S. Mintz: The Prime of Life. A History of Modern Adulthood

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Titel
The Prime of Life. A History of Modern Adulthood


Autor(en)
Mintz, Steven
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 31,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Schmidt, Department of History and Philosophy of Science, University of Cambridge

Ehe und Partnerschaft, Trennung und Ehescheidung und, in unmittelbarem Zusammenhang damit, die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: dieser Themenkomplex wird in den USA häufig unter dem Stichwort „Adulthood“ verhandelt. Die deutschen Entsprechungen des Begriffs, „Erwachsensein“ und „Erwachsenenalter“, sind weniger griffig und dies weist bereits darauf hin, dass der Adulthood-Diskurs zwar europäische Parallelen kennt, in seiner konkreten Ausprägung jedoch in mehrfacher Hinsicht spezifisch US-amerikanisch ist.

Der amerikanische Begriff des Erwachsenseins, der sich in dieser Form in den 1970er-Jahren ausbildete, ist an allererster Stelle normativ, verankert in den Werten der Mittelschicht. Unter Schlagworten wie Entwicklung, Wachstum, Reife werden letztlich Konzepte des „richtigen Lebens“ verhandelt. Geführt wird diese Debatte im Modus der Ratgeber- und Selbsthilfeliteratur und mit dem Vokabular der Verhaltens- und Humanwissenschaften, insbesondere der Psychologie, jedoch auch der Biologie und Soziologie.

Strukturierendes Charakteristikum des amerikanischen Redens vom Erwachsensein ist die Verhandlung der Frage ob das Erwachsenenalter eine Phase der Stabilität oder der Instabilität sei. Der Adulthood-Diskurs präsentiert sich als Kritik eines vermeintlichen Ideals von Stabilität, das in historischer Perspektive gern den 1950er-Jahren angetragen wird1. Demgegenüber wird die Veränderlichkeit Erwachsener betont, Krisen und Schwierigkeiten werden als normal, ja wünschenswert dargestellt. Erwachsensein wird so als permanenter Prozess konfiguriert, vielfach verglichen mit einer Pilgerfahrt oder Entdeckungsreise, einem Befreiungskampf, dem Weg zu Heilung und Selbsterkenntnis und, natürlich, dem American Dream.

Stephen Mintz unternimmt mit „The Prime of Life“ – das mit der Fotografie einer Landkarte auf dem Cover eine etablierte Chiffre der amerikanischen Anleitung zum Erwachsensein trägt – den Versuch, eine Geschichte des Erwachsenenalters vorzulegen. Es sei jedoch vorab gesagt, dass „The Prime of Life“, wiewohl historisch angelegt, sich weniger als eine Analyse des amerikanischen Adulthood-Diskurses als vielmehr einen Beitrag zu diesem versteht.

Die in Psychologie und Soziologie geführten Debatten zum Lebenslauf („life course“, „life cycle“, „life stages“, „life span“) sind bei Mintz nicht Untersuchungsgegenstand, sondern werden vielmehr aus historischer Perspektive aufgenommen und weitergeführt. Ganz im Sinne des Adulthood-Diskurses lautet Mintz’ Hauptthese denn auch, dass das Erwachsenenalter in den USA von jeher eine Phase der Veränderung und des Wandels gewesen sei: „[There] has never been […] a time when a majority of Americans experienced what we might consider the model life script: a stable marriage and a long-term career working for a single employer.“ (S. ix–x). Mintz unternimmt die Normalisierung der emotionalen Krise, wie sie den therapeutischen Diskurs prägt, mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft.

Seine Untersuchung fokussiert auf die Geschichte des Erwachsenenalters in den USA, mit einem zeitlichen Schwerpunkt auf der Zeit vom späten 19. bis zum späten 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen die Themen Partnerschaft, Ehe und Scheidung, ergänzt um Kapitel zu Elternschaft und Erwerbsbiographien. In ausführlichen Passagen ruft Mintz zudem mit Tod und Alkoholismus zwei weitere zentrale Elemente des Diskurses ums Erwachsensein auf, die regelmäßig im Zusammenhang mit Ehescheidung und Trennung thematisiert werden.

„The Prime of Life“ versammelt eine Reihe bemerkenswerter und zuweilen anregender Beobachtungen. So argumentiert Mintz, dass der Konnex zwischen Alter und Tod sich erst nach der Reduzierung der Kinder- und Jugendsterblichkeitsrate im späten 19. Jahrhundert herausgebildet habe (S. 11). Dies lässt sich als fruchtbare Anmerkung sowohl zur „neuen Sichtbarkeit der Trauer“ wie auch zur Debatte über Lebenserwartung lesen, die im Kontext einer Geschichte des Alterns geführt wird – auch wenn Mintz Verweise auf entsprechende Literatur außen vor lässt.2

