Cover
Titel
German History 1789–1871. From the Holy Roman Empire to the Bismarckian Reich


Autor(en)
Dorn Brose, Eric
Erschienen
Oxford 2013: Berghahn Books
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
£ 22.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Müller, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Überblickdarstellung von Eric Dorn Brose zur deutschen Geschichte zwischen 1789 und 1871 erschien erstmals 1997 und wird nun (2013) in einer neuen und überarbeiteten Auflage vorgelegt. Der Autor schildert darin den historischen Weg vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zum Bismarckreich. Die anschaulich geschriebene und gut lesbare Darstellung gibt einen aspektreichen Überblick, der neben den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen dem kulturellen und künstlerischen Leben breite Aufmerksamkeit schenkt, so vor allem in den Kapiteln 8 (Art and the Spirit of the Times, S. 131–150) und 17 (The View from the Atelier, S. 295–319).

Gleichwohl kann das Buch als Ganzes nicht befriedigen, denn es weist einige konzeptionelle und inhaltliche Schwächen auf. Wie viele „Von-Bis-Geschichten“ tendiert auch diese Darstellung dazu, ihren Anfangs- und Endpunkt als historische Gegensätze zu profilieren, wobei das Alte als „traditionell“, das Neue als „modern“ erscheint. So wird das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, mit dessen „decline and fall“ das Buch beginnt, schon im Vorwort zur Neuauflage als ein „medieval holdover“ (S. IX) charakterisiert, und dieses Urteil spiegelt sich in den Unterkapiteln 1 und 2 in einem entsprechenden Vokabular wieder: Nahezu auf jeder Seite ist die Rede von „old traditional ways“ (S. 4f.), der „quaint, exclusionary world of the German home towns“ (S. 5), den „old ways“ (S. 8), der „traditional society“ (S. 10), einem moribunden Reichsgebilde (S. 19), „time-honored farming techniques“ (S. 20), „repressive social institutions“ (S. 20). Der „particularistic division of Germany“ am Ende des 18. Jahrhunderts setzt Dorn Brose die „Bismarckian Synthesis“ (S. 320ff.) entgegen: das „Second Empire“ von 1871 „which restored imperial glory to Germany“ and „looked forward to a new era“ (S. 352). Aus diesen beiden Polen ergibt sich das Narrativ des Buches, das den komplizierten, aber letztlich unvermeidlichen Übergang von einem jahrhundertealten, erstarrten alten Reich zu einem modernen und dynamischen neuen Reich nachzeichnet. Die entscheidenden Faktoren dabei sind – nicht überraschend – die politischen und wirtschaftlichen Revolutionen seit 1789, aus denen sich militärische Konflikte ergaben, die das alte Reich zertrümmerten und das neue Reich begründeten.

Die Tendenz zur teleologischen Deutung der deutschen Geschichte zwischen Revolution und Reichsgründung wird bei Dorn Brose wesentlich auch dadurch begründet, dass sein Werk ganz überwiegend auf der älteren deutschen und englischsprachigen Forschung beruht. Im Literaturverzeichnis sind bei den englischsprachigen Titeln nur 22 verzeichnet, die seit dem Jahr 2000 erschienen sind, davon lediglich 3 ab 2007. Und bei den herangezogenen deutschen Veröffentlichungen stammt die jüngste aus dem Jahr 2006. Es fehlen unter anderem so zentrale Werke wie Joachim Whaleys 2011/12 erschienene zweibändige Studie zum Heiligen Römischen Reich1, die ein viel differenzierteres Bild zeichnet als die von Dorn Brose ausgewertete ältere Forschung, oder die wichtigen Überblickdarstellungen von Hans-Werner Hahn/Helmut Berding und Friedrich Lenger in der Neuauflage des Gebhardt Handbuchs2, oder die einschlägigen Bände der Enzyklopädie deutscher Geschichte3. Überraschenderweise fehlt auch David Blackbourns magistrales Werk zur deutschen Geschichte im langen 19. Jahrhundert4.

