Titel
Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr. - 192 n. Chr.)


Autor(en)
Winterling, Aloys
Erschienen
München 1999: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
X + 283 S.
Preis
€ 54,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido O. Kirner

Während für das Mittelalter und die Frühneuzeit der monarchische "Hof" ganz selbstverständlich als eine zentrale Institution des politischen Systems mit repräsentativer, identitätstiftender und symbolischer Bedeutung wahrgenommen wird, so konnte dies bisher für die römische Kaiserzeit nicht behauptet werden. Zumindest fehlte es bisher an einer systematischen Erfassung der Wahrnehmung eines örtlich wie personell verstetigten sowie durch einen bestimmten Lebensstil bzw. Habitus gekennzeichneten politischen Zentrums in Form einer institutionalisierten 'Aula Caesaris'.

Mit der Münchner Habilitationsschrift von Aloys Winterling, die den kaiserlichen Hof als zentrales Phänomen der römischen Geschichte in den ersten beiden Jahrhunderten in das Bewußtsein der Forschung rücken will, weil dies für ein angemessenes Verständnis von Politik und Gesellschaft zu dieser Zeit unumgänglich sei (S. 3), dürfte sich dies geändert haben.

In Absetzung von der älteren staatsrechtlichen oder sittengeschichtlichen Forschung (Mommsen, Friedländer), aber auch mit maßgeblichen Korrekturen am Bild der jüngeren Spezialforschung (Weaver, Boulvert, Crook, Alföldi), geht es Winterling darum, einen Transformationsprozeß aufzuzeigen, der sich als Institutionalisierung beschreiben läßt, d.h. als die "Entstehung von sozialen Strukturen, die eine von persönlichen Beziehungen der sie bildenden Menschen weitgehend unabhängige Konstanz ausweisen." (S. 4)

Als Ausgangspunkt und Vergleichsmaßstab dient ihm ein aus den Schriften Vitruvs und Lukians abgeleitetes Modell des "aristokratischen Hauses" (S. 39-46). Dieses war gekennzeichnet durch seine Multifunktionalität, d.h. als ein auf den Hausherrn zentriertes soziales Gebilde, welches familiale, herrschaftliche, wirtschaftliche, sakrale und öffentlich-politische Funktionen in sich vereinte. Es charakterisiert sich durch die tägliche Anwesenheit eines engen Freundeskreises des Hausherrn, seiner Familie und einer umfangreichen Dienerschaft sowie durch die gelegentliche Anwesenheit eines weiteren Kreises von Personen, die dem Hausherrn - besonders bei der morgendlichen 'salutatio' - ihre Aufwartung machten. Merkmale der inneren Strukturen sind die Rivalität um die Gunst des Hausherrn, die Labilität der Stellungen, opportunistisches Verhalten und entsprechende Kommunikationsformen (Unterwürfigkeit, Schmeichelei, Denunziation von Konkurrenten). Ein anderes Merkmal ist der hohe Grad an Organisation und Spezialisierung des Dienstpersonals, denn schließlich repräsentierte das Haus auch durch seine äußerliche Weitläufigkeit und Pracht sowie durch den aufwendigen und verfeinerten Lebensstil den gesellschaftlichen Rang des Hausherrn. Es hatte aber auch eine politische Funktion, wenn es als Ort politischer Beratung diente.

Unter weitgehender Vernachlässigung der Ähnlichkeiten und Kontinuitäten (besonders, was mit 'Kommunikationsformen' bzw. 'innere Strukturen' umschrieben wurde), geht es Winterling bei seinem weiteren Vorgehen vor allem darum, den quantitativen und qualitativen Unterschied des sich herausbildenden kaiserlichen Hofes zum aristokratischen Haus auf mehreren Ebenen herauszuarbeiten.

Unter Berücksichtigung der archäologischen Forschung macht dabei die Betrachtung der Entwicklung der kaiserlichen Bautätigkeiten auf dem Palatin, die sich als eine "Monopolisierung dieses aristokratischen Wohngebiets" beschreiben läßt, den Anfang (S. 47-75). Waren die kaiserlichen Gebäude unter Augustus anfangs noch ein ensemble-artiger Komplex frei zugänglicher Häuser, so entstand erstmals unter Claudius ein großflächiges Palastgebäude. Der zweite, zusätzlich unter Domitian erbaute Palast ist durch seine interne Differenzierung und zugleich - aufgrund der verschließbaren Tore - durch seine Abgrenzung gegenüber der Stadt gekennzeichnet. Auch im Hinblick auf die Innenausstattung des Palastes (S. 76-82) läßt sich ein zunehmend quantitativer und qualitativer Unterschied zu den aristokratischen Häusern feststellen, sei es durch die Steigerung der dafür aufgewendeten Mittel (unter Caligula, Nero, Vitellius), die Innovation (Caligula) bzw. Förderung (Nero) einer besonderen 'Geschmackskultur' oder die Maßnahmen zur Abwertung bzw. Unterbindung aristokratischer Konkurrenz im "demonstrativem Konsum" (Nero, Domitian). Die sich davon abhebende Bescheidenheit der Kaiser von Nerva bis Marc Aurel wurde von den aristokratischen Zeitgenossen und Historikern als Zeichen ihrer 'civilitas' gedeutet.

