Cover
Titel
Atlantic Automobilism. Emergence and Persistence of the Car, 1895–1940


Autor(en)
Mom, Gijs
Reihe
Explorations in Mobility 1
Erschienen
New York 2015: Berghahn Books
Anzahl Seiten
XV, 751 S.
Preis
$ 150.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Neumaier, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Gjis Moms Studie „Atlantic Automobilism“ untersucht aus transatlantischer Perspektive, warum sich zwischen 1895 und 1940 das Auto im westeuropäischen und nordamerikanischen Kulturraum als Mobilitätsobjekt durchgesetzt hat. Unter dem Sammelbegriff „North-Atlantic realm“ (S. 1) fasst Mom sieben Länder zusammen: die Niederlande, Belgien, Deutschland, Frankreich, die Schweiz, Großbritannien und die USA. Er spürt in diesen Staaten die zentralen Prozesse auf, benennt Kontinuitäten und Brüche, die er anhand pointierter Interpretationen plastisch werden lässt. Zukünftige Arbeiten zur Mobilitätsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden sich unweigerlich mit Moms Thesen auseinandersetzen müssen. Zugleich liefert die Arbeit einen umfassenden Überblick über die Forschungsliteratur und reichert sie durch eigene Quellenstudien an. Auch deswegen wird daran kein Weg vorbeiführen. Das hat jedoch bisweilen Folgen für den Lesefluss. Schon allein wegen der Fülle an Themen und Thesen ist diese Arbeit ein Schwergewicht. Sie leistet aber noch mehr. So führt Mom zahlreiche Informationsstränge zusammen und verdichtet sie, woraus er wiederum Forschungspositionen entwickelt. Als Wissenschaftler lässt sich mit „Atlantic Automobilism“ daher vortrefflich arbeiten. Hier liegt der große Gewinn der Studie. Andererseits wird bisweilen durchaus erhebliches Vorwissen vorausgesetzt. Zum Beispiel spricht Mom oft vom „typischen“ Auto, ohne darzulegen, was im jeweiligen Zeitabschnitt hierunter genau zu verstehen ist.

Mom nimmt aber nie ausschließlich das Auto in den Blick, sondern bezieht durchaus das Fahrrad, das Motorrad und die Eisenbahn in die Analyse ein. Zudem unterscheidet er zwischen Automobilism und dem sonst gebräuchlichen Automobility. Der Titel Automobilism bringe zum Ausdruck, dass es sich bei der Automobilkultur um eine Bewegung, eine community handle, die einer ständigen Dynamik unterliege und dabei gleichzeitig vom Auto bewegt werde. Diese Prozesse analysiert Mom eingehend in den zwei Hauptteilen „Emergence (1895–1918)“ und „Persistence (1918–1940)“, wobei der Erste Weltkrieg das Scharnier zwischen beiden Zeitabschnitten bildet. Jede Phase wird mit einem stärker deskriptiven Kapitel eingeleitet, in dem Mom die wichtigsten Entwicklungen zusammenfasst und zugleich eine Synthese der Forschungspositionen liefert. Das reichert er darüber hinaus mit eigener Quellenarbeit an. Es folgen analytische Kapitel, welche die Motivation der historischen Akteure wie Automobilclubs, Hersteller und Autofahrer benennen. Mom integriert gerade hier Quellen aus den Bereichen Literatur, Musik und Film, die in bisherigen Arbeiten zur Mobilitätsgeschichte meist vernachlässigt worden sind. Dadurch erweitert er die Perspektive auf das Auto und kann vier charakteristische Phänomene für den Automobilism in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts benennen: das Aufkommen des Autos und seine Diffusion sowie die daran anschließende Beharrungskraft und ein „growth into an all-pervasive phenomenon“ (S. 7). Im Zuge dieser Veränderung erfolgte, wie Mom darlegt, eine Domestizierung des Autos. Es entwickelte sich zu einer Alltäglichkeit und entfaltete so schließlich in der Zeit von 1940 und 1975 eine enorme kulturelle Prägekraft.

