J. C. Bernhardt: Das Nikemonument von Samothrake

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Titel
Das Nikemonnument von Samothrake und der Kampf der Bilder.


Autor(en)
Bernhardt, Johannes Christian
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
169 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elena Gómez Rieser, Abteilung für Klassische Archäologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Das Nikemonument, ein ursprünglich im Kabirenheiligtum von Samothrake errichtetes Weihgeschenk, das eine auf einem Schiffsbug landende Nike zeigt, erfährt nicht nur die Beachtung der Besucher des Musée du Louvre. Auch die altertumswissenschaftliche, bislang primär archäologische Forschung zeigt ein fortwährendes Interesse an dem Monument. Besonders in den letzten Jahren wurden wieder teils divergierende Vorschläge zur historischen Kontextualisierung vorgebracht und die lange Zeit vorherrschende communis opinio einer Weihung kurz nach 190 v.Chr. infrage gestellt. Auch die Publikation Johannes Bernhardts versucht den historischen Kontext des Monuments zu fassen: Mit Rückgriff auf einen bereits älteren Vorschlag wird Demetrios Poliorketes als Stifter benannt und folglich die Entstehungszeit des Monuments in die Zeit um 300 v.Chr. gesetzt. 1

Auf eine Einleitung (S. 11–18), die auf die Frage nach der Bedeutung des Monuments in seiner Zeit hinausläuft, folgt nicht nur die bloße Skizzierung der Forschungsgeschichte, sondern auch die Auseinandersetzung mit dieser in Form einer Problematisierung ihrer Ergebnisse (S. 21–45). Das Kapitel gliedert sich dabei in die bereits vorgebrachten historischen Ereignisse, die als Anlass der Errichtung bemüht wurden, um anschließend auf monumentimmanente Hinweise (Schiffstyp, verwendeter Marmor, Stil der Statue) einzugehen.2 Bernhardt verfolgt dabei das Ziel, alle bisherigen Ansätze bzw. deren Ergebnisse zu verwerfen. Ebenso entscheidend für den weiteren Verlauf seiner Untersuchung ist die These, dass die bislang für eine Datierung der Statue genutzte Stilanalyse ungeeignet sei, da diese bislang zu keinem zuverlässigen Ergebnis geführt habe. Dieses Kapitel ist folglich gezielt darauf ausgerichtet, die These einer Weihung des Monuments durch Demetrios Poliorketes zu stärken. Dennoch stellt es einen klar gehaltenen Überblick zur bisherigen Forschung dar und eignet sich auch jenseits der daraus gezogenen Schlüsse für den schnellen ersten Zugang.

Um seinem Hauptanliegen der historischen Kontextualisierung nachzugehen, muss im folgenden Kapitel (S. 49–94) zuvorderst der entsprechende Zeithorizont gefunden werden. Da jedoch die Stilanalyse der Statue schon als nicht hilfreich für eine genauere Festlegung der Entstehungszeit abgetan wurde, wird die Datierung anhand von Münzprägungen des Demetrios Poliorketes vorgenommen. Diese Münzen zeigen gleichfalls eine Nike auf einer Prora und dienen Bernhardt als entscheidender Hinweis auf das rundplastische Monument im Heiligtum von Samothrake.3 Da jene Münzprägungen in die Jahre ab 301 v.Chr. gehören und eine besonders ausgeprägte motivische Übereinstimmung der Nikefiguren ab 294 v.Chr. zu beobachten sei, sieht Johannes Bernhardt darin den Zeitraum für die Aufstellung des Monuments gegeben (S. 54–55). Wie in den Münzprägungen soll auch in der Monumentweihung die Intention zwischen der Kommemoration der siegreichen Schlacht von Salamis (Zypern) und der affirmativen Betonung der Thalassokratie nach und trotz der Niederlage von Ipsos changieren. Das Nikemonument wäre folglich Teil derselben „Propagandakampagne“ (S. 71) des Demetrios. Gestützt durch Plutarchs Bericht zum Aufenthalt der Flotte des Demetrios nach oben genannter Niederlage an der thrakischen Chersones, und somit nahe bei Samothrake, ließe sich laut Bernhardt in dem kurzen Zeitraum 301/0 v.Chr. die Gelegenheit erkennen, im samothrakischen Heiligtum Präsenz in Form einer Denkmalweihung zu zeigen. Anschließend werden die weiteren Hinweise, die das Monument selbst preiszugeben vermag (s. oben), gleichfalls mit Demetrios in Verbindung gebracht, um zum einen die Datierung und zum anderen die (politische) Intention des Monuments weiter zu untermauern; dazu zählt auch eine hypothetische Rekonstruktion.4

Das letzte umfangreiche Kapitel (S. 97–141) versucht schließlich die Thesen der Monumentweihung als politische Propaganda und gleichzeitige Provokation weiterzuführen, indem nun auch der Aufstellungsort des Monuments im Kabirenheiligtum in die Überlegungen einbezogen wird. Die sich aufgrund von Plan- und Sichtachsen ergebenden Bezüge zu weiteren hellenistischen und überwiegend herrscherlichen Architekturstiftungen werden dabei in Relation zum Nikemonument gesetzt. Dies geschieht in Form einer programmatischen Bewertung, bei der die Bauten als Reaktion auf Demetrios‘ Provokation durchgespielt werden. Diese Überlegungen sind jedoch nur dann in sich kohärent, wenn man den bereits vorgebrachten Thesen folgt. Ein weiteres Argument für die Datierung und die Benennung des Stifters ist dies freilich nicht, wie Bernhardt selbst einräumt (S. 103).