Auch im Hinblick auf die Spezialforschung ist die Auswahl sehr selektiv, so dass manche wichtigen Aspekte in der Darstellung in den Hintergrund treten. Das zeigt sich besonders deutlich im Hinblick auf die gesellschaftliche Politisierung und die nationale Mobilisierung breiterer Massen. So werden die Auswirkungen der Französischen Revolution im Rheinland in den 1790er-Jahren ausschließlich als brutaler Krieg mit großflächigen Plünderungen, Vergewaltigungen und Zerstörungen geschildert (S. 30–32), während von den einheimischen Revolutionsanhängern namentlich nur Joseph Görres genannt wird, der sich desillusioniert von den Franzosen abwandte. Georg Forster hingegen bleibt gänzlich unerwähnt (wie zahlreiche andere frühe Demokraten und Republikaner), ebenso wie die Mainzer Republik und weitere demokratische Bestrebungen. Ähnlich stiefmütterlich wird das Hambacher Fest von 1832 behandelt, von dem auf S. 158 in wenigen Zeilen die Rede ist, wobei sich Dorn Brose unter anderem auf Heinrich von Treitschkes „Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ stützt, nicht aber auf die einschlägige Darstellung von Cornelia Foerster5. Überhaupt fällt auf, dass die breite liberalnationale Vereins- und Festbewegung, die sich seit den 1820er-Jahren entfaltete, nur schemenhaft wahrgenommen wird. Die nationale Mobilisierung der deutschen Gesellschaft ab 1840 wird nur sehr knapp behandelt (S. 200–203). Auch die in zahlreichen neueren Studien untersuchte Medialisierung des öffentlichen Diskurses in Presse und Publizistik kommt zu kurz, ebenso wie die Ausbildung nationaler Elitennetzwerke in Wirtschaft, Verwaltung und Parlamenten; in dieser Hinsicht richtet sich Dorn Broses Blick lediglich auf die Künstler und Wissenschaftler, die aus dem „upper window“ (S. 317) in künstlerischen Werken und gelehrten Diskursen die Ereignisse in Deutschland thematisierten. Ein großes Defizit bildet ferner die Entwicklung auf mittel- und kleinstaatlicher Ebene, Dorn Brose konzentriert sich überwiegend auf Preußen und Österreich, entgegen der Ankündigung im Vorwort, die „rich diversity of the rest of German Europe“ einzubeziehen (S. XI). So entsteht gerade kein „composite image“ (ebd.) von Deutschland, sondern eine traditionale, in vieler Hinsicht den Stand der aktuellen Forschung nicht angemessen reflektierende Darstellung.

Positiv hervorzuheben wäre die Bebilderung mit 21 Illustrationen, wenn diese in besserer Qualität gedruckt wären. Problematisch sind einige der dem Band beigegebenen Karten. Die Karte auf S. 6–7 zum Heiligen Römischen Reich vor 1789 ist unübersichtlich, ungenau und teilweise falsch, manche der dort eingetragenen Namen für territoriale Gebilde sind „freakish“, wie etwa das den größten Teil Norddeutschlands bedeckende „Brunswick“, das offensichtlich die Stelle von Hannover einnimmt, oder der breite, „Aachen“ genannte Landstreifen im Westen, oder „Salzberg“ (für Salzburg), während „Austria“ ein kleines Anhängsel von „Bohemia“ bildet. Die Karte „Germany in 1815“ auf S. 84 zeigt ein Deutschland, das so niemals existiert hat. Die einzig sinnvolle Abgrenzung als politisches Gebilde wäre das Gebiet des Deutschen Bundes, aber dessen Ausdehnung zeigt die Karte nicht: Luxemburg und Holstein sind ausgeschlossen, während die preußischen Ostprovinzen Posen, West- und Ostpreußen eingeschlossen sind, obwohl diese Territorien nur von 1848 bis 1851 dem deutschen Bundesgebiet angehörten. Diese Karte ist eindeutig irreführend. Misslich ist auch, dass ein wichtiger deutscher Historiker im Literaturverzeichnis falsch geschrieben ist: Heinrich August Winckler, S. 367 (auf S. X taucht er als Wincker auf). Winklers Buch „Der lange Weg nach Westen“ liegt übrigens seit 2006/07 in englischer Übersetzung vor – ein Hinweis darauf wäre für das angloamerikanische Publikum sinnvoll gewesen.

Die aufgezählten Mängel beeinträchtigen leider ein Buch erheblich, das in vielen Passagen eine lebhafte, urteilsfreudige und auch exakte Darstellung der Entwicklungen bietet. Der Anspruch von Autor und Verlag, damit eine aktuelle, die jüngsten Forschungsergebnisse einbeziehende Interpretation vorzulegen (S. X), wird nicht erfüllt. „The most recent works“, schreibt Dorn Brose, „are over a decade old“ (ebd.), und er meint damit die großen Überblicksdarstellungen. Das stimmt so nicht: Wie bereits erwähnt, ignoriert Dorn Brose die wichtige und ausführliche neuere Darstellung zur deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Hans-Werner Hahn und Helmut Berding.

Anmerkungen:
1 Joachim Whaley, Germany and the Holy Roman Empire. Vol. 1: Maximilian I to the Peace of Westphalia, 1493–1648. Vol. 2: From the Peace of Westphalia to the Dissolution of the Reich, 1648–1806, Oxford 2011/12; jetzt auch deutsch: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien 1493–1806. Mit einem Vorwort v. Axel Gotthard. Übers. v. Michael Haupt u. Michael Sailer, 2 Bde., Darmstadt 2014.
2 Hans-Werner Hahn / Helmut Berding, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 14), Stuttgart 2010; Friedrich Lenger, Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung (1849–1870er Jahre) (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 15), Stuttgart 2003.
3 Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 22), München 1992, 2. Aufl. 2007; Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 15), München 1993, 2. Aufl. 2001; Hans-Werner Hahn, Die industrielle Revolution in Deutschland (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 49), München 1998; Jürgen Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78), München 2006.
4 David Blackbourn, The Long Nineteenth Century. A History of Germany, 1780–1918, Oxford 1997, 2. Aufl. 2003.
5 Cornelia Foerster, Der Preß- und Vaterlandsverein von 1832/33. Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes, Trier 1982.

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