Damit deutet Mom an, dass „Atlantic Automobilism“ im Prinzip als Teilstudie konzipiert ist und später wohl um eine Arbeit zur Mobilität von 1940 bis 2015 ergänzt werden soll. Auch seine Periodisierung des 20. Jahrhunderts verdeutlicht dieses Anliegen. Schließlich spricht Mom von drei Phasen. Die erste reicht bis zum Ersten Weltkrieg und wird im Abschnitt „Emergence“ behandelt. Die Zwischenkriegszeit stellt die zweite Epoche dar, die folglich dem Abschnitt „Persistence“ entspricht. Daran schließt die Phase vom Zweiten Weltkrieg bis 1975 an, die jedoch in dieser Arbeit allenfalls angerissen wird. In der Einleitung erfährt der Leser jedoch zumindest, dass in jedem Zeitabschnitt eine bestimmte Nutzergruppe, ein Sensorium, eine Technologie und eine Nutzungsart dominierte. Während zunächst vor allem der Adel und die obere Mittelklasse Autos besaßen, entwickelten sie sich im Anschluss an den Ersten Weltkrieg zum Gefährt der Mittelklasse, ehe in der Nachkriegszeit die Massenmotorisierung einsetzte. Jede Gruppe hatte wiederum spezifische Nutzungsarten. Basteln und schnell fahren prägten den ersten Zeitabschnitt. Familienausflüge und berufliche Nutzung waren hingegen typisch für die Zwischenkriegszeit. Um die Jahrhundertmitte wiederum wurden Autos von Familien für Urlaubsfahrten sowie von Berufstätigen zum Pendeln genutzt. Sicherlich führen Großbegriffe wie Familie, Adel und Mittelklasse dazu, dass die Unterschiede innerhalb der jeweiligen Gruppen bzw. die nationalen und regionalen Besonderheiten verloren gehen. Zur Typbildung bieten sie sich dennoch an, zumal Mom in den jeweiligen Kapiteln weitaus feiner differenziert. Allerdings bleibt dabei offen, wie sich die Entwicklung der Automobilkultur von der ersten zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzog. Darüber hinaus ließe sich nach der Rolle des Automobils im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts fragen. Die Beantwortung wird jedoch erst die an das vorliegende Werk anschließende Arbeit liefern.

Zunächst beschränkt sich Mom darauf, zu den Leiterzählungen der Automobilisierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Gegenerzählung vorzulegen. Er will hinterfragen, ob Europa bei der Verbreitung des Autos tatsächlich um ein gutes Vierteljahrhundert hinter den USA zurücklag („‚America-as-model‘ myth“, S. 27). Zweitens befasst sich Mom mit dem „‚toy-to-tool‘ myth“, wonach der Erfolg des Autos mit dem Übergang von einem Luxusgut zu einem Gebrauchsgegenstand einhergegangen sei und sich mit dieser Veränderung die Funktion des Autofahrens von Spaß und Genuss hin zu einer Notwendigkeit verschoben habe. Exemplarisch lässt sich an diesem Beispiel aufzeigen, wie Mom eine Erzählung als „Mythos“ entlarvt. Indem Interessenvertreter wie Automobilclubs oder Hersteller das Auto als eine Notwendigkeit darstellten, beabsichtigten sie, die staatliche Intervention zu minimieren. Die Position des Autos innerhalb der Gesellschaft sollte so gefestigt werden. Zugleich handelte es sich aber auch um ein programmatisches Vorhaben, da sich das Auto zu einem integralen Bestandteil der Konsumgesellschaft entwickelte. Das Auto war damit ein Gebrauchsgegenstand, der Räume und Landschaften gleichermaßen konsumierte und produzierte. Insofern sei die Vorstellung von einem utilitaristischen Auto ein historisch gewachsener Mythos, argumentiert Mom. In diesem Zusammenhang verweist er zudem auf die Autofahrer, die ebenfalls dazu beitrugen, diesen Mythos zu generieren. Denn indem sie auf individueller Ebene das Autofahren als Notwendigkeit darstellten, firmierte es als Alibi, hinter dem sich andere Nutzungsarten wie Spaß und Vergnügen verbergen konnten. Insofern existierten immer unterschiedliche Gründe, warum Menschen Auto fuhren. Diese lassen sich aber zumindest auf drei Dimensionen abstrahieren: Vergnügen, Nützlichkeit und Beruf. Allerdings müssten diese erst noch von Historikern eingehend untersucht werden, resümiert Mom weiter und benennt damit ein wichtiges Forschungsdesiderat.

Zugleich betont Mom in diesem Zusammenhang, dass die Motorisierung sich nicht wie eine Revolution vollzogen habe. Vielmehr handle es sich hierbei um eine graduelle non-lineare Evolution. Damit verweist er erneut darauf, dass der Prozess 1940 nicht abgeschlossen war. Wie sich der Automobilism weiter entwickelte, wird Mom in einer weiteren Monographie darlegen. Der Historiker, Sozialwissenschaftler, der historisch interessierte Ingenieur – oder allgemeiner: der Mobilitätsforscher – kann darauf gespannt sein und bis dahin für seine eigenen Forschungsvorhaben auf „Atlantic Automobilism“ zurückgreifen.

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