D. Kaufmann: Anton Friedrich Justus Thibaut

Cover
Titel
Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840). Ein Heidelberger Professor zwischen Wissenschaft und Politik


Autor(en)
Kaufmann, Dörte
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 198
Erschienen
Stuttgart 2014: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
XXXV, 302 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Mohr, Nussloch

Zweifellos zählt Anton Friedrich Justus Thibaut zu den herausragenden deutschen Juristen des 19. Jahrhunderts. Einem breiteren Publikum bekannt ist er als Urheber des „Kodifikationsstreites“, den er im Jahre 1814 mit Friedrich Karl von Savigny austrug. Aber nicht der Jurist steht im Mittelpunkt des Buches von Dörte Kaufmann, sondern Thibaut als „politischer Professor“.

Die im Wintersemester 2009/2010 an der Universität Heidelberg eingereichte Dissertation setzt drei Schwerpunkte: den Anteil, den Thibaut in Heidelberg an der Universitätspolitik nahm, die Rolle des Gelehrten bei der Neuordnung Deutschlands, seiner „Wiedergeburt“ (S. 147), und sein Wirken im Badischen Landtag als Deputierter der Heidelberger Universität. Das Buch versteht sich dezidiert nicht als biographische Arbeit, sondern verfolgt das Ziel, die „Wirkungsschwerpunkte“ Thibauts mit Fragen „universitäts-, rechts- und gesellschaftspolitischer“ (S. 4) Natur zu untersuchen.

Während seiner Zeit als Prorektor der Universität Heidelberg (das Rektorat hatte in Baden der Landesherr inne) von Dezember 1805 bis April 1807 bemühte er sich um die „Verbesserung der akademischen Sitten“ und ging damit mit der Universitätspolitik der badischen Regierung konform (S. 73). Er verstand die Universität als eine „Erziehungsanstalt“ und war gewillt, diesen Anspruch gegenüber der teilweise renitenten Studentenschaft mit Strenge durchzusetzen (S. 47). Insgesamt bezweckten seine Bemühungen die Sozialdisziplinierung der Studenten, die häufig in Konfliktsituationen mit dem Stadtbürgertum gerieten und einen eigenen Ehrenkodex pflegten, der seine schärfste Ausprägung im Duell fand. Thibaut sah es daher als seine Aufgabe an, die Universitätsjustiz zu stärken (S. 45).

Im Januar 1818 beschäftigte sich Thibaut erneut mit der Heidelberger Studentenschaft. Die badische Regierung hatte bei ihm ein Gutachten angefordert, in dem er Stellung zur Heidelberger Burschenschaft nehmen sollte, die sich Anfang des Jahres 1817 formiert hatte. Thibaut lehnte den politischen Anspruch der Burschenschaft ab, gegenüber den anderen, unpolitischen Verbindungen nahm er hingegen eine paternalistisch-tolerante Haltung ein (S. 123).

Während er in seinem Gutachten über die Situation in Heidelberg Beschwichtigendes schrieb, betrachtete er die Universität Jena kritisch, wo er die dortigen Dozenten Lorenz Oken, Jakob Friedrich Fries und Christoph Reinhard Dietrich Martin als „jakobinische“ Aufwiegler der Studenten am Werke sah, die drei Genannten in Wahrheit jedoch lediglich einen föderativen Einheitsstaat unter der Führung eines machtvollen Kaisertums anstrebten (S. 106f.).

In den meisten rechts des Rheins gelegenen Gebieten wurde nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft der Code Napoléon aufgehoben, weshalb Thibaut die Zeit für eine Kodifikation „eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ gekommen sah (das für ihn, anders als bei Savigny, auch das Strafrecht umfasste). Die berühmte Flugschrift aus dem Juni 1814 steht, was Kaufmann überzeugend herausarbeitet, keineswegs isoliert da, sondern entstand in einem breiten Kontext rechtspolitischer Entwürfe und nationaler Diskurse über eine „Wiedergeburt“ Deutschlands (S. 147f.). Thibauts Schrift war eine Stimme unter vielen1, die eine einheitliche Kodifikation zur Herstellung der nationalen Rechtseinheit forderten (S. 168). Friedrich Carl von Savigny widersprach seinem Heidelberger Kollegen in der Streitschrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ und eröffnete eine Debatte, die als „Kodifikationsstreit“ in die deutsche Rechtsgeschichte eingegangen ist. Jenseits der vielfach erörterten rechtswissenschaftlichen Seite dieses Disputes ist hier von Interesse, wie Thibaut sich die politische Umsetzung seiner Forderung vorstellte. Zunächst plädierte er für eine Gesetzgebungskommission, deren Mitglieder von den einzelnen Regierungen ernannt werden sollten. 1815 rückte er von dieser Idee ab und schlug vor, dass die „höheren Landesgerichte“ Vertreter für die Kommission bestimmen sollten (S. 196). Thibaut wusste, dass die Realisierung seiner Vorschläge nur mit Hilfe der deutschen Fürsten möglich war, deren gemeinsamen Willen zu einer nationalen Gesetzgebung er beschwor (S. 199).