Das nächste Kapitel widmet sich der höfischen Organisation des kaiserlichen Personals. Ebenfalls in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Forschung (S. 84-89) kritisiert Winterling vor allem ihre Aporien, wenn sie einerseits auf den personenrechtlichen Status der Stelleninhaber fixiert bleibt, andererseits an der problematischen Unterteilung in öffentlich-staatliche bzw. private Funktionsbereiche festhält und die daraus resultierenden Probleme nur zu umgehen weiß, indem sie einfach einen dritten, nunmehr 'kaiserlich' genannten Funktionsbereich hinzufügt. Demgegenüber solle zum einen die durch "organisatorische Funktion bedingte Interaktionsnähe der Stelleninhaber zum Kaiser im Palast als Kriterium der Abgrenzung der Hoforganisation gelten", zum anderem die im Vergleich zur Republik neuartige und zur Trennung zwischen öffentlich und privat "querstehende Differenzierung in politische und unpolitische Stellen". (S. 89-91).

Fragen, wie die nach Problemen, wenn z.B. ein Vertrauter des Kaisers mit einem geringen personenrechtlichen Status (z.B. Freigelassene) aufgrund seiner Nähe zum Kaiser am Hofe mehr Einfluß geltend machen konnte, als ein aristokratischer Inhaber eines magistratischen Amtes, kurz: die Frage nach Existenz und Bedeutung informeller Einflußmöglichkeiten, schließt Winterling weitgehend aus, indem er sie einer "Sozialgeschichte der Politik" zuordnet, die für die Frage nach der Organisationsstruktur selbst zunächst nicht von Belang sei (91f.). Aufgrund dieser methodischen Entkopplung der höfischen Organisationsstruktur von der politisch-sozialen Praxis (z.B. veränderte Kommunikations- bzw. Einflußstrukturen) läßt sich die Frage aufwerfen, ob es denn nicht eigentlich erst gerade jene Praktiken sind, die eine Strukturierung im Rahmen eines Institutionalisierungsprozesses generieren.

Dessenungeachtet kommt Winterling nach seiner Untersuchung der militärischen Organisation, der zentralen politischen Sekretariate sowie der unpolitischen Stellen (Dienstpersonal) zu interessanten Ergebnissen. Im Vergleich zu mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Höfen tritt hinsichtlich der unpolitischen Stellen das Charakteristikum einer fehlenden genauen Funktionsdifferenzierung in der Hierarchisierung zutage. Statt dessen zeichnet sich die höfische (in Ähnlichkeit zur städtischen) Organisation einerseits durch eine "Querintegration" aus, d.h. in Form von Zusammenschlüssen der jeweils gleichen Funktionsbereichen zugeordneten Stelleninhaber in vereins- bzw. berufsgenossenschaftlichen Sekundärorganisationen (collegia, corpora), andererseits durch die "dezentrale Aufgliederung der Funktionsbereiche", wobei die Unterabteilungen selbst wiederum linear-hierarchisch gegliedert sind (S. 105f.).

Ein wesentlicher Vorgang ist außerdem die seit julisch-claudischer Zeit eintretende Emanzipation der höfischen Organisation aus der 'familia', d.h., daß sie zunehmend den Charakter eines familialen Rechtsverbandes verlor und einen, wenn auch rechtlich ungeklärten Charakter sui generis annahm. Die Kontinuierung der unfreien und freigelassenen Stelleninhaber wie auch das kaiserliche Patrimonium insgesamt wurde vom erbrechtlichen Verhältnis zum jeweiligen Vorgänger (z.B. bei Dynastiewechsel) unabhängig und ging unter juristischer Fiktion einfach als Eigentum auf den jeweils regierenden Kaiser über (S. 108f.). Verkürzt gesagt, erbte demnach nicht mehr der Kaiser als Person, sondern davon unabhängig das Kaisertum als Institution. Dies war zugleich die Voraussetzung für einen zweiten beobachtbaren Vorgang, nämlich die "Aristokratisierung" (S. 111ff.), wenn zunehmend führende Stellen mit Personen ritterlichen Standes besetzt wurden, die keinem Eigentums- oder Patronatsverhältnis seitens der Kaiser unterstanden.

Im Folgenden untersucht Winterling eine zentrale Form der kaiserlichen Interaktion mit den römischen Eliten, nämlich die 'salutationes' (S. 139-144). Dienten diese Morgenbegrüßungen in republikanischer Zeit noch dazu, mittels einer möglichst großen Anzahl der aufwartenden Klienten quasi von unten die soziale Macht des Patrons zu manifestieren, so erfuhren sie einen Funktionswandel, wenn sie fortan zum äußeren Zeichen einer von oben abgeleiteten Macht kaiserlicher Gunst wurden. Im Rahmen einer äußerst interessanten Darstellung der veränderten Bedingungen von Machtbildung, behandelt Winterling diesen Punkt nicht zuletzt mit kritischem Blick auf Sallers These von der weitgehenden Kontinuität von Patron-Klient-Verhältnissen in der Prinzipatszeit.