Wo der Autor das Engagement von Amerikanern mittleren Alters in den Protestbewegungen und der Frauenbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre unterstreicht (S. 54), mag dies als Ausgangspunkt genommen werden, um die Apostrophierung von Protestkultur als „youthful opposition“ (Theodore Roszak) zu überdenken. Doch am stärksten sind Mintz’ Ausführungen zweifelsohne zum Thema Ehe und Partnerschaft, dem Dreh- und Angelpunkt des Adulthood-Diskurses. Mintz hebt die Relevanz der 1970er-Jahre als einer Zeit hervor, in der sich das amerikanische Verständnis von Partnerschaft entscheidend verändert: Heiratsalter und Scheidungsraten steigen an, während Geburtenraten sinken, das Modell der Kernfamilie wird hinterfragt und Ehe in rechtlicher Hinsicht neu gefasst (S. 102–103 und S. 141–142). Vor diesem an sich nicht neuen Hintergrund interessieren insbesondere Mintz’ Ausführungen dazu, wie im Umbruch der Charakter der Ehe (und insbesondere des „heiratsfähigen Mannes“) als zutiefst bürgerlicher Institution („middle class“) und Ausdruck sozialen und ökonomischen Kapitals umdefiniert, dadurch aber letztlich stabilisiert wurde (insbes. S. 138–140).3 „The Prime of Life“ erzählt zudem die Geschichte der Ehescheidung in der longue durée: Dabei lassen sich Praktiken der Trennung bis in eine Zeit zurückverfolgen, die lange vor deren juristische Erfassung im Scheidungsrecht reichen (S. 147–186). Fazit: Ehe war noch nie stabil.

Es ist Mintz anzurechnen, dass er Material aus den viel zu häufig getrennt betrachteten Bereichen der Kultur-, Wissenschafts-, Sozial- und Rechtsgeschichte zusammenführt. Darin liegt der Hauptgewinn der Monographie, daraus resultieren jedoch auch ihre Schwächen. Denn angesichts der Fülle und Vielfalt an Material entsteht zuweilen der Eindruck, dem Band mangle es zwar nicht an Ereignissen, Fakten, Informationen, wohl aber an Kontextualisierung und Analyse. Interessante Zusammenhänge wie die oben erwähnten werden oft eher behauptet als bewiesen, und anstelle eines kohärenten Narrativs präsentiert „The Prime of Life“ einen Strauß von Narratemen, nur lose zusammengehalten durch die mehrfach wiederholte, aber nicht weiter präzisierte These von der Beständigkeit des Wandels. Verschiedentlich bedient sich Mintz zudem des mal palliativen, mal normativen Jargons der psychologischen Ratgeberliteratur, wenn er etwa Ratschläge zur Kindererziehung erteilt (S. 249) oder eine eigene Definition eines guten Erwachsenenlebens aufstellt (S. 332).

Mintz’ Darstellung hätte gewinnen können, wäre „The Prime of Life“ nicht als ein weiterer Beitrag zu einem populären Diskurs über „Adulthood“ angelegt, sondern als eine historische Untersuchung ebendieses Diskurses. Dazu hätte es einer umfassenderen Auswahl sowie einer Gewichtung und Auseinandersetzung mit der bisherigen Literatur zum Thema bedurft4 – Mintz zitiert vielfach rezente journalistische Beiträge sowie populärhistorische Literatur – und zudem der Bereitschaft, verhaltenswissenschaftliche Veröffentlichungen nicht als Beleg, sondern als Gegenstand historischer Analyse zu begreifen.

Gewinnbringend gelesen werden kann „The Prime of Life“ als ein Überblickswerk der besonderen Art zur Geschichte der modernen Partnerschaft in den USA: eines, das weniger die Ergebnisse bisheriger Forschung versammelt, als es Quellen und Ereignisse zusammenträgt, und dessen Gewinn darin gesehen werden mag, dass es neben Partnerschaft im engeren Sinne auch Einblick gibt in die – zumindest in den USA – oft in diesem Zusammenhang aufgerufenen Themen Arbeit, Elternschaft, Tod und Alkoholismus. „The Prime of Life“ ist nicht die definitive Geschichte des Erwachsenseins, mag aber jenen, die sich mit dem Thema befassen, einen hilfreichen Ausgangspunkt bieten.

Anmerkungen:
1 Zum Stereotyp der 1950er-Jahre als ein Jahrzehnt der Konformität siehe Stephanie Coontz, The Way We Never Were. American Families and the Nostalgia Trap, 2. überarb. Aufl., New York 2000 (erste Aufl. 1992).
2 Thomas Macho/Kristin Marek (Hrsg.), Die neue Sichtbarkeit der Trauer, Paderborn 2011. Zur Geschichte der Lebenserwartung: Hendrik Hartog, Someday All This Will Be Yours. A History of Inheritance and Old Age, Cambridge, MA 2012; Tim G. Parkin, Old Age in the Roman World. A Cultural and Social History, Baltimore 2003; Pat Thane (Hrsg.), Das Alter. Eine Kulturgeschichte, Darmstadt 2005.
3 Siehe dazu auch Eva Illouz, Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin 2011.
4 Einschlägig sind die Arbeiten von Margaret Morganroth Gullette und Lois W. Banner; siehe darüber hinaus Kay Heath, Aging By the Book. The Emergence of Midlife in Victorian Britain, Albany 2009 sowie zuletzt Robert Pogue Harrison, Ewige Jugend. Eine Kulturgeschichte des Alterns, München 2015.

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