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Titel
American Studies. Disziplingeschichte und Geschlecht


Autor(en)
Harders, Levke
Reihe
Transatlantische Historische Studien 48
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jutta Schwarzkopf, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

Mit diesem auf ihrer Dissertation beruhenden Buch legt Levke Harders eine bislang ausstehende Disziplingeschichte der American Studies vor, in der sie zugleich ihr Verständnis von Wissenschaftsgeschichte demonstriert. Zum einen folgt sie neueren Ansätzen, indem sie die Entstehung des Fachs in enger Rückbindung an den gesellschaftlich-politischen Kontext untersucht. Zum andern integriert sie die Strukturkategorie Geschlecht in ihre Darstellung, um deren Wirksamkeit im Wissenschaftsbereich zu verdeutlichen.

Das erste Kapitel behandelt die Herausbildung des Fachs zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dem Ende der 1960er-Jahre, die Harders in drei Phasen unterteilt. Sie verdeutlicht, wie sich das Fach, das die Erforschung der US-Kultur zum Gegenstand hat, in enger Verbindung mit dem wachsenden Nationalbewusstsein der USA etablieren konnte. Dieses bot ein die Fachgenese begünstigendes Umfeld, indem es die Nachfrage nach einschlägigen Erkenntnissen schuf und zugleich dem Fach zur Begründung seiner Notwendigkeit diente. Das im Zuge des Ersten Weltkriegs wachsende nationale Selbstbewusstsein der USA führte in bewusster Abgrenzung von der angelsächsischen Tradition zur Betonung der kulturellen Eigenständigkeit und zum Entwurf eines positiven Selbstbilds als Demokratie. Beides förderte das Interesse an US-amerikanischer Literatur und Geschichte und an dem für die Disziplin grundlegenden Erkenntnisinteresse. Die entscheidende Prägung des Fachs erfolgte in der Periode des New Deal, da American Studies ein hohes Maß an inhaltlicher, konzeptioneller und soziokultureller Affinität mit der nationalen Identitätspolitik jener Zeit aufwies. So waren die Vorstellung von der amerikanischen Einzigartigkeit (exceptionalism) und die Idealisierung des Durchschnittsbürgers (common man) zentrale Leitideen in Lehre und Forschung. Beides machte American Studies anschlussfähig an gesellschaftliche wie akademische Diskurse. Anders als die übrigen Geisteswissenschaften, die während des Krieges hinter berufsorientierte technik- und naturwissenschaftliche Studiengänge zurücktreten mussten, konnten die Fachvertreter und Fachvertreterinnen die Kriegssituation aufgrund des sich verstärkenden kulturellen Nationalismus zur Konsolidierung der American Studies nutzen. Sie legitimierten das Fach nicht länger durch defensive Abgrenzung gegenüber etablierten Fächern, sondern betonten offensiv seinen pädagogischen und gesellschaftlich-politischen Nutzen, durch das Studium der eigenen Werte, Traditionen und Institutionen die Bedeutung der Demokratie zu vermitteln. In der Systemkonkurrenz nach Kriegsende versuchten die USA als eine der beiden Weltmächte, mittels Kulturtransfer das eigene Gesellschafts- und Wertesystem attraktiv zu machen, und förderten American-Studies-Programme auf allen Kontinenten. Dies führte zu einer disziplinären Ausdifferenzierung, indem sich das Fach über seine Ursprünge in Literatur- und Geschichtswissenschaft hinaus öffnete. Aufgrund der gesellschaftlichen und finanziellen Unterstützung konnte es sich professionalisieren und zog eine wachsende Zahl von Studierenden an. An die Stelle sozio-politischer Legitimationsstrategien traten nun genuin wissenschaftliche Aspekte. 1951 wurde der Fachverband American Studies Association (ASA) gegründet, der sich dank der finanziellen Unterstützung von Stiftungen konsolidieren konnte. Während die Verbandszeitschrift American Quarterly als richtungsweisende Forschungspublikation des Fachs fungierte, diente die nahezu zeitgleich gegründete Zeitschrift American Heritage der populären Vermittlung des generierten Wissens. Bei aller Bedeutung, die dem Wissenstransfer in die Öffentlichkeit gemäß der beanspruchten Aufklärungsfunktion des Fachs zugemessen wurde, signalisiert die Existenz zweier Periodika den Ausschluss von als Laien begriffenen Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus dem Kernbereich des Fachs. Erst unter dem Einfluss der Protestbewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre öffnete sich die ASA zunehmend für bislang aufgrund von Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Ethnizität marginalisierte Gruppen sowie für deren Geschichte und Kultur als legitimem Forschungsgegenstand. Dieser Wandel erklärt das Ende des von Harders gewählten Zeitrahmens, obwohl sie dies nicht explizit macht.

Im zweiten Kapitel stellt Harders drei Studiengänge vor, die früh und unter federführender Beteiligung von Amerikanistinnen gegründet wurden und das breite Spektrum des Fachs in den 1940er- und 1950er-Jahren verdeutlichen. Zugleich wird die tragende Rolle von Akademikerinnen in der Fachentwicklung durch die Konzipierung einschlägiger, oft modellhafter Studiengänge und durch ihr Engagement in der Lehre deutlich.