In den Kontext einer deutschen „Wiedergeburt“ ordnet Kaufmann auch Thibauts publizistischen Einsatz für die Erneuerung des deutschen Protestantismus ein. So stellte er etwa 1815 die Forderung auf, im Rahmen einer nationalen Kirchenreform nach den Ständen getrennte Gottesdienste einzuführen (S. 213). Auch mit der Forderung nach einem protestantischen Gesangbuch für ganz Deutschland, ein Gedanke, der sich auch in seiner Schrift „Über die Reinheit der Tonkunst“ findet, reihte er sich in die deutsche Nationalbewegung ein (S. 216, 220).

Interessante Aspekte arbeitet Kaufmann auch im Zusammenhang von Thibauts Wirken als Vertreter der Universität Heidelberg in der Ersten Kammer des Badischen Landtages heraus. Seine Wahl im Januar 1819 wurde von ihm als Bürde empfunden. Er nahm lediglich an einem Drittel der Sitzungen des ersten Landtages teil, der im Sommer 1820 schon wieder von Großherzog Ludwig vertagt wurde (S. 239f., 242). In der kurzen Zeit als Abgeordneter kam er jedoch mit wichtigen politischen Themen in Berührung. Eine Frage von großer gesellschaftlicher Tragweite war die Grundentlastung. In Frankreich waren mit der Revolution alle feudalrechtlichen Lasten des bäuerlichen Grund und Bodens entschädigungslos abgeschafft worden, in Deutschland hingegen blieb das „geteilte Eigentum“ mit Ausnahme der vordem von Frankreich besetzten linksrheinischen Gebiete zunächst üblich. In der Ersten Badischen Kammer entbrannte 1819 eine Debatte um den historischen Ursprung und den damit verbundenen rechtlichen Charakter der Herrenfronden, die von Carl von Rotteck angestoßen wurde. Er behauptete, dass die Fronden – und die Zehnten – ursprünglich auf öffentlich-rechtlichen Verhältnissen beruhten und daher nicht als privatrechtliche Besitzstände der Fronherren angesehen werden könnten, eine Position, der Thibaut widersprach und somit eine konservativere Haltung einnahm als sein Freiburger Kollege (S. 252ff.). Dass Thibaut die umstrittene Suspendierung des Adelsedikts begrüßte und sich auf die Seite der Regierung stellte, interpretiert Kaufmann als Konsequenz seiner nationalen politischen Perspektive: 1819 habe er gehofft, dass die Adelsfrage auf Bundesebene geklärt werde und sich daher in diesem Fall gegen die partikularstaatliche Gesetzgebung gewandt (S. 276f.).

Die Studie von Dörte Kaufmann zeichnet detailliert, quellengesättigt und mit Präzision Thibauts Kontaktaufnahmen zum politischen Feld seiner Zeit nach. Die ausführlichen, zuweilen sehr umfangreich ausgefallenen Kontextualisierungen, zum Beispiel zur badischen Universitätspolitik oder zur Entwicklung der Universität Heidelberg in der Zeit nach ihrer Rekonstitution, sind gelungen und lesenswert. „Ausgangshypothese“ der Arbeit ist, dass Thibaut sich neben seiner Arbeit als Professor „auch politisch engagierte“ (S. 291). Zugleich ist sich Kaufmann aber bewusst, dass dieses politische „Engagement“ an Ausmaß, Intensität und hinsichtlich der Selbstreflexion mit demjenigen von Dahlmann oder Gervinus nicht gleichgesetzt werden kann (S. 293). Es ist daher fraglich, ob Thibaut der Gruppe der „politischen Professoren“ zuzurechnen ist2, und weil diese Frage nicht abschließend beantwortet wird, gebraucht Kaufmann an entscheidender Stelle Formulierungen, die recht unpräzise sind: politische „Wirkungsschwerpunkte“ (S. 4), dass Thibaut sich „auch selbst aktiv politisch engagierte“ (S. 5), „Verhältnis des Heidelberger Juristen zur Politik“ (S. 10). Dementsprechend undeutlich bleibt das politische Profil Thibauts. Das liegt auch daran, dass der Begriff des Politischen weit gefasst wurde. Thibauts Wege in die Politik waren eher zögerlich und wurden von ihm nicht konsequent zu Ende gegangen, was ihn etwa von der zumeist jüngeren Professorengeneration in der Nationalversammlung unterschied. Gerne hätte man erfahren, ob das eher schwierige Verhältnis Thibauts zur Politik mit dem zeitlichen Schwerpunkt seiner Beschäftigung mit politischen Fragen zusammenhängt.

Anmerkungen:
1 So schon: Claudia Schöler, Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1790–1866), Köln 2004, S. 86.
2 Anders etwa mit Heidelberg-Bezug: Frank Engehausen / Armin Kohnle (Hrsg.): Gelehrte in der Revolution. Heidelberger Abgeordnete in der deutschen Nationalversammlung, Ubstadt-Weiher 1998; Grundlegend: Gangolf Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit, Göttingen 2006.

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