Den Ausführungen hätte es daher gutgetan, die nahezu ausschließlich ikonographisch wie insbesondere historisch-argumentativ gestützte Kontextualisierung des Monuments einer Art Gegenprüfung zu unterziehen. Ausschließlich die Münzen – und somit ein externes, vom eigentlichen Befund getrenntes Zeugnis – als „einzig sicher datierbare(n) Anhaltspunkt“ (S. 49) heranzuziehen, reicht dabei nicht aus. So führt doch kein Weg an einer Stilanalyse vorbei, um die eigenen Thesen zu verifizieren. Gerade wenn die tragende Frage diejenige nach der historischen Bedeutung ist und deshalb zwingend einen Zeitrahmen erfordert, stellt die Stilanalyse ein unumgängliches Hilfsmittel für die Datierungsfrage dar und darf nicht um externer Zeugnisse willen gänzlich außer Acht gelassen werden. Auch wenn eine Stilanalyse nicht dazu dienen kann, die Entstehungszeit der Statue auf ein Jahr genau festzulegen, eröffnet sie doch den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mithilfe weiterer Indizien nach dem historischen Kontext als Erklärung für die Errichtung gesucht werden kann. Dahingegen können ikonographische Überlegungen und materielle wie topographische Indizien zwar Anhaltspunkte für weiterführende Fragestellungen darstellen, das Monument in Folge also erklären, dieses jedoch nicht aus sich heraus zeitlich fixieren und die stilistische Datierung ersetzen.

Auch wenn keine andere (kunst-)historische Epoche derartig schwer in enge Stilentwicklungen einzugliedern ist wie der Hellenismus, so müssen doch einige grundsätzliche Tendenzen ernst genommen werden. So können die stilistischen Kriterien für die weiterhin vorherrschende Datierung in den Hochhellenismus durch Johannes Bernhardt nicht entkräftet werden. Dies liegt an dem Verzicht auf genauere Ausführungen, warum die Nikestatue aufgrund stilistischer Argumente nicht in die erste Hälfte des 2. Jahrhundert v.Chr. gehören kann und stattdessen als frühhellenistisches Werk gelten solle.5 Gegen die von Johannes Bernhardt erneut zur Disposition gestellte Datierung der Nike um 300 v.Chr. ist deshalb nichtsdestotrotz einzuwenden, dass die Figur viel mehr den häufig als dramatisch bzw. pathoslastig bezeichneten Statuenkonzeptionen entspricht, die sich typischerweise im Hochhellenismus ausgeprägt finden. Gerade dieser großzügig abgesteckte Zeitrahmen führt jedoch in der Frage nach dem konkreten Anlass der Errichtung noch zu keinem allumfassenden Konsens, gerade da bislang der Zeitraum nurmehr durch historische Anlässe als wesentlich enger einzugrenzen angesehen wird. Ohne literarische oder epigraphische Zeugnisse wird es dabei beim Erwägen von Plausibilitäten mit gegenläufigen Ergebnissen verbleiben. Sofern man dennoch das Ziel verfolgen möchte, den historischen Kontext zu finden, verlangt es auch weiterhin nach einer systematischen und eben doch, bei aller Vorsicht, ins Detail gehenden stilkritischen Analyse. Eine somit notwendig präzisere Datierung auf stilkritischer Grundlage stellt allerdings bis heute ein Desiderat dar, doch ist hier nicht der Rahmen gegeben, um in angemessener Ausführlichkeit darauf einzugehen.

Anmerkungen:
1 Alexander Conze / Alois Hauser / Otto Benndorf, Neue archäologische Untersuchungen auf Samothrake, Bd. 2 (1880), S. 81–86.
2 Ältere Einordnungen bezogen sich entweder auf eine Errichtung nach der Schlacht von Salamis 306 v.Chr., der Schlacht von Kos 255 v.Chr. und mehrheitlich nach den Schlachten von Side und Myonnesos 190 v.Chr. Hinzu kamen in Reaktion auf die zu korrigierende Entstehungszeit des Pergamonaltars Vorschläge einer Errichtung nach der Schlacht von Pydna 168 v.Chr. und neuerdings auch nach dem bithynisch-pergamenischen Krieg 154 v.Chr. durch Andrew Stewart, The Nike of Samothrace: Another View, in: American Journal of Archaeology 120 (2016) 3, S. 399–410.
3 So auch schon Conze et al., Samothrake, Bd. 2 (1880), S. 81–86 .
4 Dass auch Johannes Bernhardts dortige Überlegungen nicht ohne „Inkonsistenzen und Schwächen“ (S. 17) bleiben, hat ausführlicher schon Sascha Kansteiner in seiner Rezension vorgelegt, weswegen hier nicht erneut detailliert darauf eingegangen werden soll, siehe Sascha Kansteiner, Rezension zu: Johannes Bernhardt, Nikemonument, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 19 (2016), S. 1007–1011, https://gfa.gbv.de/dr,gfa,019,2016,r,02.pdf (26.01.2017).
5 Ein knapper Bezug bzw. Vergleich zur frühhellenistischen Skulptur findet sich lediglich auf S. 125 mit Anm. 92.

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