Das dritte Kapitel betrachtet disziplinäre Diskurse, mit denen die Fachvertreter American Studies innerwissenschaftlich wie gesellschaftlich legitimierten. Im Unterkapitel 3.3 zeigt Harders mittels einer diskurstheoretischen Analyse, wie die Definition des Forschungsgegenstands und seines ‚Erforschers‘ die Stellung des Fachs in der Gesellschaft sowie im wissenschaftlichen Feld sichert und zugleich dessen Geschlechterordnung festschreibt. Zentral ist die diskursive Verknüpfung von Nation, Wissenschaft und Geschlecht, die sich in geschlechtlich kodierten Metaphern und epistemologischen Zuschreibungen äußert und die inhaltliche und methodische Ausrichtung des Fachs beeinflusste. Der Kampf um akademische Reputation wird als Wettbewerb unter Männern dargestellt, von dem Frauen als produktive und produzierende Akademikerinnen und in der kanonisierenden Erinnerung als Beteiligte an der Fachentwicklung ausgeschlossen sind, denn die Historiographie der Disziplin haben die selbst ernannten Gründungsväter in Analogie zum Narrativ der europäischen Besiedlung Nordamerikas als patrilineare Erfolgsgeschichte verfasst. Entsprechend wurde die Figur des Amerikanisten als fähiger Wissenschaftler weißer Hautfarbe und männlichen Geschlechts entworfen, was die Marginalisierung von Frauen ebenso wie von männlichen Angehörigen minoritärer Gruppen zur Folge hatte.

Das vierte Kapitel ist den Berufswegen und Arbeitsbedingungen von Amerikanistinnen im 20. Jahrhundert gewidmet. Ausgangspunkt der systematischen Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft ist die Herausbildung einer vertikalen wie horizontalen geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung im Zuge der Professionalisierung des US-Hochschulsystems Ende des 19. Jahrhunderts. Akademikerinnen verblieben in den unteren Statusgruppen und waren in Arbeitsfeldern tätig, die als weiblich definiert und damit abgewertet wurden. Ihr großes Engagement in der Lehre stand einer Profilierung durch Forschungsarbeiten entgegen. Zudem hatten sie als erwerbstätige Frauen um ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu kämpfen. Außerdem wiesen sie ein geringeres Maß an Mobilität auf als ihre Kollegen, was ihre Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Fachentwicklung durch Teilnahme an Fachkongressen, sofern diese den regionalen Rahmen verließen, stark einschränkte. Anhand der Lebensläufe vierer Amerikanistinnen zeigt Harders exemplarisch die Variationsbreite in der Auswirkung jener Einflussfaktoren auf weibliche Karriereverläufe auf, die sie anhand der prosopographischen Analyse eines Samples von 247 Akademikerinnen gewonnen hat.

Im Schlusskapitel 5 fasst Harders ihre Korrekturen an der dominant gewordenen Kritik der Fachgeschichte zusammen, die um den Nationalismusvorwurf kreist. Durch die Institutionalisierung von unten, das heißt durch die Einrichtung von Studiengängen im ganzen Land, weise das Fach in seiner Entstehung selber demokratische Elemente auf. Auch sei es selbst in der Hochphase des Kalten Kriegs weniger durch ideologische Indoktrination charakterisiert gewesen als bislang angenommen. Bei aller Nähe zur Politik und den Wertvorstellungen der 1950er-Jahre sei die Erziehung zur Demokratie zugleich den Idealen des New Deal verbunden gewesen. Die Unterscheidung zwischen der Rhetorik der Fachvertreter und Fachvertreterinnen und ihrer Praxis zeige, dass viele derjenigen, die in ihren Veröffentlichungen die dominanten ideologischen Kategorien bedienten, in der Hochschullehre und beim Wissenstransfer in die Öffentlichkeit einen liberalen Freiheits- und Demokratiebegriff vermittelten. Weiterhin dramatisiere der Krisenbegriff die Fachentwicklung in den 1970er-Jahren unzulässig, denn der Ausbau der American Studies setzte sich nahezu ungebrochen fort, obwohl das Fach seine bis dahin selbstverständlich akzeptierte gesellschaftliche Legitimation verlor.

Levke Harders hat eine in ihren Ergebnissen überzeugende Geschichte der American Studies vorgelegt, die zugleich die Geschlechterordnung des Fachs offenlegt. Weniger überzeugend ist dagegen die Darstellung ihrer Ergebnisse. Die notwendig knappe Skizzierung des jeweiligen Zeitkontextes gerät oft holzschnittartig, und Einflussfaktoren mutieren durch die Knappheit mancher Formulierung zu Determinanten. Wo immer zutreffend, wird die Darstellung der Fachentwicklung durch Aussagen zur Geschlechterordnung ergänzt. Da diese jedoch nicht immer hergeleitet sind, haben sie reinen Behauptungscharakter. Die sorgfältige und überzeugende Analyse der Geschlechterordnung ist ausgelagert und erfolgt diskursanalytisch in Kapitel 3.3 sowie mit sozialhistorischem und biographischem Zugriff in Kapitel 4. Eine systematische Integration der Kategorie Geschlecht in die Untersuchung hätte dem Anspruch, die Durchdringung auch des Wissenschaftsbereichs durch die gesellschaftliche Geschlechterordnung zu verdeutlichen, eher entsprochen. Dennoch stellt das Buch die Produktivität der Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht für die Wissenschaftsgeschichte unter Beweis und weist damit weit über das Fallbeispiel der American Studies hinaus.

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