Erfindung gefeiert.

In den Jahren 1933 bis 1941, also bis zur Premiere des ersten AC-Spielfilms „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ lag die Pionierzeit des Farbfilms nicht nur in Deutschland. Hier erfolgte aber 1939 als eine der größten technischen Pionierleistungen im Kinofilm die Einführung des AC Negativ/Positiv-Verfahrens. Es ermöglichte relativ einfach aufzunehmende, zu kopierende und vorzuführende Dreifarbenfilme. Das Verfahren stellte einen großen Fortschritt dar, denn bei den Vorgängern hatte es sich zumeist um kompliziert zu handhabende, zum Teil nur zweifarbige Filme (Ufacolor, Sirius) gehandelt. Alt schildert eingehend auch die mit dem Linsenraster-Verfahren (Siemens-Berthon) verbundenen, in heutiger Wahrnehmung weitgehend unbekannten Probleme. Er stellt zu Recht fest, dass AC nicht ein Verdienst der nationalsozialistischen Filmförderung war, sondern auch unter anderen Umständen realisiert worden wäre: Die Zeit war einfach reif dafür.

Alt tritt der oft gepflegten Pauschalierung der in der NS-Zeit entstandenen Filme als „Propaganda“ entgegen. Als Muster- (und gleichzeitig einziges) Beispiel eines durch und durch propagandistischen farbigen Spielfilms kann dagegen der berühmt-berüchtigte Durchhaltefilm KOLBERG von Veit Harlan gelten. Bei den 13 im „Dritten Reich“ gedrehten farbigen Spielfilmen ist das Unterhaltungsmoment dominant, jedoch: Im Sinne von Ablenkung war jene Unterhaltungsfunktion kriegswichtig. Bei den früher so genannten Kulturfilmen – also Kurzfilmen zumeist über Natur und Landschaften – wurde ein Bildungsauftrag verfolgt. Die jenem Genre zuzuordnenden Spielfilme sind bekannter als die nichtfiktionalen Filme, mit denen sich Alt dankenswerterweise besonders eingehend befasst – damit stillt er einen filmgeschichtlichen Nachholbedarf. So werden auch farbige Schmalfilme, Zeichenfilme und Werbefilme in dem Buch ausführlich berücksichtigt.

Alt beleuchtet neben dem zivilen auch den militärischen Einsatz von AC. Bisher waren die militärischen Farbfilme der Filmberichter und Wochenschauaufnahmen kaum bekannt, abgesehen von wiederholten Einspielungen von Farbfilm-Ausschnitten in dokumentarisch-historischen TV-Sendungen. Alt vergleicht die deutschen militärischen Farbfilme mit den amerikanischen. Eine Produktion wie die PANORAMA Monatsschauen wurde in den USA nicht durchgeführt. Sie wurden ab Ende 1944 für den propagandistischen Auslandseinsatz aus Farbaufnahmen von freien und Wochenschau-Kameramännern kompiliert.

Zum außerordentlichen Wert des Buches gehören auch die ausführlichen Titellisten. So listet Alt allein auf 51 Seiten die farbigen deutschen Kurzfilme, insbesondere Werbefilme, welche Prädikate erhielten, auf. Hinzu kommen 17 Seiten mit ausländischen Filmen, darunter auch im Deutschen Reich aufgeführte Spielfilme. Ebenso wertet er die AC-Kulturfilme aus und geht auf die Erfolge der deutschen Farbspielfilme im neutralen und besetzten Ausland ein. Einen akribischen Anmerkungsapparat und ein umfassendes Literaturverzeichnis runden 110 überwiegend farbige Abbildungen ab, darunter viele bisher unveröffentlichte Standbilder, auch aus verschollenen Kurzfilmen.

Anmerkungen:
1 Zudem erschienen in den letzten Jahren zwei einschlägige Publikationen zum Thema: Friedemann Beyer / Gert Koshofer / Michael Krüger, UFA in Farbe – Technik, Politik und Starkult zwischen 1936 und 1945, München 2010; sowie Ehrhard Finger, In Farbe. Die Agfa-Orwo-Farbfotografie, Berlin, Hildesheim, Luzern 2014.
2 Gert Koshofer, COLOR – Die Farben des Films, Berlin 1988.

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