J. von Puttkamer u.a. (Hrsg.): Die Securitate in Siebenbürgen

Titel
Die Securitate in Siebenbürgen.


Herausgeber
von Puttkamer, Joachim; Sienerth, Stefan; Wien, Ulrich A.
Reihe
Siebenbürgisches Archiv Folge 3, Band 43
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cristian Cercel, Centre for Contemporary German Culture, Swansea University

Der in Folge einer in Jena organisierten Tagung entstandene Sammelband hätte ohne Frage einer konzeptionellen Erläuterung bedurft, da ein regionaler Ansatz in der Forschung zur Securitate nicht unbedingt üblich ist. So bedeutet die Beschäftigung mit der Securitate im Kontext Siebenbürgens doch im Umkehrschluss, dass die Machenschaften der rumänischen Geheimpolizei auch in anderen Teilen Rumäniens zu untersuchen wären. Buchtitel wie „Die Securitate in der Walachei“ oder „Die Securitate in der Dobrudscha“ sind aber schwer vorstellbar. Somit hätten die Herausgeber gut daran getan, in ihrer Einleitung den regionalen Fokus ihres Sammelbandes im weiteren Kontext der rumänischen Nachkriegsgeschichte konzeptionell zu rechtfertigen und näher zu erläutern. Zudem wird der Fokus auf Siebenbürgen nicht konsequent eingehalten: von den siebzehn Beiträgen haben mindestens sieben entweder einen breiteren oder einen ganz anderen geographischen Schwerpunkt. Darunter fällt insbesondere ein Beitrag zur Stasi. Der regionale Ansatz scheint also einerseits gekünstelt, andererseits nicht rigoros angewandt worden zu sein.

Der erste Teil des Bandes trägt den Titel „Die Securitate in der Gesellschaft Rumäniens“ und beinhaltet fünf Beiträge. Dragoș Petrescu hinterfragt das sogenannte Konzept des „Widerstands durch Kultur“. Er argumentiert, dass die Konstruktion des „Widerstands durch Kultur“ als anti-kommunistische Dissidenz eine Post-factum-Legitimisierungsstrategie sei. Des Weiteren kommentiert Petrescu die Debatten über die Eröffnung der Securitate-Archive und deutet an, dass die junge rumänische Literaturkritik sich gegen die Anwendung einer vereinfachten Werteskala in der Beurteilung der jüngsten rumänischen Literatur ausspricht.

Der Text Gerd Strickers behandelt das heikle Thema der Beziehung zwischen der Securitate und der rumänischen Orthodoxie. Jenseits einiger faktischer Fehler – zum Beipiel stellten Rumänen 1948 85 Prozent der Gesamtbevölkerung Rumäniens, und nicht 90 Prozent (S. 43) und am 19. Dezember 1989 gab es noch keinen Rat der Nationalen Rettungsfront (S. 61) – und der unkritischen Benutzung von Begriffen wie „Märtyrer“, deutet Stricker auf den stark ausgeprägten Widerstand der Orthodoxen Kirche heutzutage hin, was die Eröffnung der Securitate-Akten von Geistlichen anbelangt.

In seinem Aufsatz analysiert Georg Herbstritt die Beziehungen zwischen der Stasi und der Securitate und zeigt, inwieweit Stasi-Unterlagen als Informationsquelle über Siebenbürgen und Rumänien genutzt werden können. Er stellt mehrere Themenkreise vor (Stasi-Akten zur Zusammenarbeit zwischen der ostdeutschen Staatssicherheit und der Securitate, Stasi-Analysen zur politischen sowie zur wirtschaftlichen Lage Rumäniens), zeigt aber auf, dass die Stasi-Dokumente in Bezug auf Siebenbürgen und Rumänien „nur einen kleinen Beitrag beisteuern“ (S. 94) können.

