Harald Weiß (Hrsg.): 100 Jahre Biene Maja

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Titel
100 Jahre Biene Maja. Vom Kinderbuch zum Kassenschlager


Herausgeber
Weiß, Harald
Reihe
Studien Zur Europaischen Kinder- und Jugendliteratur 1
Erschienen
Anzahl Seiten
186 S.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Maria Pecher, Institut für Jugendbuchforschung, Goethe Universität Frankfurt am Main

1912 ist Waldemar Bonsels Tiererzählung „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ erstmals erschienen. Seither ist die berühmte Biene Gegenstand zahlreicher multimedialer Produktionen. Einflussreich war vor allem die Biene-Maja-Zeichentrickserie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der 1970er-Jahre. Harald Weiß versammelt in dem hier angezeigten Band Beiträge einer Vorlesungsreihe mit dem Titel „100 Jahre Biene Maja (1912–2012) – Mediale Metamorphosen eines Klassikers“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen im Sommersemester 2012. Reflektiert wird auf Basis aktueller Forschungsergebnisse und unterschiedlichster literar-, kultur- und medienhistorischer Perspektiven die Entwicklung eines „100-jährigen Medienprodukts“ (S. 16).

Der Herausgeber stellt dem Sammelband neuere biographische Einsichten zu Leben und Werk des Erfolgsautors Waldemar Bonsel voran. Neben privaten und beruflichen Einblicken werden hier insbesondere auch Erkenntnisse zu seinen Tätigkeiten und Veröffentlichungen während der Kriegsjahre gegeben und kritisch kommentiert. Damit werden die Biene-Maja-Romane nicht nur historisch eingeordnet, sondern der Fokus wird auch auf deren weitere Rezeption gelenkt.

Zunächst rückt hierbei für Bettina Kümmerling-Meibauer die Frage der Adressierung von Bonsels Bienenerzählung als Crossover-Literatur für Kinder und Erwachsene ins Zentrum. Ein besonderes Augenmerk verleiht sie den verschiedensten literarischen Traditionen, die es zu beachten gelte und die auf je eigene Weise Einfluss nehmen. Jürg Häusermann wendet sich hingegen den akustischen Merkmalen und deren Bedeutung im Text zu. Er zieht Vergleiche zu Hörspielen, Hörbüchern und Zeichentrickserien. Dabei fällt auf, dass im Gegensatz zu Bonsels Text in späteren Adaptionen die Lieder der Figuren zumeist gestrichen wurden. Dies ist umso interessanter, da das Singen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein Zeichen von Gemeinschaftszugehörigkeit bzw. Gemeinschaftserlebnis galt. Häusermann erläutert den Wandel vom „Lied der Bienen“ zum „Lied der medialen Verwertung“ (S. 74). Ein eindrucksvolles Beispiel für den Bedeutungswandel ist der berühmte Biene-Maja-Songtext der Fernsehserie des tschechischen Komponisten Karel Svoboda, gesungen von Karel Gott. Er trug maßgeblich zum heutigen generationenübergreifenden „Klassiker“-Status bei, den es mit Blick auf den „Klassiker“-Begriff der Hochkultur zu erläutern gilt. Durch die Zeichentrickserie hat sich „Biene Maja“ zweifellos zu einer Kultfigur des Kinderfernsehens entwickelt.

Kaspar Maase jedoch stellt klar, dass schon der Roman als ein Phänomen deutscher Populärkultur zu werten sei, und zeigt die Ausbildung einer Aura für den unterhaltenden „Klassiker bürgerlicher Populärkultur“ (S. 91) in Abgrenzung zu Kolportage- und Groschenheftromanen auf. Neben „Bildungswerte[n] und ernsthaftem Erkenntnisgewinn verspricht [der Roman]: erhebende Liebe zur Natur und staatstheoretische Gedanken, biologisches Wissen und pädagogische Botschaften, opferbereite Vaterlandsliebe und Bezüge zu Gegenwartsdebatten“ (S. 91).