Wie bei den salutationes ist auch hinsichtlich des kaiserlichen Gastmahls (convivium) schon durch die Ausweitung auf alle führenden Mitglieder der Aristokratie seit Claudius ein Funktionswandel erkennbar. Es gab ihnen ein von den persönlichen Beziehungen des Kaisers zu einzelnen Gästen unabhängigen und daher institutionellen Charakter. Die Folge für die weitere Entwicklung war, daß sich seit Vitellius zudem Gastmähler im engeren Kreis der "Einflußreichsten" ausdifferenzierten. Als auch diese wiederum einen institutionellen Charakter annahmen, etablierten sich im 2. Jahrhundert daneben Gastmähler von mehr persönlicher Art, deren kleinerer Teilnehmerkreis in unterschiedlicher Weise je nach Gusto des Kaisers zusammengesetzt war.

Eine ähnliche Entwicklung von Ausweitung und Ausdifferenzierung stellt Winterling auch bei seiner Untersuchung des Personenkreises fest, die der Kaiser zu seinen "Freunden" (amici) zählte. In Absetzung zur Forschung (Bang, Crook, Syme, Gaudemet) führt er hierfür drei Kategorien ein (S. 166ff.): Die Mitglieder des Senatorenstandes und ein nicht genau abgrenzbarer Kreis von Personen des Ritterstandes; sodann eine Personengruppe, mit denen der Kaiser im engeren gesellschaftlichen Verkehr (z.B. gegenseitige Einladung zu Gastmählern) stand und die er als "Gleiche" behandelte; schließlich Personen, die in der Regel täglich in seiner Umgebung anwesend waren und stets sein Gefolge in der Stadt sowie auf Reisen bildeten. Die drei Kategorien erweisen sich als nützlich, wenn bei Beachtung ihres jeweiligen Verhältnisses zueinander und der dabei auftretenden Verschiebungen der Prozeß der "Entpersönlichung" bis hin zum engsten Kreis des Kaisers aufgezeigt werden kann. Die Ausweitung zur "institutionalisierten Freundschaft" implizierte dabei jedoch die gegenläufige Tendenz der Ausdifferenzierung einer persönlichen Sphäre des Kaisers (amicissimi, familiares), deren Zugehörigkeit nun gerade nicht an ständische Qualifikation gebunden war. Man kann für diese Entwicklung auch eine Tacitusstelle beherzigen, bei der es in bezug auf die Freunde des Vitellius heißt, sie seien "je vornehmer, desto treuloser gewesen." Unter Hadrian ist jedoch eine Angleichung der höfischen Hierarchie nach Nähe zum Kaiser zur traditionellen politisch-sozialen Rangordnung feststellbar, wenn die Vornehmsten des Senats zugleich den Kreis der täglich anwesenden "familiares" bildeten.

Im letzten Kapitel zeichnet Winterling noch die semantische Entwicklung zur Beschreibung des Sondercharakters des kaiserlichen Hauses nach (domus principalis/principis/Caesaris; 'Palatium' seit Domitian; 'aula' als neuer Begriff seit dem Frühprinzipat). Der Schluß enthält einen prägnanten Überblick von sechs Phasen, bei dem nochmals die jeweils wichtigsten Merkmale beim Prozeß der Institutionalisierung des kaiserlichen Hofes unter den verschiedenen Kaisern herausgestellt werden. Im Anhang befindet sich noch eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zu "Palatium" und "Palast" sowie eine Reihe von Abbildungen zur baulichen Entwicklung des Palatins.

Winterlings Studie zeichnet sich durch ihre klare Sprache und (sozialwissenschaftlich geschulte) Begrifflichkeit aus. Vor allem vermag sie es aber - bei vorbildhafter Skizzierung und Problematisierung des Forschungstandes -, die These von der Emanzipation des kaiserlichen Hofes zur eigenständigen und zentralen Institution der römischen Geschichte in den ersten zwei Jahrhunderten unter detailgenauer Auswertung des Quellenmaterials konzise darzustellen. Damit ist auch eine neue Grundlage für die Untersuchung jener Bereiche gelegt, die Winterling zunächst bewußt ausgespart hat, die jedoch ebenfalls zur Institutionalisierungsgeschichte gehören. Gemeint ist die Sozialgeschichte der Politik sowie die Untersuchung der jeweiligen Veränderungen in den Kommunikationsformen und Einflußstrukturen im Rahmen der "höfischen Kultur". Im Vorwort ist darauf verwiesen, daß diesbezüglich noch eine eigenständige, ergänzende Studie zu erwarten ist.

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