Martin Jung und Katharina Lenski behandeln den analytischen Umgang mit der Securitate bzw. mit der Stasi und liefern Argumente für ein Überschreiten des Freund-Feind-Schematas in der Auseinandersetzung mit Geheimdienstunterlagen. Ein solcher Ansatz ist fraglos notwendig und willkommen. Jung weist auch darauf hin, dass das in Rumänien verbreitete Narrativ des Fortwirkens der Securitate nach der Wende gewisse zeitgenössische Probleme verhüllt. Der Text Lenskis ist ein wertvolles Plädoyer für einen sorgfältigen Umgang mit Geheimdienstunterlagen als historische Quellen. Ihre wichtigste Schlussfolgerung ist vielleicht die folgende: „Will man verantwortlich mit der Geschichte umgehen, muss die Reflexion der Stasi-Akten vom Lebensfeld der Menschen ausgehen und nicht vom […] eingeschränkten Wahrnehmungswinkel der Staatssicherheit.“ (S. 133)

Im zweiten Teil des Bandes findet man sechs Kapitel über die Beziehung der Securitate mit ethnischen und religiösen Minderheiten. Der Beitrag von Silviu B. Moldovan ist äußerst subjektiv und von Plattitüden über Deutsche in Rumänien gefärbt. So legen Rumäniendeutschen laut Moldovan „einen höheren Grad von Patriotismus“ als viele Rumänen an den Tag (S. 145): das klingt eher nach Stammtischniveau als nach einem empirisch belegten Statement.

Hannelore Baier stellt aus der Vogelperspektive die Überwachung der deutschen Minderheit durch die Securitate vor. Sie geht auf zwei konkrete Fälle ein: der Fall „Horst Depner“ und dessen Verwendung durch den Schulungsdienst der Securitate sowie das Eindringen der Securitate in den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde.

In seinem Aufsatz versucht Virgiliu Țârău dann die Beziehung des rumänischen Staates mit der rumäniendeutschen Minderheit in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zu erklären und legt den Schwerpunkt auf die Konstruktion von Schuldzuschreibungen seitens des rumänischen Staates durch Gesetzgebungsmaßnahmen.

Stefano Bottoni analysiert das Verhältnis zwischen der Securitate und der ungarischen Bevölkerung in Siebenbürgen. Er blickt dabei auch hinter die Kulissen der Securitate. Der Aufsatz erklärt so den ideologischen Wandel innerhalb der Securitate vom Internationalismus zum Nationalkommunismus. Gleichzeitig stellt Bottoni den Fall des ungarischen Intellektuellen Mikó Imre vor. Bei manchen seiner Äußerungen besteht aber weiterer Klärungsbedarf wie zum Beispiel die Behauptung, dass ungarische Angestellte der Securitate auch privat rumänisch sprachen (S. 197).

In schlechtem Englisch (auch die anderen auf Englisch verfassten Texte hätten einer strengeren Lektoratsarbeit bedurft, während die Zusammenfassungen auf Englisch und Rumänisch oft katastrophal redigiert sind), schreibt Dezső Buzogány über die Securitate und die Reformierte Kirche. Die Vorstellung der Überwachung des niederländischen Doktoranden Franz Bos ist gut dokumentiert, aber bringt grundsätzlich nichts Neues an den Tag, was den Themenkomplex Überwachung durch die Securitate anbetrifft. Dabei ist der Aufenthalt niederländischer Doktoranden am Theologieinstitut in Klausenburg ein bisher nicht erforschtes Thema. Eine gründliche Auseinandersetzung damit würde somit sicherlich interessante Einblicke in die Ost-West-Beziehungen während des Kalten Krieges liefern.

Der Beitrag Corneliu Pintilescus vergleicht drei Gerichtsverfahren, die die Einstellung des rumänischen kommunistischen Regimes gegenüber Kulten bebildern sollen: es geht um ein Gerichtsverfahren gegen einen griechisch-katholischen Priester, einen Prozess gegen ein Mitglied der Zeugen Jehovas und um ein Verfahren gegen einen lutherischen Pfarrer. Die Absicht Pintilescus ist, die diskursive Umdeutung religiöser Praktiken in politische Schuld zu analysieren.

Der dritte Teil des Bandes ist dem Themenkomplex „Die Securitate und die Literatur“ gewidmet. Trotz seines Titels, behandelt der Text von Gundel Große und Wolfgang Dahmen eigentlich nur flüchtig die Auseinandersetzung der rumänischen Literatur mit der Securitate. Es ist unklar, warum zwei Romane (einer von Marin Preda und einer von Ion Manolescu), in vergleichender Perspektive dargestellt werden: so bleibt offen, inwiefern sie exemplarisch für diese Auseinandersetzung sind oder was aus einer solchen Analyse für weitere Schlussfolgerungen gezogen werden können.

Der Beitrag Liviu Burlacus über die Maßnahmenpläne der Securitate gegen rumäniendeutsche Schriftsteller ist informativ, aber zeigt eher, dass die konkreten Methoden der Verfolgung und Überwachung der Rumäniendeutschen keine großen Unterschiede im Vergleich zu anderen Überwachungsfällen darstellten.