Neben dem Ursprungstext geraten aber auch frühe Verfilmungen der Bienengeschichte bisweilen zu Gunsten der Fernsehserie aus dem Blick: Martin Loiperdinger widmet sich in seinem Beitrag der wenig bekannten Realverfilmung aus dem Jahr 1926. Ins Zentrum seiner Ausführungen rücken dabei die veränderten Interpretationen von „Vaterlandsliebe“ und „Heimattreue“, vom „einig Volk im Buch zur Weltkriegsrevanche im Kino“(S. 97f) in den Jahren 1912 und 1926. Anknüpfend hieran verfolgt Harald Weiß in einer Gegenüberstellung zweier Drehbuchpläne zu Filmprojekten Anfang der 1940er- und 1950er-Jahre die jeweiligen politischen Einflüsse Neben Waldemar Bonsels Zeichentrickfilm-Drehbuchentwürfen macht Weiß vor allem auch auf Thea von Harbous Biene-Maja-Drehbuch und ihre Entwicklung aus der Goebbel’schen Drehbuch-Szene der NS-Zeit aufmerksam. Beide Projekte wurden nie verwirklicht, geben aber wirkungsvoll einen Eindruck des vorherrschenden Zeitgeistes wieder.

Einen eher persönlichen Erfahrungsbericht über die Einführung der Zeichentrickserie „Die Biene Maja“ in den Jahren 1976 bis 1980 steuert Josef Göhlen, ehemaliger Leiter der ZDF-Redaktion „Kinder und Jugend“, bei. Als Zeitzeuge gibt er Einblicke hinter die TV-Kulissen. Die Neuerfindung von Programmphilosophie, Produktionsmodell und „Charakter-Bildung“ überführten das Fernsehangebot in eine neue TV-Ära. Heinz Hengst erläutert passend hierzu die kommerzielle Bedeutung der Übernahme japanischer Zeichentrickserien für das westliche Fernsehen und die damit einhergehenden Veränderungen für Erzähltraditionen, so zum Beispiel „ludisch-narrative Fusionen“ (S. 151), Teilhabe an „characters“ in medialen Verbünden sowie Querverbindungen zur Markenbildung. Grundsätzlich stellt sich auch mit Gary Cross die Frage, inwieweit „japanische Phantasien zeitgemäßer sind als disneyanische“ (S. 163). Als Medienfigur hält die Biene Maja nicht zuletzt auch Einzug in Lernmedien. Jana Mikota kommt in ihrem vergleichenden Beitrag von Ursprungstext, Zeichentrickserie, Lernmedien und Konzepten für den Unterricht zu dem Ergebnis, dass auch hier vor allem ein enger Bezug zur Fernsehserie zu bemerken sei und die Protagonistin Maja im Verhältnis zu den anderen Figuren ins Zentrum rücke. Sie beklagt eine Zurückstellung des Romans zu Gunsten der TV-Serie, der ihrer Ansicht nach deutlich mehr Angebotsspielräume hinsichtlich „kulturökologischen Aspekten“ und „Naturbildern“ (S. 180) böte.

Möchte man ein Fazit ziehen, so zeichnet den Band die Synergie der dargebotenen Forschungsperspektiven aus: Treten auf der einen Seite einmal mehr literarische Möglichkeiten in Bonsels Erzählungen, veränderte historische Bedingungen und Rezeptionsweisen sowie Anpassungsstrategien auf dem Buch- und Medienmarkt in den Vordergrund, so wird auf der anderen Seite auch klar markiert, wie „Klassiker der bürgerlichen Populärkultur“ entstehen und welche Bedeutung japanischen Animationsserien in den 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit Blick auf die Fortschreibung von Erzählungen sowie auf die Entwicklung von medialen Narrationen und Verbünden zukommt.

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