Stefan Sienerth behandelt in seinem Aufsatz den Literaturkritiker Heinz Stănescu. Die ausschließliche Nutzung einer von der Securitate hergestellten Quelle (die IM-Unterlagen Stănescus) hat methodologische Defizite und liefert eigentlich über weite Strecken lediglich eine Zusammenfassung von Securitate-Unterlagen. Sienerth schreibt auch über die ideologische Stellung Stănescus innerhalb der rumäniendeutschen Literaturkritik. Dieser letztere Aspekt und seine Verbindung mit der Mitarbeit Stănescus bei der Securitate bedürften aber einer weiteren Analyse: so kann man diese Mitarbeit doch wohl auch als ein Teil eines Kampfes für Deutungshoheit im Rahmen der rumäniendeutschen Literaturkritik betrachten. Der Beitrag Sienerths macht aber so dennoch auf das Potenzial aufmerksam, die eine solche Analyse bieten könnte.

Cristina Petrescu setzt den Schwerpunkt auf den Fall Herta Müllers, ohne etwas wesentlich Neues beizubringen. Dass die Securitate die Aktionsgruppe Banat und Herta Müller verfolgte oder dass Herta Müller die Zusammenarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst verweigert hat – das ist weitläufig bekannt.

Michael Markel schreibt dann sowohl über seine persönlichen Probleme als auch die Probleme der Klausenburger Germanistik mit der Securitate. Jenseits der biographischen Tatsachen und der Kritik des kommunistischen Regimes, gibt es im Beitrag Markels, wie bei Sienerth, Anregungen über die ideologischen Aspekte der Verstrickungen von Intellektuellen mit der Securitate und den damit verbundenem Kampf für Deutungshoheit im Feld der Literaturkritik. Solche Aspekte werden jedoch nicht näher beleuchtet.

Der letzte Beitrag des Bandes, der einem eigenen Kapitel („Erinnerungssplitter“) untergeordnet ist, ist eher ein autobiographischer Text Anton Sterblings, der das eigene Leben während des Kommunismus und die Existenz der Aktionsgruppe Banat dem vagen Motiv der Freiheit subsumiert. Es lässt sich nicht eruieren, ob dieses Motiv tatsächlich im Zentrum der „Ideologie“ der Aktionsgruppe Banat stand, zumindest nicht auf der Basis eines hochsubjektiven Textes eines ehemaligen Bewegungsmitglieds. Außerdem bleibt zu bedenken, dass ein solcher autobiographischer Ansatz in eine analytische Sackgasse führen kann.

Es wäre wünschenswert, wenn die Forschung zum rumänischen Kommunismus sich methodologisch von der Allmächtigkeit der Securitate-Akten und eines darin eingeschriebenen (auto)biographischen Ansatzes abwenden würde.1 So mündet eine ausschließlich auf Securitate-Unterlagen beruhende Zeitgeschichtsschreibung, die jeder kritischen Reflektion über das Quellenmaterial entbehrt, doch unweigerlich über weite Strecken in eine Wiederholung der Securitate-Logik. Viele Beiträge in diesem Band scheinen der oben erwähnten Allmächtigkeit der Geheimdienstdokumente und eines (auto)biographischen Zugangs verbunden zu sein. Impulse aus anderen, breiteren Richtungen (zum Beispiel Theorien des Sozialwandels, der Kulturästhetik, oder der Ethnographie) sollten stärker kultiviert werden, auch in Anknüpfung an der jüngsten Forschung über Geheimdienste in Osteuropa vor 1989 und den Umgang mit ihren Unterlagen.2

Anmerkungen:
1 Für eine kritische Analyse der (Auto-)Biographie als vorherrschender Methode der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit in Rumänien, s. Florin Poenaru, „Tismăneanu Report“ as Autobiography. History Writing at the End of Soviet Modernity, in: Studia Sociologia 56 (2011), S. 19–38.
2 Z.B.: Andreas Glaeser, Political Epistemics. The Secret Police, the Opposition, and the End of East German Socialism, Chicago 2010; Cristina Vătulescu, Police Aesthetics. Literature, Film, and the Secret Police in Soviet Times, Stanford 2010; Katherine Verdery, Secrets and Truths. Ethnography in the Archive of Romania’s Secret Police, Budapest 2013.

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